Buxtehude. Initiative setzt sich für kostenfreie Verteilung von Lebensmitteln ein, denen sonst die Vernichtung droht. Die Pläne für Buxtehude sind konkret
Auf dem Weg vom Feld zum Teller wird nach Zahlen des Bundesumweltamts ein Drittel aller Lebensmittel verschwendet. Die Mengen sind kaum vorstellbar: Jedes Jahr werden in Deutschland rund 12 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Ein Großteil der Abfälle entsteht in privaten Haushalten. Jeder Mensch schmeißt demnach im Durchschnitt etwa 75 Kilogramm Lebensmittel im Jahr in den Müll. Gleichzeitig leiden weltweit viele Millionen Menschen unter Hunger. Dieses Ungleichgewicht möchten zunehmend mehr Menschen nicht mehr tatenlos hinnehmen.
Eine von ihnen ist Barbara Rode. Sie ist Foodsharing-Botschafterin für den Foodsharing-Bezirk Buxtehude und Umgebung innerhalb des 2012 gegründeten bundesweiten Vereins Foodsharing e. V., der sich der Rettung von Lebensmitteln verschrieben hat. Die internationale Foodsharing-Bewegung will der Lebensmittelverschwendung entgegen wirken. Die freiwilligen Helfer und Helferinnen sorgen dafür, dass ungenutzte Lebensmittel aus privaten Haushalten sowie kleinen und großen Betrieben an einem zentralen Ort gesammelt und dort von jedem kostenlos mitgenommen werden können. In Buxtehude ist die Initiative nun auch „offiziell“ angekommen: Die Hansestadt hat beschlossen, Foodsharing-Stadt zu werden. Der Stadtrat stimmte einem entsprechenden Antrag zu. „Das ist ein großer Schritt in die richtige Richtung“, so Rode. „Wir freuen uns, gemeinsam mit der Stadt in die Umsetzung zu gehen.“
Letzte Bastion vor der Mülltonne
Der Verein Foodsharing definiert sich als die „letzte Bastion vor der Mülltonne“ und setzt sich „für einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen und ein nachhaltiges Ernährungssystem“ ein – und zwar auf verschiedenen Wegen. Zum einen können Nutzerinnen und Nutzer auf der Foodsharing-Seite im Internet sogenannte „Essenskörbe“ erstellen und Lebensmittel anbieten, die sie selbst nicht mehr benötigen. Zum anderen gibt es die sogenannten „Foodsaver“, also ehrenamtliche Lebensmittelretter, die übrig gebliebene Lebensmittel bei teilnehmenden Betrieben abholen.
Die Weiterverteilung erfolgt über eine Vermittlung im Internet oder – wo bereits vorhanden – über kleine Verteiler-Stationen, sogenannte Fairteiler. Diese öffentlichen Anlaufstellen zum Teilen der Lebensmitteln bestehen in der Regel aus einem Regal und manchmal auch aus einer Kühlmöglichkeit für Lebensmittel wie Milch oder Joghurt. Sie befinden sich an leicht zugänglichen Orten, die auf der Foodsharing-Seite im Internet veröffentlicht werden und wo die geretteten Lebensmittel kostenfrei abgeholt werden können. Solche Fairteiler gibt es beispielsweise bereits in Stade, in Lüneburg, an der Technischen Universität in Harburg, in Wilhelmsburg und in verschiedenen anderen Stadtteilen Hamburgs.
Aktuell werden geeignete Räumlichkeiten für die Fairteiler gesucht
Und bald auch in Buxtehude, denn nach dem gemeinsamer Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Grüne, SPD, Die Linke und Die Partei, dem der Rat mehrheitlich zustimmte, will die Stadtverwaltung nun in Zusammenarbeit mit Barbara Rode ein Konzept für die Entwicklung zur Foodsharing-Stadt erstellen. Außerdem sollen geeignete Räumlichkeiten für die Fairteiler gesucht werden. „Ich begrüße diesen Grundsatzbeschluss durch den Buxtehuder Rat sehr. Die Wertschätzung für Nahrungsmittel und die Verringerung von Lebensmittelverschwendung noch stärker in das Bewusstsein der Menschen zu bringen, halte ich für wichtig“, sagt Buxtehudes Bürgermeisterin Katja Oldenburg-Schmidt. Als sogenannte Fair-Trade-Stadt setze sich Buxtehude seit Jahren mit Fragen fairer und nachhaltiger Produktion auch von Lebensmitteln auseinander.
„Diese Themen greifen meines Erachtens ineinander und ergänzen sich ideal – auch im Hinblick auf unsere gesamtstädtische nachhaltige Ausrichtung“, sagt die Bürgermeisterin vor dem Hintergrund, dass Buxtehude bis 2035 Klimaneutralität anstrebt. Denn durch die Verschwendung von Lebensmitteln gehen nicht nur die Lebensmittel selbst verloren, sondern auch die zur Herstellung verwendeten Ressourcen. So werden landwirtschaftliche Flächen belegt, Ressourcen wie Wasser, Düngemittel und Technik eingesetzt sowie Emissionen freigesetzt.
Finanzielle oder juristische Verpflichtung entsteht für die Stadt nicht
Eine Studie des wissenschaftlich unabhängigen Thünen-Instituts zeigt: Deutschland könnte die auf den Lebensmittelkonsum im Land zurückzuführenden Treibhausgasemissionen im Vergleich zum Jahr 2015 um 9,5 Prozent reduzieren. Voraussetzung dafür sei die Halbierung der Lebensmittelabfälle auf Einzelhandels- und Verbraucherebene bis zum Jahr 2030. Dieses Ziel hat sich auch die Bundesregierung im Rahmen der „Nationalen Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung“ gesetzt.
Eine finanzielle oder juristische Verpflichtung für die Stadt entsteht durch den Beschluss im Buxtehuder Rat allerdings nicht, wie Katja Oldenburg-Schmidt auf Abendblatt-Nachfrage bestätigt. Trotzdem denkt Lebensmittel-Retterin Rode nicht, dass das Thema Foodsharing in Buxtehude lediglich zu einem weiteren ökologischen Label mutieren könnte, denn die nächsten konkreten Schritte seien vorgegeben: „Der Auftrag der Politik sieht vor, dass die Initiative Foodsharing gemeinsam mit der Stadt ein Konzept entwickelt, wie zunächst ein öffentlicher Fairteiler in Buxtehude entstehen kann. Hierzu gibt es bereits einige Angebote“, so Rode. Die Buxtehuder Foodsharing-Gruppe habe sich zusätzlich Informationen von anderen Foodsharing-Bezirken mit bereits bestehenden öffentlichen Fairteilern angesehen, um gut funktionierende Konzepte aufzugreifen. „Diese werden wir mit der Stadtverwaltung diskutieren, um ein für Buxtehude passendes Vorgehen zu finden. Das Interesse auf unserer Seite, dabei möglichst zeitnah sichtbare Ergebnisse zu erreichen, ist natürlich sehr groß“, sagt die Foodsharing-Botschafterin.
Als Konkurrenz zur Tafel sieht sich die Initiative nicht – zumal es seit Mai eine Vereinbarung zwischen dem Dachverband Tafel Deutschland e.V. und dem Verein Foodsharing zur Kooperation und Zusammenarbeit gibt. „Zur speziellen Situation in Buxtehude kann ich sagen, dass die Zusammenarbeit mit der Tafel hervorragend funktioniert. Der gegenseitiger Austausch und die Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit der Tafel und auch mit anderen Initiativen zur Lebensmittelrettung und -verteilung klappt problemlos“, sagt Rode.