Rosengarten-Ehestorf. Autorin Mareike Domröse schlägt als Ausflug eine ungewöhnliche Zeitreise vor, bei der mancher auch etwas über die eigene Familiengeschichte lernt.
Rauch steigt auf und unter einem lauten Zischen öffnet sich die schwere Flügeltür meines DeLorean DMC-12. Ich steige aus, ziehe mir die Schutzbrille von den Augen und schaue mich ungläubig um. Kinder spielen Hüpfspiele vor einer Gasolin-Tankstelle aus den 1950er-Jahren, eine ältere Frau sitzt vor ihrer tristen Nissenhütte, während sie Socken stopft, und eine Bäuerin aus dem 18. Jahrhundert kocht Buchweizengrütze über einem offenen Feuer.
Zugegeben, bei meinem Auto handelt es sich nicht um einen DeLorean DMC-12 – das berühmte Fahrzeug aus dem Science-Fiction-Film „Zurück in die Zukunft“ – und es braucht auch etwas Phantasie, die Vergangenheit so lebendig vor seinen Augen zu sehen. Und doch: Wer sich nach Ehestorf auf den Kiekeberg aufmacht, kann auf eine ungewöhnliche Zeitreise gehen. Ganz ohne Marty McFly und Doc Brown können Besucher hier die Zeit von 1949 bis 1979 innerhalb der Königsberger Straße erleben. Ein Abenteuer, perfekt geschaffen für einen Ferientag.
Deutsche Kulturgeschichte von der Nachkriegszeit bis 1979
In jener Straße werden, wortwörtlich, die prägendsten Abschnitte der deutschen Geschichte aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts miteinander vereint. Hier grenzt ein 1970er-Jahre-Quelle-Fertighaus an den Garten einer Nissenhütte aus der Nachkriegszeit und eine 1950er-Jahre-Tankstelle ist direkt benachbart mit einem Siedlungsdoppelhaus. Benannt nach der Hauptstadt Ostpreußens, wurde mit dem Ensemble unter dem Titel „Königsberger Straße. Heimat in der jungen Bundesrepublik“ ein bundesweit einmaliges Projekt gestartet: Erstmals wird die deutsche Kulturgeschichte der Nachkriegszeit bis 1979 in der ländlichen Region durch den Aufbau von Häusern und einer umfassenden Ausstellung gezeigt.
Die Straße besteht aus sechs Gebäuden, von denen bisher vier für Besucher geöffnet sind: Eine vollständig eingerichtete Nissenhütte aus der Nachkriegszeit, eine Gasolin-Tankstelle aus den 1950er-Jahren, ein Siedlungsdoppelhaus mit der zentralen Ausstellung und das Quelle-Fertighaus aus den 1970-ern, das den zeitlichen Abschluss bildet.
Bis Jahresende sind die letzten zwei Gebäude öffentlich zugänglich
Bis Ende des Jahres sollen noch ein Flüchtlingshaus und ein Geschäftshaus mit sechs kleinen Läden aus der Zeit des Wirtschaftswunders zugänglich gemacht werden. „Ausgewählt wurden diese Gebäude, da sie typisch für das Leben in der Nachkriegszeit sind und bis heute das Erscheinungsbild von Dörfern in ganz Deutschland prägen“, erklärt Museumsdirektor Stefan Zimmermann.
Gerade deshalb lohnt es sich bei einem Ausflug zum Museum das Auto mit mehreren Generationen zu füllen. Zeitzeugen der kargen Nachkriegszeit treffen in der Nissenhütte wieder auf Kaffee aus gerösteten Eicheln und auf „Falsche Leberwurst“ als Fleischersatz. Kinder der 1960er und 1970er können im Quelle-Fertighaus eine vollständig erhaltene Hauseinrichtung aus ihrer eigenen Kindheit und Jugend entdecken, Flokatiteppiche und Prilblumen inklusive.
Besucher erzählen oft zum ersten Mal von ihrer eigenen Kindheit
Mit der Königsberger Straße wurde ein Ort geschaffen, um auf Entdeckungsreise in die Vergangenheit zu gehen. Ein Ort zum Erinnern, aber auch zum Erzählen. Gerade letzteres erlebt Zimmermann in seiner täglichen Arbeit immer öfters. „Dadurch, dass die Dinge greifbar sind und die Menschen plötzlich in ihrer eigenen Vergangenheit stehen, fangen sie an, sich zu erinnern und erzählen oft zum ersten Mal von ihrer eigenen Kindheit.“ So kämen Generationen ins Gespräch und Besucher würden nicht nur Neues über die damalige Zeit lernen, sondern auch über ihre eigenen Familienmitglieder.
Durch die vielen Ausstellungen und Entdeckungsmöglichkeiten in den einzelnen Gebäuden lässt sich also auch ein Regentag im Freilichtmuseum verbringen, an einen Schirm für die Wege zwischen den Häusern sollte aber dennoch gedacht werden.
