Nenndorf. Die 68-Jährige ist seit 40 Jahren für die Familien im Landkreis Harburg unterwegs. Doch ans Aufhören denkt sie noch lange nicht.

Bald feiert sie ihren 68. Geburtstag – ein Alter, in dem viele ans Aufhören denken. Wenn sie einen Begriff für ihren Beruf wählen würde, es wäre „Rundum-sorglos-Paket-Schnürerin“. Vielleicht auch „Mutmacherin“. Oder „Auf-den-Weg-Bringerin“. Mehr als 4000 Frauen hat Sigrid Peek in den vergangenen vier Jahrzehnten als Hebamme begleitet, sie bei Schwangerschaft, Geburt und in den Monaten danach unterstützt. Mehr als 4000 Elternpaaren hat sie gestärkt und vorbereitet für die wohl herausforderndste Aufgabe ihres Lebens. Jetzt feiert die Hebamme aus der Gemeinde Rosengarten ihr 40-jähriges Jubiläum.

Sie liebt ihre Aufgabe, soviel ist klar. Diesen „Zauber des Anfangs, der jeder Geburt innewohnt“. Findet, dass es keinen schöneren Beruf geben könne als jenen, den sie ausüben darf. „Auch nach so vielen Jahren erlebe ich jedes Baby als ein Wunder“, sagt sie. Und genau diese Begeisterung für das werdende Leben und den guten Start in diese Welt spüren all jene Eltern, die das Glück haben, von ihr betreut zu werden.

Eine Mutter verlor ihr drittes Kind in der 37. Schwangerschaftswoche

So wie Familie Hagemann aus Buchholz, die Sigrid Peek bereits durch vier Schwangerschaften begleitet hat – und auch an ihrer Seite gewesen ist, als Mutter Kim vor zwei Jahren ihr drittes Kind in der 37. Schwangerschaftswoche verlor. Die Eltern wissen, dass sie ohne ihre Hebamme diese schwere Zeit nicht überstanden hätten. „Sie war für jeden von uns da, hat zugehört, uns Mut gemacht“, sagt Vater René. „Sie ist eine vertraute Person, die trotzdem den nötigen Abstand hat, um uns zu beraten. Das ist sehr wertvoll.“

Kim und René Hagemann haben sind froh, dass sie auch bei Töchterchen Mina von ihrer Hebamme Sigried Peek unterstützt werden.
Kim und René Hagemann haben sind froh, dass sie auch bei Töchterchen Mina von ihrer Hebamme Sigried Peek unterstützt werden. © HA | Hanna Kastendieck

Für Sigrid Peek geht es genau darum: um das Gesamtkonstrukt Familie – und nicht nur um Mutter und Kind. Sie bereitet Paare in Kursen auf die Geburt vor und bittet auch mal nur die Männer zu kommen, sie unterstützt und berät zu allen physischen und psychischen Aspekten.

In den 1970er-Jahren sammelt sie am UKE ihre ersten Erfahrungen

Nach der Geburt betreut sie Mutter und Kind im Wochenbett und hat ein Auge auf die Familie. „Neben der Klärung medizinischer Fragen geht es in den ersten Lebenstagen vor allem darum, dass Mutter und Kind eine gute und enge Beziehung zueinander aufbauen“, sagt sie. „Im weiteren Verlauf kommen oft auch familiäre Themen und Paarthemen hinzu, bei denen ich beratend zur Seite stehe.“

Ihre ersten Erfahrungen in einer Klinik sammelt Sigrid Peek in den 1970er-Jahren in der Uniklinik Eppendorf (UKE). Dort macht sie eine Ausbildung zur Krankenschwester und erfüllt sich damit ihren Kindheitstraum. Auf den Beruf als Hebamme wird sie aufmerksam, als sie eine Freundin zur Entbindung begleitet. „19 Stunden habe ich der Hebamme über die Schulter geschaut“, erinnert sie sich. „Das Kind musste schließlich per Kaiserschnitt geholt werden und der Arzt drückte es mir in die Arme.“ In dem Moment ist ihr klar, dass sie umsatteln muss.

Geburtsvorbereitungskurse für Paare – damals etwas völlig Neues

Sie lässt sich in der Frauenklinik Finkenau zur Hebamme ausbilden, geht anschließend ins Elim, der heutigen Agaplesion-Klinik. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Theodore Reincke beginnt sie, Geburtsvorbereitungskurse für Paare anzubieten. „Das war damals etwas völlig Neues“, sagt sie. Doch die Klinik lehnt ihren Antrag auf Nebentätigkeit ab.

