Harburg/Landkreis. Viele Kinder bleiben auf dem Trockenen: Lange Wartelisten bei Kursen – und hohe Preise bei Privatanbietern
Wer in Harburg ein Seepferdchen-Schwimmkurs für sein Kind sucht, braucht starke Nerven. Die Wartelisten sind lang, neue Kurse schnell ausgebucht und das nötige Personal fehlt Als einziger Sport, der einem im Notfall das Leben retten kann, gehört Schwimmen für die erste Vorsitzende der DLRG Tostedt, Margret Holste, zu den wichtigsten Überlebenstechniken, die es bereits früh zu erlernen gilt. „Schwimmen ist eine Kulturfähigkeit wie Lesen, Schreiben oder Rechnen. Mit dem Unterschied, dass einem im in sieben Meter tiefem Gewässer keine Matheformel hilft.“ Der erste Schritt auf dem Weg zum sicheren Schwimmen geht meistens über einen Anfängerkurs im Kleinkindalter. Während der Pandemie blieben jedoch die meisten Bäder geschlossen und Kinderschwimmkurse entwickelten sich gemeinsam mit Mehl und Klopapier zu einer echten Mangelware.
Dadurch, dass zwei Jahre lang keine Schwimmkurse stattfinden konnten, blieben, laut dem Bäderland Hamburg, knapp 15.000 Hamburger Kindern die Chance auf ihr Schwimmabzeichen verwehrt. Es gibt also massiven Nachholbedarf. Jedoch trifft der große Andrang auf eine zu geringe Zahl an ehrenamtlichen Schwimmtrainern und Wasserzeiten. Eine Entwicklung, die Holste sorgenvoll beobachtet. „Die Schwimmkurse der DLRG werden nun mal nur von Ehrenamtlichen betrieben, die selbst auch einen normalen Arbeitsalltag haben. Des Weiteren fehlt uns einfach der Nachwuchs“, sagt sie. Die Folge: Seepferdchen-Anwärter müssen mitunter vier Jahre auf einen Platz warten.
Im Crash-Kurs in zwei Wochen zum begehrten Seepferdchen
Um diese langen Wartezeiten abzuarbeiten, lassen sich Freibäder so manches einfallen. Im Freibad Jesteburg können Kinder jetzt zum Beispiel einen ganz besonderen Schwimmkurs besuchen. Innerhalb von zwei Wochen absolvieren die Kinder dort für 100 Euro im sogenannten „Seepferdchen-Crashkurs“ ihr Anfängerschwimmabzeichen.
Eine kreative Idee, welche laut Henning Schöttler, Leiter des Jesteburger Freibades, dankbar angenommen wird. „Die Kinder lieben es und die Eltern sind dankbar, dass ihr Kind endlich schwimmen lernt!“ Diese Crash-Kurse treffen jedoch genau wie normale Schwimmkurse auf einen enormen Andrang, so dass auch sie für 2022 schon komplett ausgebucht sind.
Die langen Wartezeiten führen aktuell auch dazu, dass immer mehr Eltern auf private Schwimmschulen als Alternative zurückgegriffen wird. Jedoch muss man, um dort einen Platz zu ergattern, mitunter bereit sein, tief in die Tasche zu greifen.
Bis zu 500 Euro für den Seepferdchen-Kurs?
So zum Beispiel bei der Schwimmschule Delphin in Seevetal. Dort zahlt man für einen 21-stündigen Anfängerkursus 420 Euro. Für Philip Holler, den zweiten Vorsitzenden der DLRG Bezirk Harburg, führt die aktuelle Situation auch zu einer sozialen Spaltung.
„Wenn man nur dafür, dass das eigene Kind schwimmen lernt, 500 Euro ausgeben muss, bleibt der Schwimmsport mit der Zeit nur den Besserverdienenden vorbehalten.“
Bei der DLRG im Stadtteil Harburg können Kinder für nur acht Euro im Monat schwimmen lernen. „Dadurch, dass wir ausschließlich mit Ehrenamtlichen arbeiten, können wir den Preis so niedrig halten und jedem Kind, egal aus welcher sozialen Schicht, das Seepferdchen ermöglichen“, sagt Holler.
Die meisten Harburger Familien nehmen für diese geringen Preise auch die Wartezeiten von mehreren Jahren in Kauf. Ein Bild, das sich auch in den verschiedenen Hamburger Stadtteilen widerspiegelt. Laut einer Statistik des Magazins Panorama 3 konnten 2020 etwa 75 Prozent der Dritt- und Viertklässler, der einkommensstärkeren Stadtteilen wie Winterhude oder Groß Flottbek, sicher schwimmen. Beim Blick nach Billstedt, Wilhelmsburg und auch Harburg fällt aber wiederum auf, dass dort nur rund ein Drittel der Schülerinnen und Schüler nach der dritten und vierten Klasse wasserfest sind.
