Adendorf . Rund 30 öffentliche Büchereien in Niedersachsen bieten Samentütchen vorwiegend mit alten Sorten an
Die „Grüne Posthörnli“ ist ihr Favorit. „Die musste ich einfach bestellen“, sagt Dörte Christensen und strahlt. Wenn eine Stangenbohne einen so klangvollen Namen trägt, muss sie doch schmecken. Und wer möchte, kann das seltene Gemüse sogar im eigenen Garten anbauen: Denn Dörte Christensen hat die Bohne nicht für sich selbst besorgt, sondern für die Saatgut-Bibliothek Adendorf im Landkreis Lüneburg.
Dort gibt es seit Anfang vorigen Jahres nicht nur Bücher, Spiele und andere Medien auszuleihen, sondern auch Pflanzensamen. Gestartet im Februar 2020 auf Initiative dreier Studentinnen der nahe gelegenen Leuphana Universität Lüneburg, geht die Adendorfer Saatgut-Bibliothek jetzt in die zweite Saison. Seit dem 15. Februar können sich Interessierte Samentüten borgen – der Zeitpunkt war so pünktlich gewählt, damit die Interessenten Tomaten vorziehen konnten.
637 Tüten haben ehrenamtliche Helferinnen und Helfer gepackt
Exakt 637 Tüten haben ehrenamtliche Helferinnen und Helfer gepackt, gefüllt mit jeweils einer Handvoll Samen einer Sorte. Zur Wahl stehen 33 verschiedene Arten Blumen, Gemüse und Kräuter. Alle Sorten sind samenfest und können daher immer weiter vermehrt werden. „Uns geht es darum, die Vielfalt der alten Sorten zu erhalten“, sagt Bibliotheksmitarbeiterin Christensen.
Auch im Landkreis Harburg gibt es seit Februar eine Saatgut-Bibliothek. Bibliothekarin Wiebke Diercks und ihre Kollegen stellen viele hundert handgepackte Saattütchen im Küsterhaus zur Ausleihe bereit.
Mit ihrer Saatgut-Bibliothek zählt die Bücherei Adendorf – wie Hollenstedt – zwar zu den Vorreitern, aber sie sind nicht allein. Die Büchereizentrale Niedersachsen in Lüneburg, die landesweite Beratungsstelle für öffentliche Bibliotheken, hat in diesem Jahr ebenfalls ein Projekt rund um Saatgut und Umweltbildung angeschoben: In Zusammenarbeit mit dem Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt und der Initiative „Das Große Freie“ in Sehnde bei Hannover, die sich für die Erhaltung historischer Gemüsesorten einsetzt, hat die Zentrale in diesem Jahr rund 30 niedersächsische Bibliotheken mit einem Starterset Saatgut ausgestattet.
Auch in Adendorf trifft die Idee trifft offensichtlich einen Nerv
Jede Bücherei erhielt dabei 50 Tüten mit verschiedenen samenfesten Gemüsesorten wie Tomaten, Erbsen, Bohnen, Salat und Gartenmelde sowie Informationsblätter. Außerdem werden Lesungen angeboten. „Die Resonanz ist groß“, sagt Angelika Brauns, Geschäftsführerin der Büchereizentrale. „Die Bibliotheken vernetzen sich vor Ort mit anderen Aktiven und kaufen in der Regel weiteres Saatgut hinzu. Der Erhalt alter Sorten ist ein Thema, das wirklich boomt.“
Auch in Adendorf trifft die Idee trifft offensichtlich einen Nerv: 140 Beutel sind bereits verliehen, sagt Dörte Christensen. In jeder Tüte stecken zwei weitere: eine gefüllt mit Saatgut und eine leere. „Die Idee ist, dass die Menschen uns nach der Saison Samen zurückschicken, damit unser Bestand immer weiter wächst“, sagt die 56-Jährige. Damit das auch klappt, gibt es zur Erinnerung im Herbst eine E-Mail.
Wie lässt sich Vielfalt bewahren?
Am besten, indem man Gemüse nicht nur selbst anbaut, sondern auch vermehrt, also Samen erntet. Das geht schon im Blumentopf auf dem Balkon. Regionale Sorten von Pflücksalat, Tomate und Co. gibt es in Bioläden, auf Saatgut-Tauschbörsen, im Internet über Biosaatgut-Shops und über den Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (www.nutzpflanzenvielfalt.de). Außerdem bieten in diesem Frühjahr in Niedersachsen mehr als 30 Bibliotheken eine Saatgut-Verleihaktion an (siehe auch www.bz-niedersachsen.de/saatgutbibliothek.html)
Was ist beim Saatgut wichtig?
Das im konventionellen Handel übliche Hybrid-Saatgut, auf der Tüte oft mit F1 gekennzeichnet, eignet sich nicht zur Vermehrung. Diese Samen können nur einmal ausgesät werden, denn in der nächsten Pflanzengeneration verlieren sie ihre typischen Eigenschaften. Das ist bei sogenannten samenfesten Sorten anders. Sie liefern auch im nächsten Jahr Früchte, die genauso aussehen und auch so schmecken wie die Mutterpflanze.
Wie ist das rechtlich für Hobbygärtner?
Tauschen ja, verkaufen nein – so lautet die Faustformel. Verkauft werden dürfen nur Sorten, die beispielsweise vom Bundessortenamt zugelassen wurden. Alte und regionale Saaten sind das oft nicht. Wer sie verkauft, macht sich nach dem Saatgutverkehrsgesetz strafbar. Aber tauschen oder weitergeben, ohne dass ein Gewinn erwirtschaftet wird, geht.
Womit kann ich am besten anfangen?
Einfach ist die Samenernte bei Arten, von denen die reifen Früchte gegessen werden wie Tomaten und Trockenbohnen. Bohnen sollten trocken rascheln, Tomaten rot ausgereift am Stock hängen, bevor sie für die Samengewinnung geerntet werden. Und: Nur die schönsten Früchte für die Vermehrung nutzen.
Wie komme ich an Tomatensamen?
Am besten die Frucht aufschneiden und das Innenleben mit der glibberigen Masse und den Samenkörnern herausnehmen. Fruchtfleisch-Reste in einem Küchensieb unter fließendem Wasser abspülen. Die Saaten sind von einer gallertartigen Masse umgeben - auf einem Tuch ausdrücken, dann die Kerne auf Backpapier oder Kaffeefilter ausbreiten, luftig und schattig trocknen, nicht im Backofen. In luftdichten Gläsern lagern.