Hamburg. Ausbau im Bestand oder Neubau der ICE-Trasse entlang der A 7? Gegen beide Szenarien wächst der Protest. Der große Abendblatt-Report.
Bis Ende des Jahres will die Deutsche Bahn ihre Vorplanungen in Sachen Alpha-E abgeschlossen haben und ihre Ergebnisse an das Bundesverkehrsministerium überreichen. Doch die Pläne für die ICE-Schnellstrecke von Hamburg nach Hannover spalten die Region. Während im Landkreis Harburg die Emotionen gegen eine Neubautrasse hochkochen, lehnen der Landkreis und die Stadt Lüneburg den Ausbau der Bestandsstrecke ab. Ganz gleich ob Aus- oder Neubau der Strecke – beide Varianten würden massive Eingriffe für Mensch und Natur mit sich bringen. Und jede Seite hat gute Argumente, die Strecke „vor der eigenen Haustür“ abzulehnen. Eine Bestandsaufnahme.
Susanne Ulber lebt in Brackel im Landkreis Harburg. Wenn die 56-Jährige einen Wunsch für 2023 frei hätte, dann wäre das dieser: Dass alles so bleibt wie es ist. Sich die Politiker in Berlin gegen eine Neubautrasse entscheiden und mehrheitlich den Ausbau der bestehenden Strecke zwischen Hamburg und Hannover beschließen. Eine neue Bahnstrecke entlang der A7 würde direkt durch ihr Wohnzimmer verlaufen. Sie hat dort schon als Kind gespielt. Das Haus ist ihr Leben. Betroffene wie Susanne Ulber gibt es viele im Landkreis Harburg. Henning Wübbe gehört dazu. Er betreibt in Glüsingen eine Milchtankstelle. Sie liegt genau auf der neuen Trasse. Genauso wie der Hof von Rolf und Anne-Dore Müller aus Gödenstorf. Kommt die Bahn, können sie ihre Weiden nicht mehr erreichen.
Alle wollen die Strecke – aber bitte nicht vor der eigenen Haustür
Natürlich wollen auch im Landkreis Harburg alle mehr Verkehr auf die Schiene bringen: „Der Ausbau einer leistungsfähigen Schieneninfrastruktur ist nicht nur für den Fern- und Güterverkehr, sondern auch für viele Pendlerinnen und Pendler essenziell“, sagt Landrat Rainer Rempe (CDU). „Ein Ausbau ist insofern zweifellos notwendig. Aber eben im Bestand.“ Ein Bahnstrecken-Neubau durch den Landkreis Harburg sei nicht akzeptabel.
Unisono fordern der Landkreis Harburg, die Gemeinde Seevetal sowie die Samtgemeinden Hanstedt und Salzhausen den sofortigen Stopp der Planungen für eine Neubaustrecke entlang der A7 und verlangen stattdessen die Umsetzung der in einem fundierten Prozess gefundenen und in der Region breit getragenen Lösung Alpha-E. Diese sieht den Ausbau der Bestandsstrecke zwischen Hamburg und Hannover über Lüneburg, Uelzen und Celle vor und wurde 2015 von Kommunen, Bürgern, Bund und Bahn im „Dialogforum Schiene Nord“ gemeinsam erarbeitet. Das Ergebnis ging in den Bundesverkehrswegeplan ein.
Die schnellste ICE-Verbindung von Hamburg nach Hannover dauert derzeit 74 Minuten
Ziel des Milliardenprojektes ist es, die Fahrzeit im ICE zwischen Hamburg und Hannover zu verkürzen und mehr Kapazitäten für den Güterverkehr zu schaffen. Die schnellste ICE-Verbindung dauert derzeit 74 Minuten. Künftig sollen es 59 sein.
Inzwischen ist klar, dass die Bahn anders geplant hat, als 2015 beschlossen. Und die Menschen im Landkreis Harburg fühlen sich betrogen. Hinzu kommt, dass die Bahn die Pläne für die neue Trasse lange Zeit unter Verschluss hielt und erst im Mai auf massiven Druck der Kommunalpolitik im Landkreis Harburg mit den detaillierten Planungen herausrückte, die bereits so gut wie abgeschlossen waren.
