Inzmühlen. Initiatoren wollen aus Einrichtung in Inzmühlen Gemeinschaftsort machen, an dem übernachtet, gearbeitet und verweilt werden kann

Die Wege sind zugewachsen. Der Sturm hat die Nadelbäume quer über das Grundstück gefegt. Auf der großen Wiese mit den Fußballtoren haben sich kleine Kiefern ausgesät. Die ehemalige Jugendherberge Handeloh am Rande der Lüneburger Heide gleicht einem Geisterort.

Die letzten Bewohner waren 60 minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Vor vier Jahren zogen sie aus. Ende 2018 endete der Mietvertrag zwischen dem Landkreis Harburg und der Gemeinde Handeloh. Seitdem steht die ehemalige Jugendherberge am Heidschnuckenwanderweg leer. Ein Kleinod im Dornröschenschlaf. Doch damit soll Schluss sein.

Jesteburger initiierte Genossenschaft zum Erhalt der Herberge

Die alte Herberge soll mit neuem Leben gefüllt werden. Christopher Müller und seine Mitstreiter von der Genossenschaft „Wander- und Begegnungsherberge Inzmühlen e.G.“ wollen aus dem großen Backsteingebäude mit seinen 35 Gästezimmern, 77 Betten und verschiedenen Gemeinschaftsräumen einen Ort machen, an dem übernachtet, gearbeitet und verweilt werden kann. Einen Ort für die Gemeinschaft, an dem jedes Individuum seinen Platz findet. Müller nennt diesen Ort einen „Sehnsuchtsort“.

Sechs Hektar Land gehören zum Areal der ehemaligen Jugendherberge Handeloh in Inzmühlen. Die Fläche den Gästen und Besuchern der geplanten Herberge Inzmühlen zur Verfügung stehen.
Sechs Hektar Land gehören zum Areal der ehemaligen Jugendherberge Handeloh in Inzmühlen. Die Fläche den Gästen und Besuchern der geplanten Herberge Inzmühlen zur Verfügung stehen. © HA | Hanna Kastendieck

Die Pläne für das seit 2018 leerstehende Gebäude sehen zum einen die Wiederaufnahme des Herbergsbetriebes vor. Geplant ist, Übernachtungen für Wandernde, Gruppen und Familien anzubieten. Schlafmöglichkeiten soll es sowohl im Haus als auch unter freiem Himmel geben. Denkbar wären Zelte, Baumhäuser, Biwaks und einfache Hütten. Darüber hinaus sollen das 1800 Quadratmeter große Wohngebäude sowie die sechs Hektar Land für Gemeinschaftsaktivitäten genutzt werden.

Genossenschaft umfasst derzeit 64 Mitglieder

Ideen für das Programm haben Initiator Christopher Müller und die aktuell 64 Genossenschaftsmitglieder viele. Angefangen von einem Kräuterkundegarten, einer offenen Denk-Werkstatt, einem Zukunftslabor und einer mobilen Outdoorküche, über die Anlage eines Färberpflanzenfelds und eines Barfuß-Trails bis hin zu Angeboten wie Achtsamkeitsworkshops, Nachbarschaftsstammtisch und Jugendwerkstatt. „Das Programm wird sich mit der Gemeinschaft entwickeln“, sagt Müller. „Wir wollen in der Herberge Inzmühlen Freiräume schaffen, einen Platz, an dem sich die Menschen entfalten können, Gemeinschaft neu gedacht und im Sinne aller weiterentwickelt werden kann.“

Könnte mit wenig Aufwand wieder in Betrieb genommen werden: die ehemalige Jugendherberge Handeloh in Inzmühlen.
Könnte mit wenig Aufwand wieder in Betrieb genommen werden: die ehemalige Jugendherberge Handeloh in Inzmühlen. © HA | Hanna Kastendieck

Partizipation, Nachhaltigkeit und Naherholung sind die Schlagworte, mit denen sich die Genossenschaft bei der Gemeinde um den Erwerb und die Nutzung der ehemaligen Jugendherberge beworben hat. Diese hatten den Gebäudekomplex 2014 vom DJH-Landesverband Nordmark gekauft, um sicher zu stellen, dass das Areal auch nach der Nutzung der Asylsuchenden wieder als Unterkunft für Jugendliche dient. Nach deren Auszug verhandelte sie mit potenziellen Interessenten, darunter die Genossenschaft.

