Landkreis Harburg. Ein leidenschaftliches Plädoyer von Abendblatt-Autorin Pauline Krause zur Landrat-Stichwahl im Landkreis Harburg. Aber nicht nur dazu.
Wählen ist wie der TÜV – es gehört einfach dazu. Wenn ich Auto fahren will, muss mein Auto alle zwei Jahre zum TÜV. Damit ich weiß, dass alles noch heil ist und falls nicht ist, dass ich die Probleme beheben kann. In der Demokratie ist das nicht viel anders. Nur, dass wir – die Bürgerinnen und Bürger – in diesem Fall der TÜV sind, die der Regierung ein Zeugnis ausstellen, ob es so weitergehen kann oder nicht. Es ist ein Privileg, wählen zu dürfen und zu wissen, dass die eigene Stimme auch zählt.
Ich werde nicht gezwungen, eine bestimmte Person zu wählen, weil neben meiner Wahlkabine ein Mann mit Gewehr steht. Auf dem Stimmzettel steht auch nicht nur eine Partei, die ich entweder wählen kann oder womöglich als Nichtwähler verfolgt werden könnte. Ich habe das Privileg, es nie anders gekannt zu haben. Vorwürfe von gefälschten Wahlergebnissen, zweifelhaften Referenden oder Angriffen auf Regierungsgebäude kenne ich nur aus den Nachrichten.
In Deutschland bekomme ich ganz bequem einen Brief nach Hause, der mich darüber informiert, dass ich bald wählen gehen kann, nicht muss. Es ist mir sogar möglich, am Wahltag im Urlaub zu sein und im Vorfeld lediglich einen Briefumschlag mit meiner Entscheidung in den nächstgelegenen Briefkasten zu werfen. Veränderung kann so leicht gehen.
Als junger Mensch möchte ich meinen Teil zur Entwicklung des Landes beitragen
Mit meinen 22 Jahren habe ich noch nicht viele Wahlen mitmachen können. Meine allererste Wahl war die Europawahl 2019. Ich stand direkt nach dem Frühstück an der Urne. Bei der Landtags- und Landratswahl vor zwei Wochen war ich im Urlaub und habe abends jede neue Hochrechnung mitverfolgt. Hauptsächlich mit der Hoffnung, das von mir gewünschte Ergebnis zu sehen. Das hat wenig damit zu tun, dass ich mit Niedersachsen besonders verbunden wäre. Ich habe schon in mehreren Bundesländern gewohnt. Als junger Mensch, der noch viele Jahrzehnte die Entwicklung dieses Landes mitverfolgen wird, ist es für mich unabdingbar, meinen Teil dazu beizutragen, auch wenn er nur klein sein mag.
Letztlich sind es nur ein paar Kreuze. Aber – wie bei jedem anderen Menschen auch – gibt es Veränderungen, die ich mir wünsche und andere, die ich nicht möchte. In meinem privaten Leben kann ich versuchen, nach meinen Vorstellungen zu leben, aber es gibt eine Bevölkerungsgruppe, die in der Lage ist, Veränderungen auf großer Ebene zu bewirken. Politiker und Parteien sind die von uns gewählten Repräsentanten, die die eigene Stadt oder das Bundesland in die eine oder andere Richtung bewegen können. Nur indem ich zur Wahl gehe, kann ich darauf ein klein wenig Einfluss nehmen.
Umsetzung eigener politischer Ideen dauert nicht selten jahrelang
Nun ist nicht jeder 22 Jahre jung und studiert ausgerechnet Politikwissenschaft. Ich bekomme oft die Frage gestellt, ob ich später in die Politik möchte. Ich habe sie jedes Mal verneint. Es würde mich wahrscheinlich nur frustrieren. Mit Glück erlebt man es in der eigenen oder nächsten Regierung mit, wenn ein eigenes Anliegen in die Tat umgesetzt wird. Ich versuche mein Glück lieber woanders. Umsonst ist mein Studium deswegen nicht. In vier Jahren habe ich so viel über politische Prozesse, internationales Regieren, Wahlsysteme und unterschiedliche Betrachtungsweisen all dessen gelernt, dass ich jetzt weiß und sogar beweisen könnte, dass jede Stimme zählt.