In Brackel geht die Strecke mitten über den Sportplatz der kleinen Gemeinde
Für die Mitstreiter des Dialogforums ist das Vorgehen der Bahn ein Schlag ins Gesicht. „Wir haben 2015 mit dem optimierten Alpha-E Fakten geschaffen und einen klaren Handlungsauftrag für die Bahn erteilt“, sagt Olaf Muus, Bürgermeister der Samtgemeinde Hanstedt. Diesen Auftrag habe die DB Netz AG offenbar nicht umgesetzt, sondern stattdessen eine Neubautrasse durch die Heide geplant. Wer den Auftrag dazu gegeben habe, sei bis zum heutigen Tag unbekannt. Es gebe aus seiner Sicht nach wie vor keine schlüssige Begründung, warum von dem Inhalt des Abschlussdokuments des Dialogforums, das den Bestandsausbau vorsieht, abgewichen werden sollte.
Die neue Trassenplanung werde in der Samtgemeinde Hanstedt und Salzhausen immense Flächen verbrauchen, so Muus weiter. „Ortschaften entlang der Strecke wie Garlstorf, Gödenstorf, Evendorf und Lübberstedt werden massiv betroffen sein. Evendorf und Lübberstedt zum Beispiel werden eingekesselt – im Westen von der A7, im Osten von der Hochgeschwindigkeitstrasse, die haarscharf an den Dörfern vorbeilaufen soll. Oder Brackel: Dort geht die Strecke mitten über den Sportplatz und das geplante Gewerbegebiet.“
Hamburg nehme in Kauf, dass die Gemeinde Seevetal zum „Gewerbeklo“ wird
Emily Weede, Bürgermeisterin der Gemeinde Seevetal, die aktuell 42.000 Einwohner zählt, bezeichnet das Verfahren als „Skandal – von Anfang an“. „Wenn die Bahn, wie jetzt behauptet, seit 2016 einen Planungsauftrag aus dem Ministerium hatte, hätte sie ihre Planung offen kommunizieren müssen.“ Die Neubautrasse, so die Befürchtung, würde mitten durch Seevetal gehen, quasi eine Schneise schlagen – durch die Ortsteile Fleestedt, Meckelfeld, Glüsingen, Karoxbostel, Hittfeld, Lindhorst, Horst und Ramelsloh. Nicht nur, dass Landschaften zerschnitten, Biotope unwiederbringlich zerstört, Ortschaften zwischen A7 und Bahntrasse eingekesselt und Höfe zur Aufgabe gezwungen würden. Überdies würden Regional-Halte auf der Strecke bleiben, dafür aber der Schienenlärm massiv zunehmen.
„In Wahrheit geht es bei den Planungen doch nur um Interessen des Hamburger Hafens. Die Neubautrasse soll Hamburg einen Wettbewerbsvorteil gegenüber dem niedersächsischen Tiefwasserhafen Wilhelmshaven verschaffen“, so Weede. Dafür nehme Hamburg in Kauf, dass die Gemeinde Seevetal zum „Gewerbeklo“ der Hansestadt wird. „Wir sind nicht gegen einen Ausbau der Schienenkapazitäten, aber dieser muss mit Augenmaß und gemeinsam mit der Bevölkerung passieren“, sagt sie. „Deshalb fordern wir, den beim Dialogforum Schiene Nord ausgehandelten Kompromiss umzusetzen.“
Der Landrat hält einen Strecken-Neubau durch den Landkreis für nicht akzeptabel
Wolfgang Krause, Bürgermeister der Samtgemeinde Salzhausen befürchtet massive Folgen für die Landwirtschaft. Nicht nur, dass 41 Wirtschaftswege betroffen seien. „Da jeder Flächenverbrauch für die Bahn ortsnah ausgeglichen werden muss, werden wir riesige Areale an landwirtschaftlicher Fläche verlieren“, so Krause. Und: „Wenn die Planungen so umgesetzt werden, werden der Heidekreis, die Samtgemeinde Hanstedt, die Samtgemeinde Salzhausen und die Gemeinde Seevetal von hohen Dämmen oder Stelzentrassen durchschnitten. Denn die Landschaft in unserer Region ist wellenförmig, ein ICE aber fährt gerade. Wenn die neue Trasse gebaut wird, wird es außerdem laut. Übergesetzlicher Lärmschutz ist nicht vorgesehen.“
