Winsen. Das „Internationale Café“ für Flüchtlinge in Winsen ist weiter gefragt. Organisator Markus Kalmbach fürchtet, das die Willkommenskultur schwindet
Vor neun Jahren wurde in Winsen das „Internationale Café“ der evangelischen Kirchengemeinde St. Marien eröffnet, eine Einrichtung mit Beispielcharakter auch über die Kirche hinaus. Zum Jahrestag werde deutlich, dass die Gründe für den wöchentlichen Treffpunkt im Gemeindehaus so aktuell sind wie nie zuvor, sagt der Koordinator und Gemeindepastor Markus Kalmbach im Gespräch. Die Zahl der zugewiesenen Flüchtlinge steige auch in der Stadt im Speckgürtel Hamburgs. Deshalb seien Begegnungen nötig: „Der Winter wird sonst schwierig werden.“
Was waren die Gründe für die Eröffnung des Cafés? Das war ja noch vor dem Flüchtlingsjahr 2015.
Markus Kalmbach: Im Sommer 2013 gab es im Landkreis vereinzelt fremdenfeindliche Aktionen. Das hat uns als Kirche ins Nachdenken gebracht, wie wir hier in Winsen vorbeugen und solche Tendenzen verhindern können. Obwohl es ja noch nicht die großen Zahlen waren, haben wir gesehen, dass die Zahl der Menschen aus anderen Ländern zunahm. Wir haben dann zu einem Treffen eingeladen und mehr als 60 Menschen kamen, die sich ehrenamtlich betätigen wollten. An dem Abend entstand die Idee für das Internationale Café.
Aktuell kommen sogar noch mehr Flüchtlinge als 2015, wie sehen Sie die Situation?
Die Zahlen sind seit einiger Zeit deutlich gestiegen. Der Landkreis muss derzeit ungefähr 90 Menschen pro Woche unterbringen. Das Problem ist, dass es kaum mehr Unterkünfte gibt. Im Speckgürtel von Hamburg existiert so etwas wie sozialer Wohnraum eigentlich nicht. Mehr und mehr werden Turnhallen genutzt oder Dorfgemeinschaftshäuser. Sowohl für „Weltflüchtlinge“, wie wir hier sagen, als auch für Menschen aus der Ukraine. Wobei der Landkreis für die Unterbringung der Weltflüchtlinge zuständig ist und die großen Sammelunterkünfte in seiner Hand sind. Mittlerweile bringen auch die Kommunen Menschen aus der Ukraine in Sammelunterkünften unter.
Es ist meine Sorge, dass wir zurzeit nicht mehr die große Willkommenskultur haben, wie wir sie aus 2015 kennen. Denn viele Menschen fragen sich, wie sie den Winter überstehen sollen - angesichts steigender Energie- und Lebenshaltungskosten. Sie haben das Gefühl, dass sie sich in dieser Situation nicht auch noch um Flüchtlinge kümmern können.
Kommen denn auch Flüchtlinge aus der Ukraine ins „Internationale Café“?
Es gibt eine Verabredung mit der Stadt und einem sozialen Träger, dass sie sonntags einen Treffpunkt für die Ukrainerinnen und Ukrainer anbieten. Dabei geht es den Menschen auch um etwas anderes als bei uns im „Internationalen Café“. Es ist für sie wichtig, sich untereinander auszutauschen. Es geht weniger um das Lernen der Sprache und um Integration, denn die Menschen aus der Ukraine hoffen meist noch darauf, bald zurückkehren zu können. Auch wenn jetzt so langsam durchsickert, dass es vielleicht nicht so sein wird.
Da ins Internationale Café manchmal bis zu 100 Menschen kommen, sind unsere Kapazitäten begrenzt und so freuen wir uns sehr, dass die Stadt hier Verantwortung übernommen hat.
Die Menschen aus der Ukraine haben ja auch einen anderen Status ...
Ja, das ist eine nicht sehr hilfreiche Unterscheidung. Die Ukrainer können sich frei bewegen und von Anfang an eine Arbeit aufnehmen. Die Weltflüchtlinge müssen darauf meistens Jahre warten. Das führt zu viel Unverständnis. Das ist ein großes Problem.
Was halten Sie für notwendig?
Angesichts der hohen Zuweisungen müssen die Menschen erst einmal in Sammelunterkünften untergebracht werden, in der Hoffnung, dass dann andere Unterkunftsmöglichkeiten erschlossen werden können. Doch gegen Sammelunterkünfte gibt es nach wie vor Vorbehalte. Nach dem Motto, wir haben ja nichts gegen Flüchtlinge, aber sie müssen ja nicht bei uns untergebracht werden. Hier sind Begleitung und Aufklärung notwendig.
Zudem müssen die Kommunen und der Landkreis noch mehr Geld in die Hand nehmen für eine umfangreiche soziale Begleitung der Flüchtlinge in den Unterkünften. Der Winter wird sonst schwierig werden. Der Landkreis hat aber leider in der Vergangenheit die Sozialarbeiterstunden reduziert. Da gibt es vieles, was besser laufen könnte. Eine gute Sozialbegleitung ist essenziell. Viele Geflohene sind ja auch traumatisiert. Als Kirche überlegen wir, wo wir unterstützend handeln können, auch wenn es sich zunächst um eine Aufgabe der Kommunen handelt.
Gab es denn im „Internationalen Café“ mal Konflikte?
Ein einziges Mal gab es einen kleinen Streit unter zwei Muslimen darüber, ob es im Fastenmonat Ramadan erlaubt ist, tagsüber Wasser zu trinken. Es ist wirklich ein Gottessegen, dass wir die ganzen Jahre über keine wirklichen Konflikte hatten. Auch in der Stadt hat es keine Ausschreitungen, Proteste oder gar Anschläge gegeben. Ich glaube, dass manche negative Entwicklung tatsächlich durch die Arbeit im „Internationalen Café“ aufgefangen wurde.
Haben Sie Wünsche für die Zukunft?
Wir haben nach wie vor Ehrenamtliche, die regelmäßig dabei sind - manche schon viele Jahre lang. Und es gibt die tolle Entwicklung, dass viele, die aus Afghanistan, aus Syrien oder Eritrea gekommen sind, mittlerweile selbst hier im Café engagiert sind. Sie kümmern sich um ihre Landsleute, wissen, was sie brauchen - etwa einen Anwalt. Sie haben all das schon einmal selbst mitgemacht. Das ist eine große Hilfe. Aber es könnten durchaus noch mehr werden, die ehrenamtlich dabei sind. Deshalb haben wir einen Aufruf gestartet und laden ganz herzlich zum Jubiläum des Internationalen Cafés am 29. Oktober ein, um die Arbeit kennenzulernen. Denn die Zahl derjenigen, die Unterstützung brauchen, steigt.