Lüneburg. Wegen der Pandemie erhöhte sich die Zahl der Anfragen. Verzweifelte Frauen müssen wegen Platzmangels abgelehnt werden.

Die Zahl der Anfragen an das Frauenhaus Lüneburg hat sich in der Corona-Pandemie verdoppelt. „Wir mussten in 2019 insgesamt 150 Frauen und Kinder ablehnen, in den vergangenen beiden Jahren waren es jeweils 300“, berichtet Laura Bussieck, Vorstandsmitglied von Frauen helfen Frauen in der Hansestadt. Im ersten Halbjahr 2022 fanden bereits 84 Frauen und 117 Kinder keine Unterkunft – damit ist die Vor-Corona-Lage schon Mitte des Jahres mehr als erreicht.

„Ich finde die Zahlen erschreckend. Die direkte Gewalt gegen Frauen und insbesondere gegen Kinder hat im Lockdown massiv zugenommen“, sagt die Sozialarbeiterin. Sie glaubt, dass es zudem noch ein „unfassbar großes Dunkelfeld“ gibt.

Schutzhaus in Lüneburg ist deutlich zu klein

Das Schutzhaus in Lüneburg ist demzufolge zu klein, weswegen sie bereits nach einer größeren Unterkunft suchen. Das Land hat dazu Gelder bewilligt. Dem Sozialministerium nach stehen Schutzsuchenden in Niedersachsen 45 Frauenhäuser mit insgesamt 419 Plätzen für Frauen und 650 Kinder zur Verfügung. Im Durchschnitt seien knapp 70 Prozent der Frauenhaus-Plätze belegt. Die verschiedenen Häuser unterschieden sich deutlich. Vor allem in den Ballungsräumen herrscht Platzmangel, heißt es aus dem Ministerium. Insgesamt entstehen in Niedersachsen in den Gebieten mit hohen Bedarfen weitere neue Häuser oder bestehende werden umgebaut wie in den Landkreisen Leer und Oldenburg, in Holzminden, Emden, Lingen und Verden.

Rechtsanspruch müsste dringend gesetzlich verankert werden

Das landesweite Ampelsystem, bei dem angezeigt wird, wo Plätze frei sind, findet Bussieck gut. Es sei nur manchmal schwierig, damit umzugehen. Die meisten Klientinnen hätten kein Auto und könnten mit ihren Kindern nicht einfach in abgelegene Gegenden geschickt werden.

Für einen verlässlichen Schutz von Betroffenen muss aus Sicht von Sozialministerin Daniela Behrens – neben einer auskömmlichen Finanzierung - vor allem der Rechtsanspruch der Frauen schnellstmöglich gesetzlich verankert werden: „Es ist gut, dass der Koalitionsvertrag der Ampelregierung vorsieht, einen bundesrechtlich geregelten Rechtsanspruch für gewaltbetroffene Frauen zu schaffen“, sagt die SPD-Politikerin.

Damit gäbe es endlich eine Rechtsgrundlage, mit der Frauen Schutz, Beratung und Unterstützung bei Gewalt geltend machen und notfalls auch einklagen können.

Frauenhäuser müssen zum Teil jedes Jahr mit Kommunen nachverhandeln

Die Kosten hierfür müssten von Bund, Ländern und Kommunen gemeinsam übernommen werden. „Der Bund muss hierzu einen passenden Rechtsrahmen schaffen und dauerhaft eigene Haushaltsmittel zur Bekämpfung von Gewalt an Frauen bereitstellen“, forderte Behrens.

Bussieck fordert eine bundeseinheitliche Finanzierung. Frauenhäuser müssten zum Teil jedes Jahr mit den Kommunen nachverhandeln, wenn die Ausgaben den Rahmen überstiegen. In den Bundesländern seien die Kosten für eine Tagespauschale zudem ganz unterschiedlich. In Niedersachsen etwa müssten berufstätige Frauen und EU-Bürgerinnen für ihre Unterkunft selbst bezahlen. „Sie verschulden sich hochgradig“, erklärt Bussieck.

Immer wieder Männer vor dem Schutzhaus. Dann wird die Polizei alarmiert

Und das könnten Betroffene in Krisensituationen, in denen sie ihr ganzes bisheriges Leben wegen der Gewaltbedrohung aufgeben müssten, überhaupt nicht gebrauchen. Meist müssten die Frauen ihre Arbeit, die Kinder den Kindergartenplatz oder Schule verlassen, damit der Ex-Partner sie nicht finde. Vor dem Schutzhaus stünden auch immer wieder Männer, berichtet Bussieck. „Wir haben einen kurzen Draht zur Polizei.“

Dass die Pandemie und die ständige Anwesenheit der Männer im Homeoffice das Dunkelfeld vergrößere, glaubt auch die Lüneburger Polizeihauptkommissarin Kathrin Richter. „Das ist für die Täter super“, sagte die Präventionsbeauftragte und rechnet damit, dass erst im Normalzustand die Anzeigen anstiegen.

Sie moderiert alle sechs Wochen den Runden Tisch gegen Gewalt in der Familie in der Hansestadt. Polizei, Staatsanwaltschaft, Opferhilfe, Jugendamt und weitere Träger besprechen dort die schlimmsten Fälle. „Auch die sind in der Pandemie krasser geworden“, weiß Bussieck. Für sie und ihre Mitarbeiterinnen ist die Zeit belastend. Zeitweise lagerten sie die Rufbereitschaft an zusätzliche Honorarkräfte aus.

Ganz besondere Aufmerksamkeit brauchen die vielfach verängstigten Mütter, immer wieder gerade auch ohne ihre Kinder und andersherum. Viele Frauen könnten ihre Bedürfnisse kaum artikulieren, das müssten sie erst wieder lernen. Die Kinder – meist die Söhne – hätten entweder ein großes Verantwortungsbewusstsein für ihre Mütter entwickelt, oder gar keinen Respekt mehr.

Mit Einfühlungsvermögen versuchen die Mitarbeiterinnen auf die schwierigen Situationen einzugehen.