Gilten. Cranberries werden auch im Heidekreis geerntet: Wilhelm Dierking ist einer der wenigen deutschen Landwirte, die die Vitaminbomben anbauen

Reihe für Reihe pflügt Wilhelm Dierking mit einem rasenmäherähnlichen Gefährt mit Dieselmotor durch die dicht bewachsene, dunkle Heidefläche. Von September bis Anfang November erntet er mit seinen Helfern sieben Tage die Woche die herbfruchtigen Cranberries auf den 15 Hektar großen Anbaufeldern. „Das ist keine Modefrucht, in den USA gibt es eine mehr als 200 Jahre alte Anbautradition“, erzählt der 61-Jährige auf seinem Hof in Gilten im Heidekreis.

Sein Vater brachte einige Sorten Heidelbeeren und auch die saure Cranberry schon vor 50 Jahren aus Amerika mit. Der Absatz der harten Früchte stieß im Hamburger Großmarkt allerdings nur auf Skepsis. „Brunhilde, das wird nix mit den Cranberries“, sagte mein Vater zu seiner Frau“, erzählt der Sohn lächelnd.

Blüte der Cranberry-Pflanze ähnelt dem Kopf eines Kranichs

Die Cranberry gehört neben der Blaubeere und der sogenannten Concord Grape zu den wenigen kommerziell angebauten Fruchtsorten, die in Nordamerika beheimatet sind. Botanisch gehört sie zur Familie der Heidekrautgewächse. Da die Blüte der Cranberry-Pflanze dem Kopf eines Kranichs ähnelt, wenn sie sich im Wind bewegt, gaben ihr die ersten europäischen Siedler den Namen Kranichbeere – „Crane Berry“.

Wilhelm Dierking erntet mit einer Maschine Cranberries auf einem Feld.
Wilhelm Dierking erntet mit einer Maschine Cranberries auf einem Feld. © dpa | Philipp Schulze

Es waren die Pilgrim Fathers, die 1620 als erste europäische Siedler an der Ostküste Nordamerikas landeten und von den indigenen Völkern Nordamerikas lernten, sich von heimischen Pflanzen und Tieren zu ernähren. Zum Dank luden die Neuankömmlinge ihre Lehrmeister ein, gemeinsam das Erntedankfest zu feiern – mit Truthahn und Cranberries. Damit war eine Tradition geboren, die noch heute Bestand hat: Alljährlich feiern die US-Amerikaner am letzten Donnerstag im November Thanksgiving. Und noch immer steht zur Feier des Tages ein Truthahn auf dem Tisch, serviert mit Cranberry-Sauce.

Begehrte Inhaltsstoffe wie Vitamin C und Omega-3-Fettsäuren

Dierking und seine Frau Sonja schauten sich daraufhin einige Farmen in Nordamerika an und stellten fest, dass sich der sandige, leicht feuchte Heideboden bestens für die rubinrote Frucht eignet. 1999 fingen sie mit einem halben Hektar vorsichtig an. Inzwischen läuft der Vertrieb dank der Inhaltsstoffe wie Vitamin C und Omega-3-Fettsäuren gut.

Gesundheitsbewusste Käufer bestellen so viel, dass die Moosbeere, wie sie auf Deutsch heißt, als unverdünnter Saft derzeit knapp wird. Die Kunden warten auf die neue Ernte. „Ich war früher im Winter ständig erkältet, aber dank unseres natürlichen Antibiotikums, das vorbeugend wirkt, ist das weg“, behauptet Sonja Dierking. Wissenschaftlich erforscht ist die Wirkung allerdings noch nicht.

„Der Anbau von Cranberries ist etwas ganz Extravagantes“

„Der Anbau von Cranberries ist etwas ganz Extravagantes“, sagt Fred Eickhorst, Vorsitzender der Vereinigung der Spargel- und Beerenanbauer Niedersachsen. Über Heidelbeeren – Niedersachsen baut 80 Prozent des bundesweiten Ertrags an – kann er eine Menge erzählen. Die Ernte sei ganz gut ausgefallen, die Bauern könnten mit der billigen Konkurrenz aus dem Ausland aber nicht mithalten. Die Cranberry stammt aus der Gattung der Heidelbeeren und wird beispielsweise in Litauen und Polen auf abgetorften Böden angebaut.

 Cranberrysaft steht in einem Regal bei Familie Dierking in der Lüneburger Heide.
Cranberrysaft steht in einem Regal bei Familie Dierking in der Lüneburger Heide. © dpa | Philipp Schulze

Hierzulande kennt Frank Saalfeld, Geschäftsführer des Netzwerkes der Spargel- und Beerenverbände, keinen Betrieb, der das außer den Dierkings kommerziell betreibt. „Ich bin der Überzeugung, dass Cranberries in unserer Region anzubauen nicht das Wahre ist“, sagt er. Er habe mit vielen Betrieben gesprochen und kenne nur ein, zwei in Ostdeutschland, die den Aufwand nicht scheuten. Im Gegensatz zu Blaubeeren handelt es sich bei der Kraanbeere, wie sie niederdeutsch heißt, um eine Flächen- statt Reihenkultur.

Die Kinder der Familie Dierking wollen den Hof nicht übernehmen

Weil die Cranberries so gut laufen, haben die Dierkings ihre Heidelbeeren ganz aufgegeben. In Cowboystiefeln erntet der Landwirt bei Wind und Wetter, denn die Zeit drängt: Der erste Frost kann die Beeren zerstören. „Sie sind sehr empfindlich gegen Blütenfrost, man muss höllisch aufpassen“, erzählt er. In den USA werden die Felder mit Wasser geflutet, die Früchte dann abgeschöpft.

Um die viele Handarbeit der Trockenernte zu bewältigen, müsse man schon Idealist sein: „Unsere Kinder wollen den Hof nicht übernehmen.“ Zu oft hätten sie miterlebt, wie an Wochenenden und Feiertagen neben der Arbeit für nichts anderes Zeit blieb. In einigen Jahren wollen die Dierkings etwas Land verpachten und sich ihren Hobbys widmen. Mal ins Pferdeland Montana reisen zum Beispiel, denn der Landwirt ist passionierter Wanderreiter und Amerika-Fan. „Ich liebe die Countrymusik, meine Frau macht Line-Dance“, eine Tanzform, bei der in Reihen und Linien vor- und nebeneinander getanzt wird.