Landkreis Harburg. Jeden zweiten Sonnabend schreibt der ehemalige Hauptpastor des Michels für das Hamburger Abendblatt

Wer kennt sie nicht, diese Bilder: Politiker geben sich fürs Pressefoto demonstrativ die Hände, wenn sie nach schwierigen Verhandlungen einen Vertrag unterzeichnet haben. Eine Geste der Höflichkeit. Sie tun es, auch wenn sie einander nicht mögen. Ich sehe noch das Bild vor mir: Trump gab Angela Merkel einmal demonstrativ nicht die Hand – ein deutliches Zeichen der Missachtung. Aber von Anstand hielt der Herr im Weißen Haus nicht viel.

Ein kräftiger Händedruck oder ein langes Händeschütteln gelten als Zeichen von Selbstbewusstsein und Macht. Das muss Herr Macron gewusst haben. Bei einem Besuch des französischen Präsidenten bei Herrn Trump drückte der Franzose die Hand seines Gegenübers so lange, dass der das Gesicht verzog. Ich selbst habe das Gegenteil erlebt. Ein Bundesminister gab mir die Hand. Der Händedruck war nicht nur lasch, sondern feucht. Der Herr schwitzte. Man nennt solchen Händedruck „Toter-Fisch-Handschlag“.

Verein des „Ehrbaren Kaufmanns“ in Hamburg hält Werte hoch

Früher besiegelten Kaufleute ihre Verträge mit Handschlag. Nur auf Treu und Glauben. Da gab es sie noch, die ehrbaren Kaufleute, die so handelten. Der Verein des „Ehrbaren Kaufmanns“ in Hamburg hält die Werte Anstand, Respekt und Fairness heute noch hoch. Früher brauchte man keine juristisch ausgefeilten und abgesicherten seitenlangen Verträge, mit dem Kleingedruckten, wo sich heute so manches Mal die Fußangeln und Fallen finden. Man gab einander die Hand, sah sich in die Augen. In der Erwartung, sich jederzeit aufeinander verlassen zu können und nicht betrogen und enttäuscht zu werden.

Einander die Hände zu reichen ist in westlichen Ländern üblich. In anderen Kulturen ist diese Geste unbekannt. Da gibt es die leichte Verbeugung. Oder man legt die Hand aufs Herz. Oder schaut einander in die Augen. In den Augen kann man bekanntlich vieles lesen und viel erkennen. Es gibt auch die Sitte, sich zu umarmen. Oder den Bruderkuss wie in Russland. Natürlich nur auf die Wange!

Die Geste des Händegebens oder Händeschüttelns ist sehr alt. Auf einem antiken Relief ist ein Handschlag zwischen zwei Kriegern zu sehen. Auf dem Boden liegen die abgelegten Waffen. Jedem leuchtet sofort ein, dass hier eine vertrauensbildende Maßnahme dargestellt ist.

Das Händereichen ist bis heute eine Friedensgeste

So war und ist das Händereichen bis heute eine Friedensgeste. Man sagt: Wer einem anderen die Hand gibt, zeigt ihm, dass er keine Waffen in der Hand hat und also auch keine bösen Absichten hegt. Beim Händeschütteln erkennt das Gegenüber, dass der andere keine Waffen im Ärmel hat.

Ich finde den Friedensgruß in unseren Gottesdiensten sehr schön. Zum Ende jedes Gottesdienstes spricht der Geistliche den folgenden Segenswunsch zu allen: „Der Friede Gottes sei mit euch allen.“ Die Gemeinde antwortet: „Friede sei mit dir!“ Dann erklingt die Aufforderung: „Gebt einander ein Zeichen des Friedens!“ Alle stehen. Jede und jeder reichen denen, die neben, vor und hinter ihnen stehen, die Hand und sagt: „Friede sei mit dir!“ Dieser Brauch geht zurück auf die Zeit um 50 nach Christus. Paulus schreibt in seinem Brief an die Gemeinde in Rom am Ende in der Grußliste: „Grüßt einander mit dem heiligen Kuss.“ Das hat man bis ins 13. Jahrhundert beherzigt und so gepflegt. Aus dem Kuss ist heute der Handschlag geworden.

Der Friedensgruß hat eine schöne und tiefe Symbolik. Es geht dabei nicht in erster Linie um meine eigene Friedfertigkeit und auch nicht um eine Mahnung, anderen freundlich zu begegnen. Es ist der sichtbare und hörbare Ausdruck dafür, dass alle am Frieden Gottes teilhaben. Und dass ich diesen Frieden erst empfangen muss, um ihn dann weiterzugeben.

In Corona-Zeiten muss man auf den Friedensgruß verzichten

Jetzt. in diesen Corona-Zeiten, muss auf den Friedensgruß verzichtet werden. Für manche Gottesdienstteilnehmenden wiegt das nicht schwer. Ihnen ist diese Geste zu direkt und wirkt auf sie wie ein Zwang. Eine Umfrage hat jetzt ergeben, dass 57 Prozent der Befragten auch nach der Pandemie auf das Händegeben verzichten wollen. Ich verstehe das. Aber ich möchte diese Geste gern weiter pflegen. Es gab schon einmal eine Zeit, da tauschten nur noch der Bischof und der Priester den „heiligen Kuss“ als Friedensgruß aus. Die Gemeinde schaute zu. Ich dagegen möchte erleben, dass die Gemeinde so viel wie möglich am Geschehen beteiligt wird. Das entspricht dem protestantischen Grundgedanken vom „Priestertum aller Glaubenden“.

Hierarchisches Denken und Gebaren sollte es in evangelischen Kirchen nicht geben. Der Friedensgruß, den alle mit Worten und Gesten austauschen, ist im besten Sinne demokratisch.