Rainer Rempe hält einen Strecken-Neubau durch den Landkreis für nicht akzeptabel. „Wir fordern den sofortigen Stopp der Planungen für eine Neubaustrecke entlang der A7 und verlangen stattdessen die Umsetzung der in einem fundierten Prozess gefundenen und in der Region breit getragenen Lösung eines Ausbaus der Bestandsstrecke.“ Rempe verweist zudem auf die Ergebnisse der Sensitivitätsstudie. „Sie zeigen, dass eine direkte Nachbarschaft einer Neubaustrecke mit der Autobahn aus naturschutzfachlichen und raumordnerischen Gründe nicht zu realisieren sein wird.“
Besonders ärgert den Landrat das intransparente Vorgehen der Bahn
Die Trasse würde einige Orte zwischen Autobahn und neuer Bahnstrecke inselartig einschließen. Auch aus landschaftsökologischer Sicht sei dies nicht hinzunehmen, so Rempe weiter. „Neben den Schutzgebieten, besonders geschützten Biotopen und bebauten Flächen sowie den laufenden Siedlungsentwicklungsplanungen der betroffenen Gemeinden stellen aber auch die Vorranggebiete für die Trinkwassergewinnung, die Rohstoffgewinnung und die Windenergienutzung bedeutende Hindernisse dar, die durch die Trassen durchschnitten und in ihrer Funktion gefährdet würden.“ Besonders ärgert den Landrat jedoch das bisherige intransparente Vorgehen der Bahn: „Die Bürgerinnen und Bürger müssen unbedingt umfassend informiert und in den Prozess eingebunden und nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden.“
Dass die Bahn offensichtlich seit Jahren eine bestandsferne Neubautrasse plant, und das hinter dem Rücken der Bürger, ärgert auch Stefan Mundt von der Bürgerinitiative „Trassenalarm“, der in der Gemeinde Seevetal inzwischen weit über 5000 Mitglieder angehören. „Wir sind absolut nicht gegen eine Verkehrswende, denn auch wir wollen mehr Güterverkehr von der Straße auf die Schiene“, so Mundt. Neue Maßnahmen müsse man jedoch mit den Betroffenen erarbeiten.
Die Planung ist ein erstklassiger Betrug an den Bürgern, heißt es von Aktivisten
Reinhard Crasemann von der Bürgerinitiative „Y-Monster“ bezeichnet die Neubauplanung der Bahn als „Todsünde“. „Die heimliche dezidierte Ausarbeitung einer Neubaustrecke ohne Auftrag durch Minister oder zuständige Staatssekretäre ist erstklassiger Betrug an den Bürgern.“ Zudem basiere die Planung auf „durchgeknallten“ Hamburger Hafenprognosen von 2012 von 25 Millionen Containern bis 2025. „Inzwischen hat der Hafen selbst korrigiert: auf 13,5 Millionen Container bis 2035“, so Crasemann weiter. „In diesem Jahr schafft der Hafen mit Ach und Krach acht Millionen Container. Damit fehlt der beauftragten Trassenplanung sämtliche Grundlage.“ Es gehe gar nicht um den ICE-Deutschlandtakt, sondern um billigen Gütertransport – das zeigten auch die sieben geplanten Güterzug-Überholbahnhöfe auf der Strecke bis Hannover – ohne Personenverkehr.