Ukraine-Krieg könnte auch dieses Problem noch verschärfen
Eine soziale Spaltung, die sich jetzt durch den bevorstehenden Winter in Zeiten der Energiekrise noch vergrößern könnte. „Die Hallenbäder werden in diesem Jahr aufgrund der Gaspreise bzw. -knappheit teilweise nicht öffnen“, stellt Margret Holste besorgt fest. „Das bedeutet natürlich auch, dass die Welle an Nichtschwimmern, die wir momentan vor uns herschieben, noch größer wird.“
Ein Zustand, der für Holste neben steigenden Preisen und Corona auch mit den veränderten Lebensmodellen zu tun hat. „Heutzutage sind meist beide Eltern berufstätig und das Kind bleibt dann bis 17 Uhr in der Kita. Danach bleibt einfach keine Zeit und Kraft mehr für einen Schwimmkurs.“ Schwimmen gehöre einfach nicht mehr zum Alltag der meisten Kinder.
Eine Entwicklung, die durch die Pandemie mit ihren geschlossenen Bädern nur noch verstärkt wurde. „Unsere Schwimmkurszeiten kollidieren mit den Arbeitszeiten der Eltern und durch die Eltern selbst findet so gut wie keine Wassergewöhnung mehr statt. Dadurch werden die Kinder unsicher und trauen sich nicht mal mehr ihr Gesicht unter Wasser zu tauchen.“
3.950.000 Euro für mehr Schwimmkurse in Niedersachsen
Um dieser Tendenz etwas entgegenzusetzen, haben der Landessportbund Niedersachsen, der Landesschwimmverband Niedersachsen und der Landesverband Niedersachsen der DLRG gemeinsam an der Umsetzung eines neuen Projektes gearbeitet, das 2021 starten konnte. Durch das Förderprojekt „Startklar in die Zukunft“ unterstützt das Land Niedersachsen Kinder und Jugendliche bei der Bewältigung der Pandemiefolgen und setzt sich durch die Bereitstellung von zehn Millionen Euro für mehr Bewegung, mehr Schwimmkurse und mehr gemeinsames Erleben für Kinder und Jugendliche ein.
Gerade, weil viele Schwimmbäder erst vor kurzem ihren Betrieb wieder aufgenommen haben, gibt es einen immensen Nachholbedarf, dem nun mit 3.950.000 Euro nachgekommen wird.
Eine Förderung, die auch die DLRG Tostedt enorm weitergebracht hat. „Wir können jetzt noch weitere Schwimmkurse anbieten, mehr notwendige Schwimmgeräte anschaffen und die Mitgliedsbeiträge stabiler halten“, berichtet Holste glücklich.
Wasser auf Rädern: DLRG startet Pool-Tour quer durch Niedersachsen
Um möglichst vielen Kindern den Zugang zur Wassergewöhnung zu ermöglichen, wurde als Baustein dieses Projektes – 1.050.000 Euro – in eine mobile Pool- Tour gesteckt. Dabei touren noch bis September vier Teams vom DLRG Landesverband Niedersachsen mit mobilen, großen und beheizbaren Wasserbecken durch das Bundesland, um eine kostenlose Wassergewöhnung vor Ort, also direkt an den Betreuungsstätten der Kinder anzubieten. Die DLRG plant 30 bis 40 Haltestellen und damit etwa 2500 Kinder zu erreichen. Um als Station infrage zu kommen, müssen sich die Betreuungsstätten selbst bei der DLRG bewerben.
Die finale Tour mit allen Stationen ist laut dem Leiter der DLRG Verbandskommunikation, Christopher Penning, noch nicht final ausgearbeitet. „Es ergeben sich immer einmal wieder kleinere Änderungen.“ Die Angebote finden während der Betreuungszeit statt, sodass der Fahrtweg entfällt und Kindern aller sozialen Schichten gleichermaßen Zugang zur Wassergewöhnung und damit zum Schwimmen lernen ermöglicht wird. Beaufsichtigt von zwei qualifizierten Ausbildern können so je nach Einrichtung innerhalb von zwei Wochen etwa 80 Kinder in dem vier Meter breiten und acht Meter langen Pool unterrichtet werden.
Im Nachgang der Gewöhnung wird den Kindern die Möglichkeit eröffnet, in verkürzten Kursen bei der DLRG ihr Schwimmabzeichen zu erwerben. Angesichts der fehlenden Ausbildungskapazitäten und Wasserflächen ein tolles Projekt, um Kindern und Familien den ersten Schritt auf dem Weg zum sicheren Schwimmen zu erleichtern.