Elstorf. Kai Rostock war erfolgreicher Polizist in Hamburg – seit seiner Pensionierung gestaltet er Bestattungszeremonien und steht Angehörigen zur Seite.
In der kleinen Kapelle steht alles schon am richtigen Ort: dort das Rednerpult, davor ein Kranz, ein paar Blumen. Kai Rostock nickt zufrieden, er muss jetzt nichts mehr weiter vorbereiten für die Beerdigung einer kürzlich verstorbenen älteren Dame, die hier auf dem Elstorfer Friedhof in einer Stunde beerdigt werden soll. Der 61-jährige, frühere Kripo-Beamte hat sich bereits vor ein paar Tagen zum Vorgespräch mit dem Sohn der Verstorbenen getroffen, am Vortag gut sieben Stunden an der Rede gefeilt und ist bewusst etwas vor der eigentlichen Trauerfeier gekommen.
„Ich wollte mich noch einmal umsehen, mich etwas vorbereiten für die Zeremonie nachher“, erzählt er bei einem anschließenden Spaziergang über das Gelände, um so den Weg zum Grab schon einmal zu proben, wo er dann noch ein Grabgedicht vortragen wird.
Bestatter buchen Rostock, wenn eine Rede bei der Trauerfeier gewünscht wird
Noch eben kennt er nicht jeden Friedhof in der Region, seit April erst ist der Asendorfer zertifizierter Trauerredner und wird dafür von verschiedenen Bestattern im Landkreis Harburg gebucht, wenn bei einer Beerdigung keine kirchliche Begleitung, aber doch eine Rede gewünscht ist.
Und das ist offensichtlich gerade in Ballungsräumen von Großstädten immer häufiger der Fall, wo heute laut Wikipedia bei mehr als 35 Prozent der Beisetzungen kein Geistlicher die Trauerfeier mehr begleitet. Mittlerweile gibt es aber konkrete und verschiedene Ausbildungen zum Trauerredner.
Zwischen 350 und 500 Euro kostet es, wenn man einen solchen zertifizierten freien Redner engagiert, der meist nicht nur redet, sondern auch die ganze Trauerzeremonie übernimmt.
Auch Kai Rostock hat eine solche Ausbildung absolviert, bevor er sich bei den Bestattern der Region bekannt gemacht hat; rund 40 sind es allein im Landkreis Harburg, weiß er jetzt. „Das war richtiges Klinkenputzen“, sagt Rostock, der erst kurz vor seiner Pensionierung im vergangenen Jahr auf diesen Gedanken gekommen war. Gut, er macht gern Sport, läuft, fährt Rad, trainiert mit dem Crosstrainer. Und er sei ein Büchernarr, sagt Rostock. Endlich hätte er nun viel Zeit dafür. „Das würde mir aber nicht reichen, ich wollte mehr machen, als nur Sport treiben und lesen“, sagt er.
40 Jahre bei der Polizei, davon 20 Jahre beim LKA und als Zielfahnder
40 Jahre lang zuvor war der in Halstenbek aufgewachsene Rostock bei der Polizei Hamburg, 20 Jahre davon beim Landeskriminalamt. Er war Zielfahnder und trieb weltweit untergetauchte Straftäter auf, bis nach Panama, Bangkok oder Südamerika führten ihn diese Suchen.
Lange arbeitete er auch im Raubdezernat und wurde dort häufiger mit dem Tod konfrontiert. Etwa nach einem Bankraub Ende der 90er Jahre auf die Dresdner Bank am Hauptbahnhof, wobei ein Angestellter erschossen worden war und Rostock und seine Kollegen zuerst am Tatort waren.
Dass aber das Reden über einen Toten auch Trost spenden kann, hat Rostock 2007 nach dem Krebstod seiner Mutter das erste Mal bewusst erfahren. „Ich habe da selbst die Trauerrede gehalten und gemerkt, wie das Reden hilft, Trauer zu überwinden“, sagt Rostock. Und er wusste, dass Reden vor Zuhörern ihm liegt.
Rede darf nicht trauriger sein, als der Anlass – es darf auch mal geschmunzelt werden
So gibt er bereits seit einigen Jahren an Schulen für Jugendliche und an Volkshochschulen für Senioren Seminare zur Gewaltprävention. Wie erkennt man einen Enkeltrick, wie einen falschen Polizisten – über solche Sachen spricht er dann. Und so war der Schritt zu einem professionellen, freien Redner in diesem Jahr dann doch nicht so ungewöhnlich für den mittlerweile pensionierten Kriminalbeamten und Vater von zwei erwachsenen Töchtern.
Für seine Trauerreden hat er sich einige Leitpfade erarbeitet. „Die Rede darf nie trauriger als der Anlass sein“, ist zum Beispiel eine davon. „Es darf auch mal geschmunzelt werden“, sagt Rostock, der weiß, dass auch das zur Verarbeitung von Trauer gehören kann. Er erzählt dann meist aus dem Leben des Verstorbenen, von den Hobbys, Reisen, vom Beruf. „Ich versuche, die Schätze des Toten zu heben“, sagt Rostock, der mittlerweile im Schnitt zwei bis drei Trauerreden im Monat hält.
Anfangs, so erzählt er, habe er nicht gewusst, ob ihm das nicht zu nahe gehen würde. Aber bisher überwog das Gefühl, wirklich zu helfen. „Erst wenn die Musik einsetzt, muss ich oft selbst kurz innehalten“, sagt er. Nur einmal, da kam der Tod bei einer Rede doch sehr dicht heran. Eine 56-jährige Frau war gestorben, an Lungenkrebs. „Da macht man sich schon Gedanken, sie war fünf Jahre jünger als ich“, sagt Rostock.
Durch die Arbeit als Trauerredner sind auch Freundschaften neu entstanden
Hin und wieder tritt er aber auch als freier Redner bei anderen, eher fröhlichen Gelegenheiten auf. So bei Hochzeiten. „Das ist dann doch ein bisschen so etwas wie ein Gegenpart für mich“, sagt er. Dennoch: Nur der fröhliche Redner, das möchte er auch nicht sein. Dafür bekomme er von den Angehörigen eines Verstorbenen eben viel zurück.
Sogar Freundschaften seien nach solchen Anlässen schon entstanden, weil man im Gespräch blieb. „Das Feedback ist da viel größer als nach Hochzeiten“, sagt Rostock, der nun weiß, dass er für das Leben nach dem alten Job den richtigen Weg gefunden hat.