Für den Ausbau der Bestandsstrecke spreche vor allem der Zeitfaktor, sagt Peter Dörsam, der als Sprecher des Projektbeirats das Dialogforum Schiene Nord 2015 begleitet hat. „Wir brauchen die Verkehrswende, da sind wir uns alle einig“, sagt er. „Und zwar so schnell wie möglich - nicht erst in 25 bis 30 Jahren.“ Solange nämlich werde – vorausgesetzt man einige sich ohne gerichtliche Verfahren – der Bau einer neuen Trasse dauern. „Eine neue Strecke kann nämlich erst dann genutzt werden, wenn die letzte Schiene gelegt ist“, erklärt Dörsam. „Ein Ausbau im Bestand hingegen bringt in dem Moment Verbesserung, wo der erste Gleisabschnitt fertiggestellt ist.“
„Es ist perfide, wie die Bahn versucht, die Menschen hinters Licht zu führen“
Vor allem aber ärgert Dörsam die Tatsache, dass die Bahn offenbar entlang der Bestandsstrecke gezielt für eine Neubautrasse werbe. „Es ist perfide, wie die Bahn versucht, die Menschen hinters Licht zu führen und für ihre Idee einer Neubautrasse zu gewinnen. Um die Menschen in der Region Lüneburg gegen den Ausbau der Bestandsstrecke zu mobilisieren, zeichnet die Bahn ein Horrorszenario, spricht davon, dass der ICE mit 230 Stundenkilometern durch die Stadt donnern werde und ganze Häuserblöcke abgerissen werden müssten“, kritisiert Dörsam. Dabei könne die Geschwindigkeit so gedrosselt werden, dass kein Gebäude weichen müsse.
Doch die Bahn erhält Rückendeckung aus der Region entlang der heutigen Trasse. Der Widerstand der Lüneburger gegen den Ausbau der Bestandsstrecke wird von Tag zu Tag größer. Inzwischen hat auch der Rat der Stadt entschieden, dass der Ausbau bestehender Gleise für die Hansestadt keine Option sei. Man habe „erhebliche Bedenken“ gegen die derzeitigen Trassenvarianten „Bestandsausbau“ und „Bestandsausbau mit bestandsnahen Ortsumfahrungen“, heißt es aus dem Rathaus.
Zwei der vier Trassenvarianten verlaufen mitten durch den Landkreis Lüneburg
Schon 2015 hatte Lüneburg das Ergebnis von Alpha-E nicht mitgetragen. „Es gab in der Folge des Dialogforums Schiene Nord keinen regionalen Kompromiss“, betont Lüneburgs Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch (Bündnis 90/Die Grünen). „Lüneburg hatte gute Gründe, das Abschlussdokument nicht zu unterzeichnen. Was wir jetzt brauchen, ist eine objektive, ergebnisoffene Beurteilung auf Faktenbasis.“ Stadtrat Markus Moßmann warnte bei der Sitzung vor einem jahrelangen Ausbau der Strecke unter „rollendem Rad“, wie es Bahnexperten nennen.
Grundsätzlich wird in Lüneburg anerkannt, dass die Schieneninfrastruktur verbessert werden muss. Unabhängig von der Entscheidung für eine finale Trassenvariante hat der Rat deshalb beantragt, „zeitnah dringend notwendige Verbesserungen an der Bestandsstrecke Uelzen-Hamburg einzuleiten“ und unterstützt die Infrastruktur-Initiative der Metronom Eisenbahngesellschaft. Dies soll vor allem die Situation der Pendler verbessern.
Ist das Lüneburger Stadtgebiet von einem Ausbau der Strecke deutlich betroffen?
Zwei der vier Trassenvarianten verlaufen mitten durch den Landkreis Lüneburg: Die bestehende Strecke zwischen Hamburg und Hannover sowie eine Umfahrung, die bei Radbruch von der Hauptstrecke abzweigt, bei Reppenstedt und Melbeck verläuft und bei Suderburg im Landkreis Uelzen zurückgeführt wird. Diese Ortsumfahrung stand im Mittelpunkt einer sogenannten Kommunalen Werkstatt der Bahn Mitte November.