Ein Bild aus früheren Tagen: Hebamme Sigrid Peek bei der Arbeit im Krankenhaus.
Ein Bild aus früheren Tagen: Hebamme Sigrid Peek bei der Arbeit im Krankenhaus. © HA | Privat

1985 verlässt Sigrid Peek das Elim. Gemeinsam mit ein paar Gleichgesinnten entwickelt sie die Idee der Beleggeburten, bei der Hebammen ihre in der Schwangerschaft betreuten Frauen zur Geburt in die Klinik begleiten und sie anschließend im Wochenbett versorgen. Das Konzept feiert im AK Barmbek als „Barmbeker Modell“ Premiere. Sigrid Peek erinnert sich gern an diese Zeit zurück. „Ich konnte als Hebamme komplett selbstständig arbeiten, wenn aber etwas war, hatte ich ein großartiges Team hinter mir“, sagt sie.

Sie bekommt Schlafstörungen und weiß: Ich muss etwas ändern

Doch die Aufgabe kostet auch viel Kraft. Rund um die Uhr muss sie abrufbereit sein. Handys gibt es damals noch nicht. Sie ist über per Funk über den Euro-Pieper erreichbar. Nachts schläft sie neben dem Telefon. „Irgendwann bekam ich Schlafstörungen“, sagt sie. „Da wusste ich, dass sich was ändern muss.“

1990 verabschiedet sie sich aus der Geburtshilfe. Seitdem liegt ihr beruflicher Schwerpunkt auf Geburtsvorbereitung, Schwangerenvorsorge und Wochenbettbetreuung. Ende der Neunziger gründet sie im Landkreis Harburg gemeinsam mit Theodore Reincke und Renee Huth die Hebammenpraxis in der Bötersheimer Wassermühle, spezialisiert sich auf Frauen, die ihr zweites Kind erwarten.

Mütter, die ihr zweites Kind erwarten, seien oft traumatisiert von der ersten Geburt

Sie findet, dass diese Aufgabe besonders spannend ist. „Es gibt viele schicksalhafte Verläufe einer Geburt“, sagt sie. „Diese Mütter sind regelrecht traumatisiert und brauchen eine besondere Unterstützung, wenn das zweite Kind unterwegs ist. Viele suchen die Schuld bei sich. Das gilt es aufzulösen.“

2003 eröffnen Sigrid Peek und Theodore Reincke die „Hebammenpraxis Rosengarten“, die inzwischen als Sport- und Gesundheitszentrum neben der Hebammenbegleitung zahlreiche Kurse anbietet. Noch heute ist Peek Teil dieser Praxis. Die Leitung hat sie allerdings vor vier Jahren abgegeben, um sich vollkommen auf ihre Tätigkeit als Hebamme konzentrieren zu können.

Hunderte Absagen erteilt sie im Lauf eines Jahres

Sie weiß, dass sie noch nicht in den Ruhestand gehen möchte, unter anderem, weil es zu viele Mütter im Landkreis Harburg gibt, die keine Hebamme zur Nachsorge finden. Täglich muss sie Absagen erteilen. Hunderte sind es im Jahr.

Hebamme Sigrid Peek kontrolliert den Nabel der kleinen Mina. Mutter Kim hört aufmerksam zu.
Hebamme Sigrid Peek kontrolliert den Nabel der kleinen Mina. Mutter Kim hört aufmerksam zu. © HA | Hanna Kastendieck

Laut einer Studie zum „Hebammenmangel in Deutschland“ ist jede fünfte Mutter ohne Hebamme im Wochenbett, weil schlicht und einfach keine Hebamme im direkten Umfeld der Familien verfügbar ist. „Hausbesuche lohnen sich finanziell nicht für eine Hebamme“, sagt Sigrid Peek. „37 Euro brutto darf ich pro Termin abrechnen. Das ist einfach zu wenig. Schließlich müssen Hebammen ein gutes Fachwissen mitbringen, sich in Pathologie, Physiologie und Psychologie gut auskennen und große Verantwortung übernehmen.“ Nachsorgehebammen seien die beste Hilfe für den Start einer Familie und oft die Einzigen, die als Ansprechpartnerin rund um die Uhr zur Verfügung stehen.

Mit ihrem Mann betreibt sie eine Praxis für Paartherapie und Lebensberatung

„Wir sehen als Erste, wenn etwas mit dem Kind oder der Mutter nicht stimmt“, sagt Sigrid Peek. „Und wir können umgehend handeln und damit Schlimmeres vermeiden.“

Inzwischen betreut Sigrid Peek sogar die Kinder der Kinder, die sie einst selbst bei der Geburt begleitet hat. Und sie hat sich ein weiteres Standbein aufgebaut, betreibt mit ihrem Mann Edzard Siuts eine Praxis für Paartherapie und Lebensberatung in Tötensen. Sie könnte kürzertreten als Hebamme. Das aber kommt für Sigrid Peek überhaupt nicht in Frage. „Ich liebe meine Arbeit“, sagt sie. „Solange ich noch nicht mit dem Rollator zu den Müttern kommen muss, mache ich weiter.“