Lüneburg. Die Ausstellung „InWaves“, die auf dem Leuphana-Campus in Lüneburg zu sehen ist, rückt das Leben von Frauen zur Corona-Zeit in den Fokus
Corona hat die Wunden unserer Gesellschaft weiter aufgerissen. Plötzlich wurde deutlich, wer trotz Niedriglohn und gesundheitlicher Gefährdung weiterarbeiten muss. Für die Kassiererinnen wurde noch wohlwollend geklatscht, andere wie etwa Fließbandarbeiter in der Lebensmittelindustrie werden auch jetzt übersehen, obwohl sie schuften und schuften, um alle satt zu machen. Für Frauen wurde die Last besonders groß – sie waren es, die sich vorwiegend um die Familie kümmerten, die zwei Jobs schmeißen mussten, als Alleinerziehende vielleicht sogar ohne jede Hilfe von außen, bei geschlossenen Kindertagesstätten. Auch die Kranken- und Altenpflegeberufe, in denen während der vergangenen zwei Jahre eine besonders hohe Einsatzbereitschaft gefragt war, werden laut Statista, Online-Plattform für Statistik, zu über 80 Prozent von Frauen ausgeführt.
Die Ausstellung „InWaves“, die vom 30. April bis zum 31. Mai in Lüneburg zu sehen ist, rückt die Schicksale der Frauen zu Pandemiezeiten in den Fokus. 24 Berliner Fotografinnen zeigen 19 Arbeiten, darunter auch Serien, zwei in Gemeinschaftsprojekten erarbeitet. Zu sehen sein werden die großformatigen Fotografien, an Bauzäunen montiert, auf dem Campus der Leuphana Universität. Im September wurden die eindrucksvollen Bilder bereits in Berlin ausgestellt, an einer 90 Meter langen Plakatwand an der Köpenicker Straße reihten sie sich aneinander. Der Spiegel berichtete, das Kunstmagazin Monopol, auch der NDR.
Fotoprojekt „Hugs to Post“ – verloren gegangene Nähe kam per Post
Mit der ersten Welle hatte das berufliche Leben der Fotografinnen stillgestanden. Deswegen trafen sie sich zum Fotoprojekt „Hugs to Post“ – sie verschickten die verloren gegangene Nähe per Post. Es blieb ein fester Kern und die Idee, ein größeres Projekt im öffentlichen Raum auf die Beine zu stellen.
„Es war uns wichtig, etwas Nicht-Elitäres zu schaffen“, sagt Miriam Zlobinski, die die Ausstellung kuratiert hat. Jedem solle ein Zugang gewährt sein, in Berlin konnten auch Autofahrer die Arbeiten sehen. Deswegen also so großformatig. Und im Gegensatz zu anderen Ausstellungen bietet „InWaves“ erst einmal kaum Lesestoff, man konzentriert sich auf das Bild. Stattdessen sind die Drucke mit QR-Codes versehen – so kann jeder, der möchte, die Geschichten zu den Fotos auf dem Smartphone nachlesen, Videomaterial und Tonaufnahmen gibt es ebenfalls.
Da geht es zum Beispiel um eine Migrantin, die mit ihren Schmerzen und Sehnsüchten plötzlich allein ist. Sie entdeckt in der Isolation ihre Backleidenschaft und beschenkt andere mit kunstvoll verzierten Torten. Ruth Prieto Arenas hat sie begleitet und abgelichtet. Verena Brüning und Julia Steinigeweg haben Hebammen porträtiert. Eine der Frauen sagt im Video, sie fühle sich von der Gesellschaft belächelt, die immer noch denke, dass Hebammen lediglich Tee trinken und stricken würden.
Sexarbeiterinnen in der Kurfürstenstraße
Dann wären da die Sexarbeiterinnen, die Kathrin Tschirner in der Nähe der Kurfürstenstraße fotografiert hat. Während der Pandemie mussten sie sich an weniger sichtbare und noch unsicherere Orte zurückziehen, um Geld zu verdienen. Andere Fotografinnen haben sich mit Obdachlosigkeit oder dem Rassismus gegenüber asiatischen Frauen auseinandergesetzt.
Viele ihrer Themen sind zeitlos, so auch die Gewalt gegen Frauen. Schaut man auf die Landkreise Lüneburg, Lüchow-Dannenberg und Uelzen stieg die Anzahl der erfassten Fälle von häuslicher Gewalt 2020 um 11,4 Prozent. Seit 2021 gibt es eine neue bundeseinheitliche Definition, die den Begriff weiter fasst. Nach alter Definition würde man 756 Fälle zählen, die Steigerung läge dann bei sechs Prozent. Im Landkreis Harburg stellte die Polizei keine signifikante Steigerung fest. „Aber wir können nicht sagen, wie hoch die Dunkelziffer ist“, sagt Pressesprecher Jan Krüger.
„Es ist in der Corona-Zeit besonders schwer auszubrechen“, sagt Außenstellenleiter Karl-Heinz Langner vom Weißen Ring im Landkreis Harburg. Der Verein „Frauen helfen Frauen“ in Lüneburg kann einen großen Anstieg an Beratungen per Telefon oder E-Mail verzeichnen. Die Gespräche hätten dazu eine andere Dimension gehabt, die Gefährdung sei höher gewesen, es habe mehr sexuelle Gewalt stattgefunden.
„Es ist die weibliche Sicht, die mich fasziniert hat“
„Wie wollen auf prekäre Situationen aufmerksam machen und Schicksale sichtbar machen, die man oft vergisst“, sagt Zlobinski. Die Kuratorin arbeitete für den RBB oder das ZDF und wurde 2018 mit dem Research Grant der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung ausgezeichnet. Aber warum keine Plakatwand inmitten von Lüneburg? In der Lünepost war Anfang April die Rede davon, dass die Stadt die Schau aus ihrem Innern verbannt habe, weil sie die Fotografien zu negativ fand.
Die Pressestelle der Stadt verneint dies jedoch. Man habe einen geeigneteren Standort finden wollen, sagte Pressesprecher Florian Beye. Kristin Halm, Geschäftsführerin der Sparkassenstiftung Lüneburg, die die Schau nach Lüneburg geholt hat, betont, es hätten mehrere Orte zur Auswahl gestanden. Sie hatte die Fotos in Berlin gesehen und war begeistert: „Es ist die weibliche Sicht, die mich fasziniert hat“, sagt sie. Einige Geschichten hätten sie sofort an Erfahrungen aus dem Bekanntenkreis erinnert.
Und das ist es wohl, was die Ausstellung so gehaltvoll und wichtig macht: Man weiß von diesen Verhältnissen, von diesen Ungerechtigkeiten und Ausgrenzungen – aber man nimmt sie hin. Die Fotografien von „InWaves“ machen eine Auseinandersetzung unumgänglich. Sie schreien nicht, sie sagen eindringlich, dass sich jetzt etwas verändern muss.
Zlobinski findet es passend, dass die Schau nun auf einem Campus gezeigt wird: „Die Ausstellung wandert und wird immer wieder an ganz anderen Orten gezeigt.“ Dass sie nun zunächst einem jüngeren Publikum präsentiert wird, sei ein Experiment. Die Bauzäune sollen die Schau nachhaltiger machen. In Bremens Innenstadt, wo „InWaves“ im August Station macht, können sie wiederverwendet werden.
„InWaves“, Campus Leuphana Universität, 30 April bis 31. Mai, Eröffnung 29. April, Eintritt frei