Winsen/Lüneburg/Bleckede/Stade. Netzwerk startet gemeinsames Virtual-Reality-Erlebnis in zwölf Häusern. Museen bieten auch Podcasts, 3D-Touren, Mediaguides.
In frühere Welten eintauchen, Geschichten zu ausgestellten Dingen erfahren und neue Perspektiven einnehmen – das können Besucher schon lange in vielen Museen in den Landkreisen Harburg, Lüneburg und Stade. Dank der Digitalisierung erhalten diese Einblicke in die Historie jetzt flächendeckend eine neue Dimension. In 13 kleinen und mittelgroßen Museen der Region liegen ab sofort spezielle Brillen bereit, mit denen die Besucher sich auf virtuelle Zeitreise begeben können. Wer die Virtual-Reality-Brille aufsetzt, entdeckt historische Orte und erlebt Szenen aus dieser Zeit, fast als wäre er oder sie tatsächlich dabei.
Das Virtual-Reality-Erlebnis ist ein Projekt des Museumsnetzwerks im Raum Lüneburg, zu dem insgesamt 30 Institutionen gehören. Unter Federführung des Museums Lüneburg entwickelten 13 Museen des Netzwerks von 2019 bis 2021 rund dreißig 360-Grad-Videos, zahlreiche Fotos und animierte Comicszenen zu verschiedenen Themen aus der Museumswelt. Über Augensteuerung lassen sich die Themenwelten auswählen. Je nach Interesse kann der Betrachter sich weitere Unterthemen aussuchen. Gefördert wurde das Projekt „Virtual Reality – Digitaler Wandel in mittleren und kleinen Museen“ mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds EFS.
Virtual-Reality-Angebot soll kleine Museen für jüngere Besucher attraktiv machen
„Vor allem den kleineren Museen bringt das Projekt einen Innovationsschub im Bereich Digitalisierung und eine Steigerung ihrer Attraktivität vor allem für jüngere Besucher“, sagt Prof. Dr. Heike Düselder, Direktorin des Museum Lüneburg. Dort gibt es das Angebot bereits seit Februar dieses Jahres – mit großem Erfolg, wie Düselder betont. Jetzt ist die VR-Brille auch in diesen Häusern im Einsatz: Archäologisches Museum Oldendorf, Archäologisches Zentrum Hitzacker, Archezentrum Amt Neuhaus, Biosphaerium Elbtalaue im Schloss Bleckede, Deutsches Ameisen-Erlebnis-Zentrum in Ehrhorn, Elbschifffahrtsmuseum Lauenburg, Fischereimuseum Hohnstorf, Freilichtmuseum am Kiekeberg in Rosengarten, Gildehaus Bardowick, Museum Hitzacker, Museum im Marstall in Winsen und Walderlebnis Ehrhorn. „Wir haben alle ähnliche Fragen und Themen in unseren Häusern“, sagt Düselder. „Da bietet sich ein gemeinsames Angebot an.“
Im Winsener Museum im Marstall finden sich viele Themen des VR-Angebots auch in der Dauerausstellung. So zeigt ein Film zum „Leben in der Steinzeit“ mit dem Archäohistoriker Harald Fricke, wie Speerspitzen aus Flintstein hergestellt wurden. Auch der Winsener Dichter Johann Peter Eckermann, die Elbschifffahrt und die Flößerei auf der Elbe und der Ilmenau sind Teil der digitalen Sammlung aus Filmen, Bildern und Geschichten.
Für die einstündige Zeitreise nehmen die Betrachter im Sessel Platz
Die rund einstündige Zeitreise – es geht von der Frühgeschichte bis ins 21. Jahrhundert – verbringen die Betrachter in einem bequemen, Ei-förmigen Sessel, gut abgeschirmt von den Außengeräuschen und sicher gepolstert, falls die ungewohnte Sehweise doch zu Schwindel führt. „Die Brille und der Stuhl bieten die Möglichkeit, sich binnen Sekunden in eine andere Welt zu katapultieren“, sagt Benjamin Seidel, einer der Chefs der Software-Agentur TwinC aus Wuppertal, die den technischen Teil übernommen hat. Das ungewöhnlich umfangreiche Ergebnis sei auch für Schulen interessant, in Nordrhein-Westfalen gebe es bereits Klassensätze mit VR-Brillen zum Ausleihen.
Ob beim virtuellen Besuch am Hafen, in einer Mühle, auf einem Acker oder in einer Fischreusen – immer ist der Betrachter mitten im Geschehen. „Er kann selbst Einfluss darauf nehmen, was als nächstes passiert. Das macht richtig Spaß“, sagt Andrea Schmidt, Geschäftsführerin des Biosphaeriums bei der Vorstellung des Projekts am Donnerstag im Schloss Bleckede. Die VR-Brillen seien nicht nur eine technische Spielerei, um neue Zielgruppen zu erreichen. „Sie erweitern auch die inhaltlichen Dimensionen. Wir haben viel Natur im Haus, jetzt wird der Bereich Kulturgeschichte ergänzt.“
Das dreijährige Projekt erhält 311.000 Euro aus EU-Fördertopf
Schmidt betont, dass die Entwicklung eines solchen Angebot nur gemeinsam mit den Netzwerkpartnern möglich war. Mehrere Jahre waren die Beteiligten regelmäßig im Austausch. Für die Finanzierung sicherten sie sich eine Förderung aus dem EU-Programm Soziale Innovation in Höhe von 311.000 Euro. Damit waren 60 Prozent der Kosten gedeckt, der Rest, vor allem die Personalkosten, wurden aus Eigenmitteln gestemmt.
