Harburg. Der frühere Michel-Pastor Helge Adolphsen schreibt jeden zweiten Sonnabend im Abendblatt. Heute geht es um Ungeduld und Einsamkeit.

Da stehst du mit deinem Einkaufswagen, vollgepackt bis oben, an einer Kasse im Supermarkt. Du schaust dich um. Da treffen dich böse Blicke. „Habe ich mich vorgedrängelt?“ fragst du. Antwort mit einem bösen Blick: „Ja, und das tun viele.“ Du bittest um Entschuldigung und schaust nach vorn. Eine lange Schlange, nur hochbeladene Wagen. „Stehe ich wieder mal an der falschen Kasse? Soll ich zur anderen gehen? Da ist es leerer.“ Du machst das.

Ganz vorn steht eine ältere Frau mit einem Rollator. Ihr Wagen ist ziemlich leer. Sie sucht das passende Geld, sucht und sucht. Das dauert. Da hilft ihr die freundliche Frau an der Kasse, nimmt das Portemonnaie und holt das Geld raus. Vor dir und hinter dir nervt das allmählich alle Wartenden. Denn sie haben es eilig. Schnell, schnell muss alles gehen! Warum eigentlich? Sind doch nur ein paar Minuten Verzögerung. Plötzlich sagt ein älterer Mann hinter dir laut: „Ich hab‘ Zeit!“ Alle drehen sich um. Und – welche Überraschung! – alle nicken freundlich.

Kassiererin ist im besten Sinn ein Gutmensch

Damit das Einkaufen ruhiger und gelassener geht, hat man an einem Standort einer niederländischen Supermarktkette eine Plauderkasse eingerichtet. Diese Zeitung hat vor einigen Tagen darüber ausführlich berichtet. Ist für alle interessant, meint wohl der Autor. Recht hat er.

Da hat man etwas Besonderes gegen Ungeduld und Stress geschaffen. Wer es eilig hat, scannt seine Rechnung selbst. Wer aber langsamer ist und auch gern reden möchte, legt seine Einkäufe an einer besonderen Kasse aufs Band. Die ältere Verkäuferin, sie geht auf die 60 zu, hat für jeden ein offenes Ohr. Oben an der Kasse steht wie als Einladung „Plauderkasse“. Die Kassiererin ist im besten Sinn ein Gutmensch. Sie sagt von sich: „Ich rede gern und auch viel.“ Das möchten die älteren Menschen auch. Ich weiß das.

In die Filiale meiner Sparkasse kam eine betagte Frau einmal die Woche. Immer zu „ihrer“ Mitarbeiterin. Die erzählte mir, dass diese Frau allein in ihrer kleinen Wohnung lebt. Sie hat niemanden, mit dem sie reden kann. Aber für die nimmt die Mitarbeiterin sich Zeit. Sie schenkt ihr nicht nur Interesse, sondern auch Zuwendung. Die tut der alten Frau gut. Nur ihr? Sicher nicht!

Im Beirat der Hamburger Sparkasse für Kontakt eingesetzt

Als Mitglied des Beirats der Hamburger Sparkasse habe ich vor Jahren erreicht, dass diese Kundengespräche an den Schaltern bleiben, trotz Bankautomaten und Onlinebanking. Der persönliche Kontakt sollte bleiben. Dass das noch weiter finanzierbar ist und eine humane Geschäftsstrategie bezahlbar ist, kann man bezweifeln.

Aber das kommerzielle Interesse kann nicht alles beherrschen. Das meinen die Holländer auch. Sie sehen einen Trend für Plauderkassen, der ernstgenommen werden sollte. Deshalb sind in der niederländischen Supermarktkette in 200 weiteren Filialen Plauderkassen geplant. Eine Studie in Holland spricht dafür. 40 Prozent der Niederländer fühlen sich einsam. Das gilt übrigens sogar für Dörfer. Auch bei uns. Man könnte ja meinen, dass es da noch den Zusammenhalt und gute Nachbarschaft gibt. Dass man über den Zaun miteinander plaudert und Anteil nimmt am Leben der Nachbarn. Aber auch auf den Dörfern ist das längst nicht überall so. Der Papst hat Einsamkeit als die Geißel des 21. Jahrhunderts benannt.

Frank Müntefering fordert auch Initiative von Älteren

Im Abendblatt wird Frank Müntefering zitiert. Der ehemalige Vizekanzler setzt sich für die Belange älterer Menschen ein. Als Gründe dafür nennt er, dass die Familien immer kleiner werden und dass es immer mehr Einpersonenhaushalte gibt. Das sind in Deutschland 17 Millionen, also gut ein Fünftel der Bevölkerung.

Müntefering betont, dass die Betroffenen auch selbst aktiv werden müssen. Das beherzigen wir bei unserem Verein „New Generation“ seit 26 Jahren. Unser Ziel ist es, dass ältere Menschen ihre schlummernden Talente aufwecken, ihre persönlichen, geistigen und kulturellen Interessen mit Gleichgesinnten in Thementreffs und Gruppen entfalten. Dass sie Gemeinschaft nicht nur erleben, sondern selbst mitgestalten. Dieser Ansatz ist erfolgreich.

Also raus aus der Schmollecke, runter vom Sofa, weg vom Fernseher! Und plaudern, reden, sprechen. Und das tun, was einen bewegt und erfreut. Das kann das Leben wieder interessant, lebens- und liebenswert machen.