„Die Planung ist schon sehr detailreich“, sagt Lüneburgs Landrat Jens Böther (CDU) über die vorgestellten Pläne, darunter aktualisierte Pläne der Kommunen, Brückenbauwerke, Schallschutz und Einfädelung. Dabei sei sehr deutlich geworden, dass ein Neubau entlang der A 7 wirtschaftlicher und auch für die Zukunft tragfähiger sei. „Über diese Schienen muss der Bahnverkehr zwischen Hamburg und Hannover für die kommenden hundert Jahre rollen. Das funktioniert weder auf der Bestandsstrecke mitten durch Lüneburg noch durch eine Umfahrung im dicht besiedelten Speckgürtel.“
Auch aus den umliegenden Gemeinden kommen deutliche Worte
Das Lüneburger Stadtgebiet wäre von einem Ausbau der Strecke deutlich betroffen, sagt Oberbürgermeisterin Kalisch. Vor- und Nachteile müssten sehr gut abgewogen werden. „Diese Lösung hätte erhebliche Eingriffe in die Bausubstanz der Stadt und auch die verkehrliche Perspektive ist aus Lüneburger Sicht fraglich.“
Aus dem benachbarten Reppenstedt kommen noch deutlichere Worte. „Die Deutsche Bahn baut im Auftrage des Bundesverkehrsministeriums weiter Luftschlösser, anstatt den Schienenausbau in der Region ernsthaft voranzutreiben“, sagt Steffen Gärtner, Bürgermeister der Samtgemeinde Gellersen. „Eine neue Bahntrasse, die zwischen Lüneburg und Reppenstedt verläuft, ist auch durch das Neubaugebiet Schnellenberger Weg unsinnig. Dort werden bereits im kommenden Jahr viele Menschen ihre eigenen vier Wände errichten.“
Ein neues Wohngebiet entsteht gerade – direkt an der geplanten Umfahrungstrasse
Das in den vergangenen Monaten vorbereitete neue Wohngebiet mit 60 Einfamilien- und zehn Doppelhäusern entsteht am Ortsrand – direkt dort, wo die Umfahrungstrasse verlaufen würde. Auch der geplante Standort der kommunalen Kindertagesstätte wäre betroffen. Gärtner fordert daher: „Der Bundestag muss diesem unsäglichen und realitätsfremden Planungsprozedere endlich den Stecker ziehen.“
Ähnlich sehen dies Vertreter weiterer Gemeinden im Landkreis Lüneburg. Peter Rowohlt, Bürgermeister der Samtgemeinde Ilmenau, betont, eine Westumfahrung Lüneburgs sei eindeutig „unmöglich“ geworden. Auch Arndt Conrad, Erster Samtgemeinderat der Samtgemeinde Bardowick, bezeichnet die vorgestellten Pläne als „nicht realisierbar“. Ihre Auswirkungen sind aus seiner Sicht nicht verhältnismäßig. „Sie zerschneiden die Samtgemeinde Bardowick und beeinträchtigen die Menschen in Bardowick, Vögelsen und Radbruch massiv.“
Es sei so, als hätte man in Celle rosa Einhörner bestellt, sagt ein Kritiker
Auch unter Bürgern, die entlang der Bahnstrecke wohnen, regt sich seit Langem Protest. „Keine Variante belastet mehr Menschen als das Alpha E“, sagt Michael Hansen aus Deutsch Evern. Er ist erster Vorsitzender des Vereins „Anwohner gegen Ausbau DE 21“, der 2016 aus einer Bürgerinitiative hervorgegangen ist und sich für den Erhalt des natürlichen Lebensraums entlang der Bahntrasse Lüneburg-Uelzen einsetzt. Die Kritik des Vereins richtet sich unter anderem auf die Umstände, unter denen der Beschluss des Dialogforums in Celle gefasst wurde. Es seien überwiegend Personen aus Gebieten vertreten gewesen, die bei der dort favorisierten Variante keine Baumaßnahme zu erwarten hätten, sagt der Vorsitzende, und fast nur diese hätten zugestimmt. „Juristisch würde ich sagen, dort sei ein Vertrag zuungunsten Dritter geschlossen worden und somit rechtswidrig.“
