Neu Gülze/Stöckte. Manfred Jordt bekommt jeden Tag eine E-Mail. Absender ist der Peilsender auf dem Rücken eines Storches.
Wenn Manfred Jordt seine E-Mails abruft, ist auch immer eine von Manni dabei. Vorausgesetzt, Manni hat Netz. Ansonsten gibt es nur eine kurze SMS. Frei nach dem Motto: „Melde mich wieder, wenn ich besseren Empfang habe.“ Manni ist ein Weißstorch, trägt einen Peilsender auf dem Rücken und befindet sich gerade auf dem Rückflug von Madrid nach Nordosten. Und Manfred Jordt hofft, dass Manni sich wieder für die Elbe entscheidet als Sommerquartier. Am liebsten in seinem Garten.
Manni hat sich voriges Jahr zum ersten Mal bei Manfred Jordt eingenistet, im Horst hoch oben auf einem Betonmast im Garten in Neu Gülze, ein paar Kilometer hinter der Grenze des Landkreises Lüneburg in Mecklenburg-Vorpommern. Doch Grenzen interessieren weder Manni noch die Storchenfreunde in der Gegend, die sich um den Weißstorch kümmern. Der ist hier so weit verbreitet, dass er längst zum Symboltier der Elbtalaue avancierte. Nirgendwo sonst in Niedersachsen gibt es eine so hohe Siedlungsdichte des Weißstorchs wie an der unteren Mittelelbe zwischen Schnackenburg und Geesthacht.
Live-Kamera per Internet ansteuern und die Störche beobachten
Und die ersten sind schon da. Zum Beispiel bei Peter Beecken in Stöckte. Beecken ist Mitglied der Winsener Gruppe des Naturschutzbundes NABU und hat einen Schaukasten mit Neuigkeiten über Störche aufgestellt: zu erreichen von der Hoopter Straße in den Gehrdener Weg und dann rechts am Kopfweiden-Weg. Von dort ist auch das Nest gut zu sehen. Wer es von zu Hause aus beobachten möchte, kann die Live-Kamera per Internet ansteuern und die Störche beobachten.
„Das Weibchen kommt seit zwölf Jahren und ist schon da“, erzählt Peter Beecken. Insgesamt sei der Weißstorch-Bestand in den vergangenen Jahren in der Elbmarsch kontinuierlich gestiegen. „Der Bestand ist hier generell sehr hoch. Wir haben 56 Nester.“ Allein im Naturschutzgebiet Ilmenau-Luheniederung gebe es ein gutes Dutzend Nester, etwa in Stöckte, Laßrönne, Drage und Tönnhausen. Aus Laßrönne und Tönnhausen meldete Storchenbetreuerin Ortrud Hock bereits am 12. Februar die ersten Störche, aus Oldershausen kam am 19. Februar die Nachricht über die Ankunft des Storchenpaares. Und seit Ende der Winterstürme fliegen fast täglich weitere weiß gefiederte Frühlingsboten an der Elbe ein.
Mannis Winterquartier: eine Mülldeponie in der Nähe von Madrid
Manni aber ist noch unterwegs. Am vergangenen Sonntag startete er von seinem Winterquartier, einer Mülldeponie in der Nähe von Madrid. Alle drei Minuten speichert der Sender den per GPS bestimmten Standort, einmal am Tag schickt das per Photovoltaik mit Strom versorgte Gerät eine Nachricht mit den Koordinaten des Tages. Geht alles gut, erreicht er nächste Woche seinen Sommersitz. Das schätzt Steffen Hollerbach. Der Ornithologe und studierte Landschafts- und Naturschützer beschäftigt sich seit Jahren mit den Störchen in der Elbtalaue, erst beruflich, jetzt privat. Gemeinsam mit einem zweiten Storchenfreund ist Hollerbach sogar schon einmal einigen besenderten Störchen aus der Elbtalaue hinterhergefahren: „Als sie Mitte August 2019 von hier wegflogen, sind wir mit dem Auto hinterher“, erzählt Hollerbach. Bis in die Türkei hat das Duo die Verfolgung aufgenommen.
Mit Erfolg: Mittlerweile sind etliche der vormals verwaisten Brutplätze wieder belebt. Wer im Frühjahr und Sommer die Elbtalaue besucht, wird Störche sehen – garantiert. „Wir befinden uns hier in der Zug-Scheide zwischen Westziehern und Ostziehern“, erklärt Hollerbach. „Die Ostzieher fliegen über die Türkei und die Sahara bis in den Sudan und zurück. Die Westzieher gehen oft nicht weiter als Spanien, insgesamt nehmen sie stark zu.“
Neue Kamera auf einem Holzpfahl
Welches Nest Manni wohl bei seiner Rückkehr wählen wird, weiß keiner der Storchenkumpel. Manfred Jordt jedenfalls hat alles für seinen Namensvetter vorbereitet: das Nest nicht nur gepflegt und gestutzt, sondern auch eine neue Kamera auf einem Holzpfahl daneben aufgestellt. Die überträgt den Blick in den Horst auf einen Fernseher bei Jordt zu Hause.
„Wenn Radfahrer vorbeikommen, stehen bleiben und zum Storch hochgucken, lade ich sie ein, ins Nest zu blicken“, erzählt Manfred Jordt. An seinem Gartenzaun hat der Rentner eine Infotafel über Biologie und Zugverhalten des Weißstorches aufgestellt, alles aus privatem Interesse. Und irgendwann, verrät Manfred, möchte er im Herbst auch einmal dorthin, wo Manni und seine Artgenossen hinfliegen: nach Madrid – mit einem Abstecher zu Manni auf seiner Mülldeponie.