Deren treibende Kraft, Christopher Müller, ist freiberuflicher Berater und eng mit der Hamburger Kulturszene verknüpft. Er lebt in Jesteburg. „Ich hatte schon immer die Idee von einem Ort, an dem Stadt und Land miteinander verbunden werden können“, sagt er. „Als dann die Pandemie zum Lockdown führte, habe ich mich – wie viele andere auch – neu sortiert und meine Bedürfnisse hinterfragt.“ Zugleich sei das Bewusstsein gewachsen, nur gemeinsam erfolgreich heutigen Herausforderungen begegnen zu können. Müller trommelte Gleichgesinnte zusammen. Jeden Montag trafen sie sich per Videokonferenz, schmiedeten Pläne für die Herberge, entwarfen ein Konzept. Im Frühjahr 2021 reichten sie ihre Unterlagen bei der Gemeinde ein – und bekamen den Zuschlag.

Für Umbauarbeiten ist Kredit von 920.000 Euro nötig

Seitdem ist die Genossenschaft auf 37 partizipierende und 27 investierende Mitglieder gewachsen. Und es werden weitere Unterstützer gesucht, die einen Genossenschaftsanteil erwerben wollen. Denn um den Kauf und die Umbauarbeiten zu finanzieren, muss die Gemeinschaft einen Kredit von 920.000 Euro aufnehmen. Einen Teil der Arbeiten erledigen die Mitglieder selbst, haben Themenfelder wie Finanzen, Immobilie, Einrichtung, Marketing, Gästemanagement und Haustechnik untereinander aufgeteilt. „Jeder macht das, was er kann“, sagt Gunter Körtel. Er ist ehemaliger Kapitän und seit Herbst 2021 dabei. Zum festen Stamm gehören unter anderem ein Pilot, ein Arzt, ein Landschaftsgärtner, Architekten, Künstler, Designer und Wissenschaftler. So wie Anna Michalski. Sie arbeitet an der Uni, ist vor ein paar Jahren von Berlin in den Landkreis Harburg gezogen. „Mir fehlt hier das Leben, die Begegnung, der Austausch“, sagt sie. „Ein offener Raum, wo gelacht, getanzt und Gemeinschaft gelebt wird.“ So einen „Möglichkeitsraum“ will sie gemeinsam mit den anderen schaffen.

Doch die Mitstreiter sind noch nicht am Ziel. Zunächst muss der Kauf von der Gemeinde vollzogen werden, parallel das Bauamt die Wiederaufnahme der Nutzung gestatten und den Brandschutz abschließend bewilligen. In den Gesprächen mit Samtgemeinde und Gemeinde geht es derzeit aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Ukraine, zunächst um die zeitnahe Nutzung der Herberge.

Denn für die Genossenschaft ist klar, dass sie das Haus so schnell wie möglich den aus den Kriegsgebieten geflüchteten Frauen und Kindern zur Verfügung stellen wollen. „Natürlich beobachten wir mit Schrecken, was in der Ukraine passiert und wähnen uns schon jetzt mit verantwortlich, die Herberge alsbald für Flüchtlinge anbieten zu können“, sagt Christopher Müller. Wie genau das in der Gemengelage aus Ankauf, Nutzungswiederaufnahme und Betriebsbeginn organisiert werden könne, sei jetzt zusätzliche Motivation im Austausch mit allen Beteiligten. „Fest aber steht: Wir möchten und werden helfen.“

Zum Standort:

  • Die Jugendherberge Inzmühlen war die einzige im Landkreis Harburg. Sie liegt seit 1961 auf einem 60.000 Quadratmeter großen Grundstück im Ort Inzmühlen, mitten im Naturschutzgebiet Lüneburger Heide, umringt von Heide- und Waldlandschaften.
  • Vor ihrer Haustür verläuft der Heidschnuckenweg, der mit seiner 15 Kilometer langen Strecke zwischen Buchholz und Handeloh zu Deutschlands schönsten Wanderwegen gehört.
  • Nicht zu verwechseln ist die Herberge mit dem Tagungszentrum „Tanzheimat Inzmühlen“. Die Einrichtung geriet 2015 bundesweit in die Schlagzeilen, nachdem 29 Heilpraktiker, Ärzte und Psychologen nach einem Experiment mit illegalen Drogen in einen Massenrausch verfielen.