Vor allem aber kritisiert er, dass Befürworter des Bestandsausbaus noch immer an dem Abschlussdokument des Dialogforums als beste Lösung festhalten – obwohl die Bahn bei ihrer Prüfung der Varianten zu einem anderen Ergebnis gekommen ist. Die neuen Erkenntnisse würden ignoriert. „Es ist so, als hätte man in Celle rosa Einhörner, die fliegen können, bestellt, und nun wird die Bahn verteufelt, wenn diese sagt, dass es keine fliegenden rosa Einhörner gibt“, so Hansen. „Es ist fachlich erwiesen, dass Alpha E nicht funktioniert. Zu teuer, nicht zukunftsfähig, keine ausreichenden Kapazitäten. Und es dauert zu lange.“
Auch der Ausbau der bestehenden Strecke wird drastische Folgen haben
Die Forderung, die bestehende Strecke auszubauen, hat aus seiner Sicht keine sachliche Grundlage mehr. Alpha-E sei „tot“ und müsse optimiert werden. „Wer eine Verkehrswende möchte, wer mehr Lkw von der Straße auf die Schiene haben möchte, wer eine Verbesserung des Personenverkehrs auf der Schiene möchte, braucht in dem Alpha einen Teil Neubaustrecke“, betont Hansen und meint damit die sogenannte Variante Alpha A 7. Die mit einem Bestandsausbau verbundenen Umfahrungen hätten einen ganz neuen Zerschneidungskorridor durch die Heide zur Folge. Gemäß dem Bündelungsgebot, nach dem die Trassen verschiedener Verkehrswege möglichst nah beieinander verlaufen sollen, sei der teilweise Neubau der Bahnstrecke nur entlang der A 7 sinnvoll.
Dies bedeute nicht, eine der im Dialogforum abgelehnten A-7-Varianten umzusetzen, sagt Hansen. Es gehe darum, das dritte Gleis nicht als Umfahrung durch die Heide, sondern als Teil der Alpha-Trasse an die Autobahn zu bringen. „Wenn die Alpha-Freunde aus dem Landkreis Harburg jetzt auf die Umfahrung durch die unberührte Natur des Landkreises Lüneburg bestehen und eine deutlich verträglichere Alpha-A 7-Variante verhindern, dann ist das offensichtlich das St.-Florian-Prinzip.“ Diesen sei offenbar nicht bewusst, dass für einen Ausbau Häuser abgerissen und Straßen verlegt werden müssten sowie Wald weichen müsse.
„Einen Konsens zu Alpha-E hat es nie gegeben“
Für seinen Protest setzt der Verein auf Fakten, Gesetze und politische Überzeugungsarbeit. „Wir werden nicht die populistischen Spiele nachahmen, Kinder auf den Acker fahren und Lärm machen“, sagt Hansen. „Unser Verein spricht für etliche tausend Anwohner der Bestandsstrecke, die im Falle eines Ausbaus unmittelbar betroffen wären und nicht erst mit dem Auto zu der Stelle fahren müssen, wo eine Neubaustrecke kommen könnte.
14 Vertreterinnen und Vertreter der Kommunen sowie Bundes- und Landtagsabgeordnete aus dem Landkreis Lüneburg und der Region haben vor Kurzem gemeinsam mit Landrat Jens Böther ein Schreiben an Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) unterzeichnet. „Unser gemeinsames Ziel ist die verkehrlich beste Lösung“, sagt Böther. Dafür fordere der Landkreis schon lange ein Raumordnungsverfahren, das alle Interessen abwägt. Wichtig sei den Unterzeichnenden eine tragfähige Lösung für die Zukunft, die den Bahnverkehr über Jahrzehnte aufnehmen kann – und nicht die Ablehnung von Strecken durch das eigene Gebiet. Beim Dialogforum seien betroffene Kommunen ausgeschlossen worden und auch einige Mitglieder hätten das Ergebnis klar abgelehnt, so der Landrat. „Einen Konsens zu Alpha-E hat es nie gegeben, das muss auch dem Bund klar werden.“