Ehestorf (Rosengarten). Mit Erklärschildern ordnet das Freilichtmuseum jetzt kontroverses Spielzeug ein. Werden bald auch Geschlechterstereotype erklärt?
Im Spiel begreifen Kinder die Welt. Wie und was gespielt wird, bestimmt oft auch die Weltwahrnehmung der Erwachsenen, bewusst oder unbewusst. Das ist nicht immer unproblematisch. Wenn beispielsweise beim Cowboy-und-Indianer-Spiel der 50er- bis 90er-Jahre immer der Cowboy gewann und der Indianer meistens tot war, spiegelt das zwar einerseits historische Fakten aus der Vergangenheit der USA und Kanadas wider; andererseits zementierte es bei vielen auch ein Weltbild der europäischen Überlegenheit, das ein Großteil der Weltgesellschaft mittlerweile überwinden möchte.
Solche Gedankengänge lassen Besucher historischer Spielzeugausstellungen die Exponate vielleicht mit anderen Augen sehen – nämlich auch als Blick ins Weltbild der jeweiligen Zeit. Um ihren Besuchern beim Nachdenken zu helfen, hat die Dauerausstellung „Spielwelten“ im Freilichtmuseum Kiekeberg jetzt eine „Intervention“ – das ist Kultursprache für „Eingriff“ – in die Ausstellung installiert.
Freilichtmuseum Kiekeberg: Spielzeug mit rassistischen und diskriminieren Klischees
In der neu eingerichteten Intervention wirft das Museum einen kritischen Blick auf die eigene Sammlung. Auch Besuchende sind ab sofort dazu eingeladen, ihren Blick auf Bekanntes zu reflektieren und Unbewusstes zu hinterfragen. Einige der 1000 Ausstellungsstücke bilden rassistische und diskriminiere Klischees ab, die das Museum nicht länger unkommentiert stehen lassen möchte: Die Kuratorinnen haben gemeinsam mit Eric Mbarga, Referent für Antirassismus- und Antidiskriminierungsarbeit in Bayern, die Exponate nochmals kritisch betrachtet und ergänzende Texte verfasst. Diese sind auf halbtransparente Folien gedruckt, sodass die Exponate noch sichtbar sind, Betrachter um die Einordnung aber nicht herumkommen.
„Uns wurde klar, dass wir reproduzierte Rassismen und Diskriminierungsformen nicht weitertragen und verharmlosen möchten – vor allem, weil rassistische Diskriminierung auch Teil der Gegenwart ist“, erklärt Museumsdirektor Stefan Zimmermann.
„Es ist uns wichtig, die den Exponaten anhaftenden Geschichten von Ausbeutung, Gewalt und Benachteiligung sichtbar zu machen und diese einzuordnen“, ergänzt Verena Pohl, Leiterin der Abteilung Volkskunde.
Texte erläutern, wie sich Rassismus in Spielzeug eingeschrieben hat
Die neuen Texte erläutern, wie sich Rassismus und Eurozentrismus in Spielzeugen eingeschrieben haben, und regen die Besuchenden dazu an, diese zu reflektieren und zu hinterfragen. Zusätzliche Verweise schränken die Sicht auf einige Exponate ein, um für die Wahrnehmung von Rassismus und Diskriminierung zu sensibilisieren.
Die Ausstellung „Spielwelten“ steht Museumsbesuchern seit 2016 offen. Interessierte erfahren seitdem, wie sich Spielen und Spielzeuge in den Jahren von 1950 bis 1980 veränderten. Über tausend Exponate und Mitmachangebote laden zu einer Reise in die Vergangenheit ein. Aufwendig inszenierte und begehbare Spielzeugläden von 1900, 1950 und 1980 verdeutlichen mit ihrer authentischen Einrichtung den rasanten Wandel in der Spielzeugkultur im Laufe des vergangenen Jahrhunderts. Gleichzeitig vermitteln sie auch die zeitlose Faszination von Spielzeugläden für Kinder und Erwachsene.
Werden bald auch Geschlechterstereotype erklärt?
Neben den historischen Spielzeugen aus der Gründerzeit und den 1950er-Jahren sind es oft auch die Spielzeuge der 1980er-Jahre, die hier die Generationen miteinander ins Gespräch kommen lassen. Eltern und Großeltern aus der Babyboomer-Generation entdecken mit ihren Kindern und Enkeln die eigene Kindheit neu.
Bestaunt – und teilweise selbst bespielt – werden können unter anderem eine Playmobil-Burg mit über 500 Teilen, die Videospiel-Klassiker Pacman Pong oder elektronische Haustiere wie Furby und Tamagotchi. Dazu lockt eine interaktive Station mit Schiffe versenken oder Tic-Tac-Toe. Einer der Höhepunkte für Harburger Babyboomer ist die legendäre „Raczka-Rutsche“ und das ebenfalls aus dem Schuhgeschäft in der Lüneburger Straße stammende Mini-Karussell, das Kindern einst den öden Schuhkauf versüßte.
Ob das Museum in nächster Zukunft zwischen Blechautos und Puppenstuben auch Geschlechterstereotype interventionell erklärt, ist noch offen.