Süderelbe. Tee, Heizkissen und Wolldecken im Gottesdienst: Wie die Kirchengemeinden in der Region auf die hohen Energiepreise reagieren.
Nach zwei Jahren der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie könnte den Kirchen zur Advents- und Weihnachtszeit der nächste Tiefpunkt beim Gottesdienstbesuch drohen, denn die Energiekrise zwingt auch die Kirchengemeinden zu teils unpopulären Maßnahmen. Gerade Kirchen sollten offen für die Menschen und ein „Wärmeort“ sein. Doch die Erfüllung dieses Anspruchs fällt den Kirchengemeinden zunehmend schwer: Die Energiekrise betrifft selbstverständlich auch die christlichen Gemeinschaften, die oft große und alte Gemäuer zu unterhalten haben und auch bei ihren anderen Räumlichkeiten deutlich höhere Energiekosten stemmen müssen. Droht der Kirche nun die Kältestarre?
Die Cornelius-Kirchengemeinde in Fischbek ist um mehr als die Hälfte geschrumpft
Die zusätzlichen Kosten kommen in Zeiten ohnehin knapper Kassen. So steckt die Cornelius-Kirchengemeinde in Fischbek bereits mitten in einer tiefen Finanzkrise, die, wie im Abendblatt berichtet, Entlassungen und Streichungen im Angebot nach sich zieht. Die Kirchengemeinde ist in den vergangenen Jahrzehnten um mehr als die Hälfte zusammengeschrumpft und steht mit diesem Problem nicht allein auf weiter Flur. Und nun kommen die hohen Energiekosten für das 1964 fertiggestellte Ensemble mit Gemeindehaus, Pfarrhaus und Kirche hinzu.
„Wir gehen äußerst sparsam mit der Energie um, haben aber kein Konzept, das für den ganzen Winter gültig wäre“, sagt Pastor Gerhard Janke. „Wir müssen es ausprobieren. Alles ist von den Außentemperaturen und der Corona-Lage abhängig.“ Aktuell wird die Kirche gar nicht geheizt, genau wie das Gemeindehaus. „Wir haben aber inzwischen das Wochenprogramm so verdichtet und umgelegt, dass es an zwei Tagen stattfinden kann. Wenn es kälter wird, werden wir an diesen beiden Tagen etwas heizen, an den anderen Tagen wird es kälter bleiben“, so Janke.
Die Michaeliskirche in Neugraben hat 60 Wolldecken gekauft
Zudem werde täglich der Gasverbrauch gecheckt sowie die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit in allen Räumen. „Wir befragen unsere Teilnehmenden an Gottesdiensten und Gemeindeveranstaltungen auch regelmäßig, wie sie die kühlen Temperaturen in Kirche und in den Räumen aushalten und raten grundsätzlich zu warmer Kleidung“, so Janke. Außerdem werde versucht, der Temperatur angepasste kürzere Formate zu entwickeln. „So tasten wir uns Woche für Woche voran und werden immer wieder unsere Maßnahmen anpassen, um möglichst wenig Energie zu verbrauchen und gleichzeitig darauf zu achten, dass die Gebäude keinen Schaden nehmen“, so Janke.
Die Michaeliskirche in Neugraben wird zu den Gottesdiensten nur noch auf 14 Grad geheizt, die genutzten Räume im Gemeindehaus auf 19 Grad, wie Herwig Meyer, Vorsitzender des Kirchengemeinderates der Evangelisch-Lutherischen Michaeliskirchengemeinde mitteilte. „Wir haben außerdem 60 Wolldecken gekauft, die schon genutzt werden. Und ab dem 8. Januar werden die Gottesdienste im Gemeindehaus stattfinden“, so Meyer. Die Gemeindeglieder reagierten sehr verständnisvoll.
Die Lutherkirchengemeinde möchte keine Kirchensteuern „zum Schornstein rauspusten“
Auch die Evangelisch-Lutherische Thomasgemeinde Hausbruch-Neuwiedenthal-Altenwerder hat sich dazu entschlossen, eine „Winterkirche“ einzurichten. „Das bedeutet, dass alle Gottesdienste im geheizten Gemeindesaal der Kirche stattfinden, außer an Heiligabend, am 1. Weihnachtstag, an Silvester und eventuell Neujahr. Zu diesen Festen wird die Kirche geheizt“, sagt Cordula Diekmann aus dem Gemeindesekretariat.
Die Lutherkirchengemeinde in Neu Wulmstorf teilt der Gemeinde momentan zu jedem Gottesdienst mit, dass sie die Kirche nicht auf Hochtouren heizen werde, um „unseren Beitrag in der durch den verbrecherischen Angriffskrieg auf die Ukraine ausgelösten Energiekrise zu leisten“. Um keine Kirchensteuermittel „zum Schornstein rauszupusten“, werde die Heizung nur minimal aufgedreht. Die Gottesdienstbesucher werden aufgefordert, sich einen dicken Pullover und eine geeignete Jacke anzuziehen. „Es liegen auch Decken bereit“, so Pastor Florian Schneider. Die nächtliche Absenktemperatur im Gemeindehaus betrage nun etwa 17 bis 18 Grad Celsius.