Mein Blick auf Politik wurde maßgeblich durch Bildung geprägt. Aber es gibt noch einen anderen wichtigen Aspekt: Wählen wurde mir vorgelebt und ich hatte schlichtweg Glück. Ich bin weiß, habe immer ein gut situiertes Leben geführt und mir standen alle Bildungswege offen. Kurz: ein privilegiertes Leben. Wissenschaftlich wurde unter anderem von Armin Schäfer oder Thorsten Faas nachgewiesen, dass die ökonomische Situation, der Bildungsgrad, die Sozialisierung und sogar der Wohnort Faktoren sind anhand derer man ableiten kann, ob jemand wählen geht und sogar zu welcher Partei er oder sie tendiert.
Regierungen sind weder böse noch faul oder eigennützig
Allein aus meiner Vita ließe sich ablesen, dass ich mit hoher Wahrscheinlichkeit wählen gehe. Aber erst das Studium hat mir gezeigt, was Politik eigentlich bedeutet und dass Regierungen weder böse noch faul oder eigennützig sind. Politik ist ein langwieriger Prozess. Von der ersten Diskussion im Plenum bis zum Gesetz dauert es oft viele Jahre. Das kann Bürger und Bürgerinnen, die oft nur wenige Minuten am Abend etwas vom politischen Tagesgeschäft mitbekommen, verdrießen. Was man selten hört ist, dass die vorherige Bundesregierung 80 Prozent ihrer Koalitionsversprechen in die Tat umgesetzt hat.
Genauso lange wie es dauert, um manche politischen Vorhaben in die Tat umzusetzen, dauert es auch, um Veränderungen in der Zusammensetzung des Parlamentes zu bewirken. Aber auch das ist möglich, wie man an Bündnis 90/Die Grünen sieht. 1980 gründeten sie sich als Protestpartei, nun sind sie zum zweiten Mal Teil der Bundesregierung. Ein politischer Wandel, der auch von gesellschaftlichem Wandel mitgetragen wird. Eine neue, junge Wähler-Generation ist aufgetreten.
Eine Stimme kann entscheiden, welche Partei den letzten Sitz bekommt
Das alles zu verstehen und nachvollziehen zu können, hat mich einige Jahre gekostet. Wer noch immer nicht glaubt, dass die eigene Stimme irgendetwas bringt, sollte sich die Berechnung der Sitzverteilung bei einer Wahl anschauen. Ein sehr komplexes Verfahren, aber das Fazit ist: am Ende kann eine einzige Stimme darüber entscheiden, welche Partei den letzten Sitz bekommt.
Je nachdem, wer diesen Sitz bekommt, kann eine Regierung entstehen oder an der Mehrheit scheitern. Man muss auch nicht deshalb wählen gehen, weil man von einer Person oder Partei überzeugt ist. Es geht genauso, weil man sich gegen etwas positionieren will. Weil man mit einer Stimme einer unliebsamen Partei einen Sitz weniger geben kann.
An diesem Sonntag ist im Landkreis Harburg die Stichwahl des Landrates. Ein fast traditioneller Kampf zwischen Mitte-Links und Mitte-Rechts. Gehen Sie wählen, weil Sie für das Eine oder gegen das Andere sind. Gehen Sie wählen, weil Sie es im Gegensatz zu vielen anderen Menschen in der Welt und auch in Deutschland können. Weil Sie eine Wahl haben.
Wahl am Sonntag: Streben nach Veränderung vs. modern und bürgernah
Bei der Landratswahl am 9. Oktober erreichte keiner der drei Kandidaten die absolute Mehrheit, weshalb es nun die Stichwahl gibt. Rainer Rempe (CDU) hatte 47,7 Prozent der Stimmen auf sich vereinigt, Michael Cramm (SPD) 40,9 Prozent.
Cramm wirbt mit Tatkraft und möchte Veränderungen in den bisher „konservativ und routiniert“ verwalteten Kreis bringen. Rempe sieht die Kreisverwaltung und sich als „modernen und bürgernahen Verwaltungsdienstleister“. Diesmal wird der Landrat für neun Jahre gewählt. Er vertritt den Landkreis nach außen und leitet die Kreisverwaltung.