Mienenbüttel. Logistikdienstleister lehnt Tarifbindung ab und bietet Streikbrechern 50 Euro Extrazahlung an. Was die Beschäftigten nun vorhaben.

Auch die zweite Verhandlungsrunde zu einem Tarifvertrag für die Beschäftigten der Rhenus-Niederlassung Hamburg im Neu Wulmstorfer Gewerbegebiet Mienenbüttel ist mit einer großen Enttäuschung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu Ende gegangen. Der Arbeitgeber, vertreten durch den Geschäftsführer Lionel Winkelmann, teilte der Ver.di-Verhandlungskommission laut Gewerkschaft mit, dass Rhenus nicht bereit sei, mit Ver.di einen Tarifvertrag abzuschließen.

Am Tag zuvor hatte die Gewerkschaft die Beschäftigten von Rhenus in Mienenbüttel zum Warnstreik aufgerufen, um der Forderung nach einem Tarifvertrag Nachdruck zu verleihen. Wie berichtet, kämpfen die Mitarbeiter bei Rhenus Logistic gerade gemeinsam mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di um bessere Arbeitsbedingungen und fairere Löhne für die insgesamt rund 180 Beschäftigten am Standort.

Der Wirtschaftszweig sucht händeringend nach Mitarbeitern

Ihre Chancen hatten sie vorab als sehr gut eingestuft: In der drittgrößten Branche der Bundesrepublik sind Tausende Stellen unbesetzt, der Wirtschaftszweig sucht händeringend nach Mitarbeitern. Außerdem gehört Rhenus nach eigenen Angaben zu den führenden weltweit operierenden Logistikdienstleistern – mit einem Jahresumsatz von rund sieben Milliarden Euro und rund 37.500 Beschäftigen an 970 Standorten.

Allein deshalb dürfte Rhenus sich einen Ausgleich für seine Mitarbeiter für Inflation und Teuerung leisten können, meint Gewerkschaftssekretär Jonas Lebuhn: „Die wirtschaftliche Lage ist sehr gut – ein Tarifvertrag ist überfällig.“ Ein positiver Abschluss sei für das Unternehmen außerdem ein Aushängeschild im Werben um Arbeitskräfte.

Rhenus musste Arbeitskräfte anderer Standorte nach Mienenbüttel abordnen

Die großen Logistiker in Lebuhns Zuständigkeit sind in aller Regel bereits alle tarifgebunden. Der Gewerkschaftssekretär ist mit dem Landesbezirk Niedersachsen und Bremen bei Verdi für etwa 1900 Unternehmen mit rund 50.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zuständig. Lebuhns Hoffnungen sowie die der Rhenus-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen wurden allerdings enttäuscht: Bereits die erste Tarifverhandlung in der vergangenen Woche wurde ohne Ergebnis abgebrochen. „Der Arbeitgeber hat kein Angebot vorgelegt“, so Lebuhn.

Daraufhin rief Ver.di die Beschäftigten der Früh- und Spätschicht kurzfristig für den vergangenen Mittwoch von 5.30 bis 23 Uhr zum Warnstreik auf. „Wir wollten damit ein deutliches Signal in Richtung Arbeitgeber senden, dass wir in der zweiten Tarifverhandlung ein ordentliches Angebot erwarten“, so Lebuhn. Die Streikmaßnahmen führten zwar nach Angaben von Ver.di zu erheblichen Behinderungen im Betriebsablauf, so dass Rhenus Arbeitskräfte von anderen Niederlassungen nach Mienenbüttel habe abordnen müssen, um die Rückstände aufzuarbeiten.

50 Euro extra für Streikbrecher – der Aushang liegt dem Abendblatt vor

Der Arbeitgeber ließ sich aber offensichtlich von den Warnstreiks nicht nachhaltig beeindrucken, wie die Reaktion von Rhenus am nächsten Tag bei der zweiten Tarifrunde zeigte.

Der Arbeitgeber hat laut Ver.di-Mitteilung – aufgrund der zu erwartenden weiteren Streikmaßnahmen – allen Streikbrechern angeboten, 50 Euro extra zu zahlen, wenn sie sich nicht an den Arbeitsniederlegungen beteiligen. Ein entsprechender Aushang liegt dem Abendblatt vor.

„Es ist schon erschütternd festzustellen, wie Arbeitgeber immer wieder versuchen, die Beschäftigten unter Druck zu setzen, wenn sie ihre Grundrechte wahrnehmen“, so Ver.di-Verhandlungsführer Thomas Warner.

Trotz explodierender Umsätze wird in der Branche nicht gut verdient

Ver.di fordert für die Beschäftigten von Rhenus am Standort Mienenbüttel einen sogenannten Anerkennungstarifvertrag zum Flächentarifvertrag des Speditionsgewerbes in Niedersachsen, eine Prämie in Höhe eines Monatseinkommens und eine Vorteilregelung für Gewerkschaftsmitglieder in Form von zwei zusätzlichen Urlaubstagen.

Trotz explodierender Umsätze und zunehmender Gewinne wird in der Logistik-Branche oft nicht gut verdient. So liegt das Einstiegsgehalt für die Rhenus-Mitarbeiter in Mienenbüttel – darunter inzwischen viele Litauer und Ungarn – laut Lebuhn „knapp über dem Mindestlohn“ bei 1800 bis 1900 Euro brutto bei einer 40-Stunden-Woche. Ein Gabelstaplerfahrer verdiene etwa 2200 Euro brutto, so Lebuhn. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben nur Anspruch auf 20 Tage Urlaub im Jahr – das gesetzliche Minimum. Erst im Jahr 2018 wurde am Standort an der A1 gemeinsam mit Ver.di ein Betriebsrat gegründet. Anschließend traten mehr und mehr Kollegen und Kolleginnen in die Gewerkschaft ein.

In Dortmund bekundeten die Rhenus-Beschäftigten Solidarität

Sie wollen in Mienenbüttel weiter um die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen kämpfen. „Wir werden den Arbeitskampf noch ausweiten“, so Lebuhn. „Es ist nun ständig mit kurzfristig angekündigten Streikmaßnahmen zu rechnen.

Ziel ist es, den Arbeitgeber davon zu überzeugen, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und mit uns ein faires Tarifergebnis abzustimmen.“ Die Ver.di-Mitglieder seien aktuell sehr kämpferisch eingestellt, beschreibt Lebuhn die Stimmung am Standort. Sie stehen nicht allein mit ihren Forderungen, wie Solidaritätsbekundungen von Kollegen und Kolleginnen von Rhenus in der Dortmunder Niederlassung am vergangenen Donnerstag zeigten. Dort befindet sich Ver.di zurzeit ebenfalls in Tarifverhandlungen mit dem Logistikdienstleister. Das Unternehmen ließ eine Anfrage des Abendblatts zu dem Arbeitskampf in Mienenbüttel bis dato unbeantwortet.