Lüneburg/Winsen. Suizidprävention in der Gemeinde – das war Thema einer Tagung in der Psychiatrischen Klinik Lüneburg. Vorbild ist Frankfurt.

Wenn Menschen in schwere seelische Krisen geraten, kann das für sie lebensbedrohlich werden. Im Jahr 2020 nahmen sich nach Angaben des Bundesamts für Statistik in Deutschland rund 9200 Menschen das Leben, das sind 25 Todesfälle pro Tag – dreimal so viele wie durch Verkehrsunfälle. Rund drei Viertel der Selbsttötungen wurden von Männern begangen. Den Entschluss zum Suizid können neben seelischen Störungen zum Beispiel auch übermäßiger Stress, finanzielle Probleme, schwere Erkrankungen und familiäre Konflikte begünstigen.

Damit es möglichst gar nicht so weit kommt, wollen mehrere Einrichtungen aus den Landkreisen Lüneburg und Harburg sich stärker mit dem Thema befassen. „Suizidprävention in der Gemeinde“ lautete das Thema eines Fachtags in der Psychiatrischen Klinik Lüneburg (PKL), der den Anstoß geben soll, dass sich die Akteure in Zukunft noch besser vernetzen und ihre Hilfs- und Beratungsangebote aufeinander abstimmen.

„Das Thema betrifft uns alle, wir sollten daher die verschiedenen Perspektiven zusammenbringen und auch Synergie­effekte suchen“, sagt David Korting, Leiter des Sozialdiensts der Erwachsenenpsychiatrie in der PKL und Erster Vorsitzender des Landesverbands Niedersachsen der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie. Die PKL ist für die Versorgung von etwa 440.000 Menschen in einem Gebiet zuständig, das sowohl die Stadt und den Landkreis Lüneburg als auch den Landkreis Harburg umfasst.

Vorbild bei dem Thema ist die Stadt Frankfurt am Main

Vorbild bei dem Thema ist die Stadt Frankfurt am Main, die bereits 2014 das Frankfurter Netzwerk für Suizidprävention – kurz: „Frans“ – gegründet hat. Die Idee dahinter sei gewesen, zusätzlich zu bundesweit bereits initiierten Ansätzen konkrete Angebote vor Ort anzustoßen, sagt Dr. Christiane Schlang aus der Abteilung Psychiatrie beim Frankfurter Gesundheitsamt. Zu dem Netzwerk zählen unter anderem Kliniken, Rettungsdienste, Kirchen, die Polizei, städtische Ämter, Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen. Die Koordination hat das Gesundheitsamt der Stadt übernommen, zweimal im Jahr treffen sich Vertreter der beteiligten Einrichtungen. In verschiedenen Arbeitsgruppen vertiefen sie bestimmte Themen, zum Beispiel die Versorgung von Kindern und Jugendlichen, den ärztlich assistierten Suizid, die Datenerhebung und die Öffentlichkeitsarbeit.

Mittlerweile hat sich die Stadt Frankfurt offiziell vorgenommen, eine „suizidsichere Stadt“ zu werden. „Denn Suizid ist die häufigste Todesursache bei psychisch erkrankten Menschen“, sagt Schlang. In Frankfurt nehmen sich etwa 90 Menschen pro Jahr das Leben, im vergangenen Jahr ist die Zahl etwas gesunken. Ob dies bereits auf die Präventionsarbeit zurückzuführen ist oder lediglich der verzögerten Datenerhebung während der Corona-Pandemie zuzuschreiben ist, ist noch unklar. Generell sei ein Effekt auf die Suizidrate schwer messbar und frühestens nach mehreren Jahren zu erwarten, sagt Schlang und betont: „Präventionsarbeit braucht ihre Zeit.“

Menschen schnelle, effiziente und einfache Hilfe zukommen lassen

Auch in der Region um Lüneburg könnte so ein Netzwerk die Hilfe für Menschen mit Suizidgedanken und auch für ihre Angehörigen in Zukunft verbessern. „Wir wollen für das Thema sensibilisieren, um den betroffenen Menschen schnelle, effiziente und einfache Hilfe zukommen zu lassen“, sagt Dr. Marc Burlon, Ärztlicher Direktor der PKL und Chefarzt der Erwachsenenpsychiatrie. Dazu gehöre auch, die Datenlage zu verbessern, denn bisher gebe es keine konkreten Zahlen zu Suizidfällen in den Landkreisen. Der Fachtag, bei dem die wichtigsten Multiplikatoren mit dem Projekt Frans in Kontakt gebracht wurden, sei ein Anfang gewesen. „Im nächsten Schritt geht es darum, was wir wie konkret umsetzen können, Schritt für Schritt. Dafür ist es zunächst notwendig, dass sich die Gemeinden entscheiden, offensiv mit dem Thema umzugehen.“

„Im Landkreis Harburg gibt es bereits seit langem ein gut ausgebautes sozialpsychiatrisches Versorgungsangebot mit funktionierenden Netzwerkstrukturen“, sagt Dr. Peter Schlegel, Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes im Landkreis Harburg. So sei dort seit 2011 ein Krisendienst täglich telefonisch erreichbar und in einem Modellprojekt mit der PKL werden psychisch erkrankte Menschen nicht stationär, sondern in ihrem gewohnten Umfeld zu Hause behandelt. „Ausbaufähig ist allerdings die Zusammenarbeit in der Krisenhilfe über die Landkreisgrenzen hinweg mit Erweiterung der bisher angebotenen Zeiten“, so Schlegel.

„Wir können einiges aus Frankfurt lernen“, sagt auch Steffen Hummel vom Sozialpsychiatrischen Dienst beim Landkreis Lüneburg. Ziel müsse es sein, strukturiert an einer Verbesserung des bestehenden Angebots zu arbeiten. Das betreffe auch ganz praktische Dinge, wie die Betreuung von Angehörigen von Menschen mit Suizidgedanken. Ein entsprechendes Gruppenangebot fehle bisher im Landkreis. Doch das soll sich bald ändern: Für Februar kommenden Jahres ist der Start einer neue Angehörigengruppe geplant. In Zukunft sollen Betroffene und Mit-Betroffene noch leichter passende Angebote in der Region finden. Denn wie das Frankfurter Netzwerk Frans auf seiner Internetseite schreibt: „Es ist okay, sich nicht okay zu fühlen. Aber es ist nicht okay, mit niemandem darüber zu reden.“

Etwa einer von hundert Todesfällen weltweit ist ein Suizid. Rund 700.000 Menschen nahmen sich laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 2019 das Leben. Das waren zwar deutlich weniger als noch im Jahr 2000, damals lag die Rate der Selbsttötungen um 36 Prozent niedriger. Die Coronapandemie hat das Risiko wieder erhöht, da viele Menschen ihren Arbeitsplatz verloren haben, in finanzielle Sorgen geraten sind oder unter sozialer Isolation leiden.

Selbsttötungen sind jedoch vermeidbar, betont die WHO. Es könne viel getan werden, um Suizid auf individueller, gemeinschaftlicher und nationaler Ebene zu verhindern. Die entsprechenden Leitlinien der WHO zur Suizidprävention folgen vier zentralen Strategien: Den Zugang zu hochgefährlichen möglichen Suizidmitteln einschränken, über verantwortungsvolle Berichterstattung aufklären, sozio-emotionale Lebenskompetenzen bei Jugendlichen fördern sowie Früherkennung und Nachsorge bei suizidgefährdeten Menschen verstärken. Das Ziel: Die Selbstmordrate bis 2030 um ein Drittel zu senken.