Auch über das Netzwerk hinaus schreitet die Digitalisierung in den Museen voran. Die Museen Stade bieten ebenfalls virtuelle Zeitreisen an, hier wird der historische Alltag in der Hansestadt gezeigt. Besucher erhalten einen Einblick in das Leben an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit. „Sie können so das historische Stade erfahren“, sagt Sprecherin Louisa Fink. Durch die VR-Brille sehen die Nutzer auf einer großen Leinwand zum Beispiel, was die Menschen in Stade in ihrer Freizeit unternommen haben , wo sie eingekauft und ihren Müll entsorgt haben. Die einstündigen Virtual-Reality-Rundgänge werden in der Regel jeden ersten Sonntag im Monat im Museum Schwedenspeicher angeboten.
Stader Museen bieten Virtual-Reality-Rundgänge durch historische Stadt
Im digitalen Bereich sind die Stader Museen auch darüber hinaus gut aufgestellt, nicht nur in den Häusern werden zahlreiche unterschiedliche Medien zur Vermittlung eingesetzt. Während viele andere Museen während der Corona-Pandemie solche Angebote entwickelten, können sich die Besucher hier bereits seit etwa fünf Jahren auch online auf eine dreidimensionale Tour begeben. Auf der Internetseite sind weitere digitale Angebote abrufbar, darunter ein 360-Grad-Rundgang durch die Pilgerausstellung „Wege in den Himmel“ sowie Teile der Stader Statuten, die Nutzer per Klick durchblättern können. Die Museen produzieren zudem regelmäßig Podcasts für Erwachsene und Kinder zu den Ausstellungen im Kunsthaus.
Wer sich für die archäologischen Ausgrabungen in Stade interessiert, kann per Webcam die aktuellen Geschehnisse an den Ausgrabungsstätten verfolgen. „So schaffen wir eine Verbindung zwischen Museum und Stadtraum“, sagt die Sprecherin. In einem „Oral History“-Projekt haben sich zudem viele Menschen aus Stade mit ihren Erzählungen eingebracht. Die Geschichten zu Objekten aus den Museen wurden dokumentiert und werden in die Ausstellungen integriert.
Außer den VR-Brillen gibt es weitere digitale Angebote in den Museen
Für das Museum Lüneburg sind die neuen VR-Brillen ebenfalls die bisherige Krönung der digitalen Entwicklung. So können sich Besucher sogenannte Mediaguides ausleihen. Wie bei einer persönlichen Führung werden anhand von kleinen Filmen, Bildern und gesprochenen Texten Ausstellungsobjekte näher unter die Lupe genommen, die in einem besonderen Bezug zu Natur und Kultur stehen. Dieser Rundgang wird auf Englisch, Arabisch und Farsi angeboten. Zudem gibt es Medienstationen und den Podcast „Lüneburger Zeitreisen“. In einem Pilotprojekt werden digitale Museumsrundgänge in Echtzeit für hochbetagte Senioren erprobt, damit auch diese noch am Kulturangebot teilhaben können.
In den 13 Museen aus dem Netzwerk liegen die Brillen nun für Besucher bereit. Lüneburgs Landrat Jens Böther hat sie bereits ausprobiert. Sein Fazit: „Das ist nicht nur was für junge Leute. Es ist großartig, dass wir hier nun so ein Angebot haben. Damit machen wir die Museen fit für die Zukunft.“
Die Nutzung der VR-Brillen ist kostenlos
Sechs Themenwelten stehen beim Eintauchen in die virtuelle Welt zur Auswahl, sie alle befassen sich mit dem Wechselspiel zwischen Mensch und Natur: „Natur bedeutet...“ 1. Forschung, 2. Ressource, 3. Bedrohung, 4. Verantwortung, 5. Arbeit und 6. Schönheit.
Die Virtual-Reality-Brillen können in den teilnehmenden Museen kostenlos genutzt werden, es fällt lediglich der normale Eintrittspreis an. Empfohlen wird die Zeitreise für Besucher ab sechs Jahren. Weitere Informationen zu dem Projekt und den Museen gibt es im Internet auf der Seite www.vr-welten-lueneburg.de.
Projekt für Smart Hero Award nominiert, Abstimmung läuft
Das VR-Angebot des Museumsnetzwerks ist beim „Smart Hero Award“ für den Spezialpreis für Innovation im digitalen Engagement nominiert wurde. Neben dem von einer Jury vergebenen Award, der im September in Berlin verliehen wird, gibt es auch einen Publikumspreis, für den man per Klick seine Stimme abgeben kann.
Die Stiftung Digitale Chancen und das US-Unternehmen Meta zeichnen mit dem Smart Hero Award gemeinsam Menschen und Organisationen aus, die sich sowohl online als auch offline für eine faire, soziale und nachhaltige Gesellschaft engagieren. Mit dem Spezialpreis werden erstmals Initiativen ausgezeichnet, die sich durch innovative Ideen und den Einsatz von Zukunftstechnologien auszeichnen.
Das Projekt war zuvor bereits für den Innovationspreis Niedersachsen 2020 in der Kategorie Kooperation nominiert.
Eine Stimmabgabe für den Award ist bis zum 9. September im Internet möglich: www.smart-hero-award.de/voting.