Ein Blick auf den Veranstaltungskalender des Freilichtmuseums lohnt
Falls man nicht nur auf historische Gebäude, sondern auch auf authentische Personen aus der damaligen Zeit treffen möchte, lohnt es sich ein Blick in den Veranstaltungskalender auf der Internetseite des Freilichtmuseums. Beispielsweise bei den Erlebnistagen „Gelebte Geschichte“ führen ehrenamtliche Mitarbeiter in authentischer Kleidung alltägliche land- und hauswirtschaftliche Tätigkeiten wie Dreschen, Flachsen, Kochen und Waschen vor.
Dabei tauchen sie in drei verschiedene Zeiten ein: Sie verkörpern Landarbeiter des 19. Jahrhunderts, zeigen, wie ein Fischer und seine Familie im frühen 20. Jahrhundert lebte und stellen das Leben der Flüchtlinge in der Nachkriegszeit dar. Die Darsteller erzählen den Besuchern in Gesprächen vom Leben dieser Zeit und beantworten gern auch Fragen.
Mehrere Themenwochen während der niedersächsischen Sommerferien
Besonders interessant für Familien mit Kindern ist die Ferienwoche vom 18. bis 24. Juli. Während dieser Zeit verbindet das Museum die Darstellergruppen mit der Themenwoche „Ernährung“. Passend zur aktuellen Sonderausstellung „Herdanziehungskraft. Küche und Kochen“ zeigen die Ehrenamtlichen der Gelebten Geschichte, was früher auf den Tisch kam, sie kochen gemeinsam mit den Kindern an einer historischen Kochstelle zum Beispiel Pflaumenkompott, Reibeplätzchen und Buchweizenwaffeln.
Insgesamt gibt es vom 9. Juli bis 21. August beim „Sommerspaß“ im Freilichtmuseum, fünf verschiedene Themenwochen für Kinder, bei denen sie von historischen Spielen über einen Märchenparcours bis zum Porzellanbemalen und Werken so einiges erleben können. Eine Voranmeldung ist nicht notwendig, aus Erfahrung ist die Ernährungswoche aber am beliebtesten.
„Café Einfach Rosa“ nur wenige Rad-Minuten vom Museum entfernt
Hungrig und erschöpft von meiner eigenen Zeitreise führt mich mein perfekter Ferientag die Appelbütteler Straße am Kiekeberg hinunter. Folgt man jener mit dem Fahrrad knapp fünf Minuten, trifft man schon bald auf das „Café Einfach Rosa“. Verfehlen kann man es nicht, denn es ist, wie es schon der Name verrät, farblich einfach ein Hingucker.
Mit ihrem Café hat sich die Inhaberin Serpil Bernhardt einen großen Lebenstraum erfüllt und stößt mit ihrem Konzept aus regionalen und saisonalen Gerichten seit dem ersten Tag auf Begeisterung. Die verspielte, aber auch rustikale Einrichtung lädt zum Entspannen ein, die Tische aus alten Gerüstboden sind standhaft gegenüber der großen Essenauswahl.
Abkühlung an heißen Tagen mit Softeis und Toppings
Besonders empfehlen kann ich für 3,90 Euro ein Stück der frisch gebackenen Schokokuss-Torte, und gerade an heißen Sommertagen sorgt ein Softeis mit Toppings für eine schöne Abkühlung. Ist ein Besuch am Wochenende angedacht, ist eine Reservierung ratsam, da das Lokal gerade zur Kaffeezeit ein Anlaufpunkt ist. Dies zeigt sich auch in 20 bis 30 Torten, die Serpil Bernhardt jede Woche eigenhändig backt und verkauft. Kleiner Wermutstropfen: Während der Hamburger Sommerferien macht das Café Sommerpause, erster Öffnungstag danach ist der 18. August.
Wem der Sinn eher nach einer traditionellen Mahlzeit steht, bietet es sich an, direkt das Gasthaus am Kiekeberg zu besuchen. Nur 500 Meter vom Museum entfernt, wird auf dem höchsten Punkt der Harburger Berge in idyllischem Ambiente viel Wert auf alte Familienrezepte gelegt. So gibt es eine nach eigener Rezeptur hergestellte Grützwurst und frisches, selbst gebackenes Brot.
Schöner Ausblick von der Terrasse des Gasthauses am Kiekeberg
Dazu kann man zwischen saisonalen Gerichten wie Spargel oder Grünkohl wählen. Dank der durchgehend warmen Küche von 12 bis 21 Uhr und dem herrlichen Ausblick von der Terrasse ist das Gasthaus an jedem Ferientag das perfekte Ausflugsziel.
Mit dem Gasthaus-Besuch endet meine Zeitreise in die Gemeinde Rosengarten, vielleicht machen Sie sich bald zu ihrer eigenen auf. Eine Zeitmaschine wie Marty McFly brauchen Sie dafür nicht, darum kümmern sich ganz allein die Mitarbeiter des Freilichtmuseums am Kiekeberg.