Landkreis Harburg. Pensionierte Lehrkräfte sollen dafür sorgen, dass weniger Unterricht ausfällt. Das Gymnasium Hittfeld zeigt, wie das geht.
Wegen des Lehrermangels und um Unterrichtsausfälle zu verringern, werden zunehmend pensionierte Lehrkräfte an die Schulen zurückgeholt. Das bestätigt das Kultusministerium Niedersachsen auf Abendblatt-Anfrage. Demnach stieg die Zahl der pensionierten Lehrkräfte, die aus dem Ruhestand zurück in den Unterricht kehren von 51 im Jahr 2012 auf derzeit 179.
Die Anzahl der erteilten Wochenstunden durch diese Personengruppe erhöhte sich von 753 auf 2280. Im Raum Lüneburg-Harburg sind nach Angaben des Regionalen Landesamtes für Schule und Bildung aktuell 108 pensionierte Lehrkräfte vertraglich mit einer Gesamtstundenzahl von 915 Stunden an Schulen beschäftigt. Neun Lehrkräfte verstärken die Schulen im Landkreis Harburg mit insgesamt 77 Stunden.
Lehrermangel: Pensionierte Kräfte zurück in die Schule
Das Land Niedersachsen sieht die Aktivierung des bereits vorhandenen Lehrkräftepotenzials als notwendig an, da an vielen Schulen nicht ausreichend Personal zur Verfügung steht. Hinzu kommt, dass alleine in diesem Schuljahr zusätzlich 20.000 Schülerinnen und Schüler, die aus den ukrainischen Kriegsgebieten nach Niedersachsen geflohen sind, unterrichtet werden müssen.
Um den Mehrbedarf an Lehrkräftestunden zu decken, hatte das Land Niedersachsen bereits zum Schuljahresbeginn die Hinzuverdienstgrenze für pensionierte Lehrkräfte auf 150 Prozent angehoben und die die Mehrarbeitsvergütung für Lehrkräfte um 15 Prozent erhöht. Der finanzielle Anreiz soll dazu führen, dass sich die Arbeit für pensionierte Lehrkräfte finanziell lohnt.
Fünf „neue“ Kollegen am Gymnasium Hittfeld
„Die Landesregierung geht davon aus, dass auch lebensältere Lehrkräfte für die Unterrichtstätigkeit in der Schule geeignet sind“, so ein Ministeriumssprecher gegenüber dem Abendblatt. „Die pensionierten Lehrkräfte nehmen in der Regel kurz nach ihrem Eintritt in den Ruhestand oder unmittelbar im Anschluss an ihre berufliche Tätigkeit einen befristeten Vertrag im Nebenamt an.“ Das Verfahren komme bei den Eltern an. Beschwerden seien der Landesregierung nicht bekannt.
Zu den Schulen im Landkreis Harburg, die gezielt auch pensionierte Lehrkräfte zur Verstärkung zurückgeholt haben, gehört das Gymnasium Hittfeld in Seevetal. Als sich im vergangenen Schuljahr abzeichnete, dass sich aufgrund von Ausfällen im Kollegium größere Lücken auftun würden, fragte Schulleiter Frank Patyna bei mehreren pensionierten Kolleginnen und Kollegen an, ob sie nicht in den Unterricht zurückkehren wollten. Mit Erfolg. Auf diese Weise verstärkte er das Kollegium um fünf Kräfte, die in diesem Schuljahr für Entlastung sorgen. „Das klappt prima“, sagt er. „Die Kolleginnen und Kollegen, die zurückkehren, verfügen über entsprechende pädagogische und didaktische Erfahrungen und Konzepte.“
Irmgard Bierwisch ist eine von ihnen. Seit 1982 arbeitet die heute 67-Jährige im Schuldienst. Seit 2004 ist sie am Gymnasium Hittfeld tätig. Sie hat viel erreicht, eine Imker-AG geleitet, sich für Nachhaltigkeitsprojekte engagiert und dafür gesorgt, dass das Gymnasium als Umweltschule ausgezeichnet wurde. Im Juli 2021 wurde sie offiziell verabschiedet. Sie hatte sich auf die Zeit im Ruhestand gefreut. Doch bereits elf Monate danach holte sie der Schulleiter zurück ans Gymnasium. „Zwei Bio-Lehrer waren ausgefallen – und ich wurde in der Oberstufe gebraucht“, sagt sie. Sie kehrte zurück – und blieb.
Auch Kollege Josef Fleddermann ist einer von den „neuen Alten“
Auch Kollege Josef Fleddermann ist einer von den „neuen Alten“. 30 Jahre hat er als Lehrer für Politik und Wirtschaft, Geschichte und Englisch gearbeitet, alle Schulformen kennengelernt. 2018 wurde er aufgrund einer Erkrankung frühpensioniert. Als er im Sommer zur 50-jährigen Jubiläumsfeier seine ehemalige Schule besuchte, sprach ihn der Schulleiter an. Fleddermann schrieb eine Bewerbung. Jetzt ist er an drei Tagen pro Woche mit insgesamt zehn Stunden zurück im Unterricht. „Ich habe Routine, fühle mich sehr wohl“, sagt er. So geht es auch Annette Hardinghaus-Spendlin, die mit 68 Jahren die älteste im Rückkehrer-Team ist. Sie ist Lehrerin für Deutsch, Kunst und Religion und sagt: „Ich arbeite noch immer gern.“
Und schließlich ist da noch Frank Peter Koch, 64 Jahre alt , seit vier Jahren im Ruhestand. Doch anders als seine Mitstreiter kommt er aus der freien Wirtschaft, hat 32 Jahre lang für einen internationalen Mineralölkonzern gearbeitet, 100 Mitarbeiter geführt und alle zwei Jahre eine neue Aufgabe übernommen. Frank Peter Koch, Diplomchemiker, der nach eigenen Angaben die Fächer Chemie, Mathe und Physik bis zum Abitur unterrichten könnte, ist viel in der Welt herumgekommen, hat wöchentlich bis zu 60 Stunden gearbeitet. Im Sommer bewarb er sich beim Gymnasium Hittfeld als Lehrkraft. Sechs Stunden in der Woche gibt er nun Chemieunterricht. „Ich habe von Pädagogik keine Ahnung“, sagt er. „Aber ich weiß noch genau, wie ich als Jugendlicher drauf war, was mich bewegt und getrieben hat. Ich weiß, wie junge Menschen sich fühlen. Wir kommen prima klar.“ Es sei seine Aufgabe, den Jugendlichen zu helfen, erwachsen zu werden. „Sie sollen lernen, Entscheidungen zu treffen und die Konsequenzen zu tragen. Und sie müssen begreifen, dass sie für sich lernen, nicht für mich.“
„Lehrer waren für mich immer Besserwisser, die ständig frei hatten!“
Mit seinem Engagement als Lehrkraft will Frank Peter Koch seiner sozialen Verantwortung nachkommen. „Aber ich habe auch für mich selbst hier eine Menge dazugelernt“, sagt er. „Lehrer waren für mich immer Besserwisser, die darüber hinaus noch ständig frei hatten. Heute weiß ich, dass das Lehramt der wichtigste Beruf überhaupt ist. Lehrer wirken maßgeblich mit ihrem Einsatz an der Zukunft des Staates mit. Sie bringen die jungen Menschen auf den Weg. Das ist die größte Aufgabe überhaupt.“