Wenn es hart auf hart kommt, werde man eine „Wärmestunde“ einrichten
„Bedingt durch die Sanierung am Gemeindehaus inklusive Wärmedämmung können wir die Heizungen in den nicht benötigten Gemeinderäume auf das Minimum herunter drehen. Die Gefahr von Frostschäden oder Schimmelbildung ist nicht gegeben“, so Schneider. Noch ist es für die Jahreszeit relativ warm. Aber der Pastor fragt sich, was die Gemeinde sagt, wenn es kälter wird: „Wird es gemütlich sein im Gottesdienst mit Decken wie im Straßencafé in Kopenhagen? Oder wird es einfach nur sehr kalt sein?“ Auch für diesen Fall hat die Neu Wulmstorfer Kirchengemeinde bereits Angebote in der Schublade. „Wenn es hart auf hart kommt, werden wir eine ,Wärmestunde’ einrichten, die ,Café 22 Grad’ heißen soll“, kündigt Schneider an.
Auch die St.-Pankratius-Kirchengemeinde in Neuenfelde betreffen die unkalkulierbaren Heizkosten mit ihrem Gemeindehaus und der großen und hohen Kirche. Sparmaßnahmen seien unumgänglich, so Pastor Ralf Euker. Die Kirche werde in diesem Winter maximal auf zehn Grad Celsius erwärmt. „Die Heizung ganz abzuschalten, wäre gefährlich für die Arp-Schnitger-Orgel und die übrige historische Einrichtung, da die Gasheizung auch dafür zuständig ist, die Luftfeuchtigkeit zu regulieren“, erläutert Euker.
Die Kirche in Moisburg braucht sechs Stunden, um sich auf 16 Grad zu erwärmen
Im Gemeindehaus sollen das Büro und die übrigen Räume – wenn sie genutzt werden – maximal auf 19 Grad Celsius aufgeheizt werden. Die Nutzer werden aufgefordert, vor dem Verlassen der Räume alle Heizungsthermostate auf „1“ zu stellen. Zudem bleiben die Elektroheizungen in der Friedhofskapelle während der ungefähr 20-minütigen Trauerandachten bis auf Weiteres aus.
Die Kirche in Moisburg ist zwar viel kleiner als die in Neuenfelde, aber auch dort benötigt vor allem die Orgel Schutz vor klirrender Kälte. Das Gebäude mit seinen wertvollen Deckenmalereien, das erstmals im 13. Jahrhundert erwähnt wurde, hat dagegen schon viele Krisenzeiten erlebt – ohne Heizung. Um den Kirchenraum auf 16 Grad zu erwärmen, ist mindestens eine Vorlaufzeit von sechs Stunden erforderlich, erklärt Pastorin Svenja Kluth. Dennoch möchte auch die Moisburger Kirchengemeinde weiter ein Ort der Wärme für die Gläubigen sein. „Es liegen Wolldecken bereit und es sind Wärmflaschen-Gottesdienste oder ein heißer Tee zum Aufwärmen im Gottesdienst denkbar“, sagt Kluth. „Aber wenn es zu kalt wird, ziehen wir ins Gemeindehaus um.“
In der Krise und bei Kälte rücken die Christen enger zusammen
Einige Kirchengemeinden, wie etwa die St.-Andreas-Kirchengemeinde in Hollenstedt, setzen schon seit Jahren auf das Konzept der „Winterkirche“. Auch die Corona-Pandemie haben viele Kirchengemeinden auf neue Ideen gebracht, was Formate wie Online- und Freiluft-Gottesdienste zeigen. Dabei gibt es auch ungewöhnliche Ansätze: So setzt St. Johannis in Lüneburg auf elektrische Heizkissen, damit die Gläubigen beim Beten nicht frieren müssen.
In der Krise und bei Kälte rücken die Christen zusammen und manchmal schickt der Himmel auch unerwartete Hilfe – etwa in Form eines kleinen Geldsegens: So hat Gemeindemitglied Mario Aldag seine Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro, die viele Erwerbstätige von der Bundesregierung zur Abfederung der hohen Energiekosten erhalten haben, für die Diakoniekasse der Lutherkirchengemeinde Neu Wulmstorf gespendet. Das Geld des promovierten Elektroingenieurs wird zwar nicht zum Heizen der Kirche verwendet, wärmt aber trotzdem die Herzen. Denn Pastor Schneider kennt genügend Bedürftige in seiner Gemeinde, die diese Hilfe dringend brauchen: „Ich denke an viele ältere Menschen, die oft aus falschem Stolz nicht nach Hilfe fragen, sondern die Heizungen in ihrer Wohnung bis auf das Äußerste drosseln werden“, so Schneider. Es bleibt in diesem Winter eben nicht nur in vielen Kirchen kalt.