Neu Wulmstorf. Petra Andersen für die SPD, Noah Andersen für die FDP– beide wurden zum ersten Mal in den Neu Wulmstorfer Gemeinderat gewählt.

Eine Sache muss da noch geklärt werden: Während der Ratssitzungen sprechen sich die Mitglieder des Gremiums meist mit Nachnamen an – auch wenn man später in der Kneipe wieder beim Du ist. „Aber wie machen wir das dann?“, fragt Noah Andersen seine Mutter, als die Frage im Gespräch mit dem Abendblatt auftaucht. Beide lachen kurz und einigen sich darauf, dann wohl beim Du zu bleiben. Alles andere wäre ja komisch, irgendwie. Noch eben ist die Arbeit in der ehrenamtlichen Kommunalpolitik ungewohnt für beide, zumal in dieser Konstellation: Mutter Petra Andersen, 56, und ihr Sohn Noah, 20, sind jetzt aus dem Stand erstmalig in den neuen Neu Wulmstorfer Rat gewählt worden, der am 4. November zu seiner ersten Sitzung zusammenkommt.

Petra Andersen mit ihrem Sohn Noah im Garten ihres Reihenhauses in Neu Wulmstorf.
Petra Andersen mit ihrem Sohn Noah im Garten ihres Reihenhauses in Neu Wulmstorf. © AT | Axel Tiedemann

Sie werden dann quasi als Familie dabei sein, was schon selten ist in der Politik. Aber dann sind sie dort auch noch für unterschiedliche Parteien: sie für die SPD, er für die FDP. Ein Problem für die sozialdemokratische Mutter? Der Sohn ein Liberaler, während man früher als junger Mensch doch eher linker als die eigenen Eltern war?

Bei den Andersens wird zu Hause gern und viel über Politik diskutiert

„Nein“, sagt Petra Andersen, prinzipiell finde sie es gut, wenn man sich engagiere wie jetzt ihr Sohn. „Obwohl“, sagt sie dann doch mit kurzem Zögern, „obwohl, hin und her gerissen bin ich schon und vermisse bei der FDP den Blick auf Geringverdiener.“ Jetzt stöhnt Noah Andersen auf: „Was für ein Klischee wieder!“ sagt er – und schon ist sie da, die lebhafte Diskussion am Küchentisch.

Sind die Andersens aus der Theodor-Heuss-Straße also eine besonders politische Familie? Man habe immer schon viel diskutiert und über Politik gesprochen, sagen beide. Aber parteipolitisch gebunden sind sie erst seit Kurzem. „Als junge Frau war ich mal in der SPD, bin dann aber nach den Hartz-IV-Gesetzen unter Rot-Grün ausgetreten“, sagt Petra Andersen, eine gebürtige Neugrabenerin, die derzeit in der Erwachsenen-Weiterbildung arbeitet. Allerdings war sie in Neu Wulmstorf während der Schulzeit ihrer beiden jetzt erwachsenen Kinder als Elternvertreterin aktiv, zuletzt als Schulelternrats-Vorsitzende des Gymnasiums.

Petra Andersen wurde SPD-Ortsvereinsvorsitzende und könnte auch die Fraktion führen

Mit dem Abitur von Noah 2019 war diese Zeit dann beendet. Aber Petra Andersen stand immer auch mit ihrem Nachbarn und jetzt neugewählten Neu Wulmstorfer Bürgermeister Tobias Handtke (SPD) in Kontakt, der sie schließlich zu einem Wiedereintritt überzeugen konnte. Prompt wurde sie dann auch gleich zur SPD-Ortsvereinsvorsitzenden gewählt und wird jetzt sogar als mögliche Fraktionschefin im Rat gehandelt.

Doch abgefärbt hat dieser sozialdemokratische Weg offensichtlich nicht. Noah Andersen ist vielmehr in der Corona-Krise auf einen anderen, auf einen liberalen Pfad gekommen. Wie wohl viele junge Wähler, die der FDP bei den Erstwählern der Bundestagswahl überraschenderweise das beste Ergebnis gebracht hatten. Aber auch vor Ort in Neu Wulmstorf schneiden die Liberalen bei Jugendlichen derzeit gut ab: Das zeigte die Juniorwahl der Jahrgänge 9 bis 13 am örtlichen Gymnasium. Bei diesem Stimmungsbarometer parallel zur Bundestagswahl erreichte die FDP mit 29,2 Prozent den Spitzenwert, gefolgt von Grünen (25,8 %) und SPD (22,9 %) .

Noah Andersen ist seit sieben Monaten in der FDP und schätzt Eigenverantwortung

Die Kritik der Freidemokraten an harten Grundrechtseinschränkungen in der Pandemie dürfte dazu ihren Teil beigetragen haben „Die FDP war die einzige Partei, die den schmalen Grat zwischen staatlichem Bürgerschutz und Eigenverantwortung geschafft hat und sich immer für die Öffnung der Universitäten eingesetzt hat“, sagt Noah Andersen, der seine ersten Diskussionserfahrung in den Zeiten als Schülersprecher gewonnen hat.

Aber auch bei den beiden anderen für ihn wichtigen Themen Digitalisierung und Klimaschutz gefalle ihm der liberale Ansatz. Nicht Verbote und starker Staat, sondern Innovation und Selbstinitiative seien da wichtig. „Wir können hier in Deutschland nicht das Weltklima ändern, aber wir können emissionsfreie Technik entwickeln und Klimaschutz zum Exportgut machen“, sagt er. Der Ansatz gerade der Grünen sei hingegen zu ideologisch, zu sehr auf die großen Städte fixiert.

Der Jungliberale studiert Deutsch und Sport in Vechta

„Man kann nicht überall ÖPNV anbieten; aber was sollen die Leute beispielsweise hier in Rade machen, die brauchen ein Auto“, sagt er und bekommt in diesem Punkt nickenden Zuspruch seiner Mutter. In einem anderen dann aber wieder nicht: Um den Durchgangsverkehr in der Bahnhofstraße zu verhindern, will die Neu Wulmstorfer SPD dort eine Tempo-20-Zone. Noah Andersen ist dagegen: „Dann stehen wir alle im Stau“, sagt er und plädiert dafür, den Verkehr vorher schon einfach umzuleiten. „Ach in der Theorie hört sich so etwas immer gut an, aber wenn es in die praktische Umsetzung geht…“, wirft die Mutter ein. Und damit sind beide erneut in der Diskussion am Küchentisch, die nun im Rat eine Fortsetzung finden wird.

Erst vor sieben Monaten ist Noah Andersen in die FDP eingetreten und ist auch auf Kreisebene bei der liberalen Jugendorganisation aktiv, die immer mehr Mitglieder verzeichnet. „Unsere Generation wird nicht nur durch Rezo oder Luisa Neubauer repräsentiert – auch wenn das immer so geschrieben wird“, sagt der Jungliberale, der jetzt mit einem Lehramtsstudium (Sport und Deutsch) in Vechta startet, seinen ersten Wohnsitz aber weiterhin in Neu Wulmstorf behält. Fraktionssitzungen, zumal in der kleinen FDP-Zweierfraktion, könne man auch digital absolvieren, findet der Jungpolitiker. Und zu den Ratssitzungen jeweils am Donnerstag ist er dann wieder zu Hause, um dort auch mit der eigenen Mutter zu diskutieren. Eben nicht nur am Küchentisch.