Lüneburg. Lünebohne legte einst Grundstein. Team des kleinen Fair-Trade-Cafés stellt nun auf konsequent nachhaltiges Wirtschaften um.

Begonnen hat alles mit der Lünebohne. Die fair gehandelte Kaffeebohne legte vor zehn Jahren den Grundstein für das heutige Café Avenir in Lüneburg. Der Name Lünebohne sei mittlerweile vielleicht nicht mehr so originell, meint Kristin Jordan, eine der Gründerinnen. Der Gedanke dahinter dagegen umso mehr: Die Menschen und den Kaffee einander so nah wie möglich bringen, sodass die Konsumenten gut informiert und guten Gewissens ihr Getränk genießen können.

„Unser Ziel war es, nachhaltige Produkte für jedermann zugänglich und attraktiv zu machen“, sagt die 34-Jährige. So wurde aus dem Fair-Trade-Kaffeehandel zweier Studenten 2014 das Café mit Laden, wo es auch Bio-Weine, Craft Beer und Schokolade zu kaufen gibt, wo Kuchen, Croissants und freitags Pizza serviert wird. Und wo sich Menschen unterschiedlichsten Alterns und Herkunft treffen, quatschen, Freundschaften schließen. Das Konzept baut auf vier zentralen Kriterien auf: direkter Handel, biologischer Anbau, Regionalität und handwerkliche Herstellung.

Im Café Avenir spielt gegenseitige Wertschätzung eine besondere Rolle

Nachhaltiger Konsum ist im Avenir zudem untrennbar verbunden mit Genuss und Wertschätzung. „Die gilt für die Produkte ebenso wie für die Produzierenden und für uns untereinander“, sagt Ruth Jeckel, die vor drei Jahren zum Team stieß. Gemeinsam mit Kristin Jordan erzählt die 27-Jährige auf einer Bank vor dem Café, das in einer kleinen Seitenstraße nahe dem Lüneburger Rathaus liegt, bei einem Kaffee von ihrem besonderen unternehmerischen Ansatz.

Denn ihren Weg wollen die Café-Betreiber künftig noch konsequenter weitergehen. Deshalb haben sie mit weiteren Mitstreitern, die im und für das Café arbeiten, ein Kollektiv gegründet. Es soll die Grundlage für eine neue Form des Wirtschaftens sein, bei der die Arbeit und das erwirtschaftete Geld noch fairer verteilt werden. Dieser Prozess, bei dem das Gemeinwohl und die Sinnstiftung im Zentrum steht, soll zudem so transparent wie möglich gemacht werden – ebenso wie der Weg, den der Kaffee vom Ursprung bis ins Café gegangen ist.

Die Bohnen stammen von Kaffee-Kooperationen aus Südamerika und Afrika

Die Bohnen stammen von Kaffee-Kooperativen unter anderen in Honduras, Ecuador und Tansania. Die Produzenten erhalten dafür deutlich mehr als den Fairtrade-Mindestpreis, zudem wird ihnen durch Vorfinanzierung ein Teil des Risikos abgenommen. Seit einigen Jahren rösten die Lüneburger Unternehmer ihren Kaffee und Espresso selbst, bisher bei ihrem Hamburger Partner Quijote Kaffee. Dort sind sie mittlerweile als Co-Importeur eingestiegen. Vor Kurzem ist zudem ein langgehegter Wunsch in Erfüllung gegangen: die Eröffnung ihrer eigenen Rösterei.

Außer dem kleinen Ursprungscafé in der Altstadt betreibt das Team jetzt ein Café über zwei Etagen im neuen Stadtviertel Ilmenaugarten nahe dem Bahnhof. Hier bietet das Team ihren selbst gerösteten „korrekten Kaffee“ an. Herzstück ist der eigene Röster, der per Crowdfunding finanziert wurde. Innerhalb von rund einem Monat kamen annähernd 23.000 Euro zusammen. Die Kampagne war einer der Lichtblicke im vergangenen Jahr. Corona sei eine Riesenherausforderung gewesen, sagt Kristin Jordan. „Aber unsere Stammkundschaft hat zu uns gehalten, das hat uns durch die Krise gebracht.“

Mit einem Lastenfahrrad liefern die Cafébetreiber auch nach Hause aus

Mit einem neu angeschafften Lastenrad starteten die Cafébetreiber im ersten Lockdown einen Lieferdienst, so konnten sie das Geschäft am Laufen halten und den Kontakt zu ihren Kunden stärken. Das Angebot gibt es immer noch, mit dem Fahrrad beliefern sie Supermärkte, aber auch Kunden, die zum Beispiel Weinkisten oder Zwei-Kilo-Eimer mit Kaffeebohnen bestellt haben. Trotz der schwierigen Zeit planten sie parallel die Expansion. Nach fünf Monaten Planung wurde im Juni die neue Rösterei eröffnet – wenn auch wegen Corona zunächst nur mit Außenbetrieb.

Durch die große Glasfront können Gäste und Passanten zusehen, wie die hauseigenen Röstungen entstehen. Die Räume seien perfekt für ihr Vorhaben, sagt Ruth Jeckel. „In unserer gläsernen Rösterei ist für jeden sichtbar, wie wir rösten.“ Genauso transparent wollen sie die Herkunft der Bohnen, die Produktion und die Preisgestaltung machen. Dafür wird zurzeit die Internetauftritt überarbeitet, zudem entsteht in Kooperation mit der Leuphana Universität eine Graphic Novel zum Thema. Ihre unternehmerische Strategie soll kein Geheimnis bleiben. „Wir denken nicht in Konkurrenz, sondern wollen vielmehr ermutigen, mal anders zu denken“, sagt Kristin Jordan.

Alle Mitglieder des Kollektivs erhalten den gleichen Stundenlohn für ihre Arbeit

Die Umwandlung zum Kollektiv ist da nur konsequent. „Damit wollen wir noch stärker das alternative und nachhaltige Wirtschaften ausbauen. Es ist eine Organisationsform, die ganz bewusst mit kapitalistischen Maximen bricht“, sagt die Unternehmerin. Kapitalanhäufung hat darin genauso wenig Platz wie hierarchische Machtstrukturen. Wer dem Kollektiv beitritt, kauft Anteile am Unternehmen, das bisher von vier Gesellschaftern getragen wird. Ziel ist es, dass alle Mitglieder einen gleichen Anteil halten. Gewinne werden nicht ausgeschüttet, sondern reinvestiert. „Alle arbeiten für den Zweck, erhalten den gleichen Stundenlohn und tragen gleichermaßen Verantwortung.“

Natürlich bringen die Teammitglieder – sie sind zwischen Anfang 20 und Ende 40 – unterschiedliche Erfahrungen und Kompetenzen mit. Neben einigen Kultur- und Umweltwissenschaftlern zählen unter anderem eine Bürokauffrau, ein Logistiker, eine Personalerin, zwei Köche und ein Holzwirt zum Team. Einige arbeiten Vollzeit im Café, andere haben weitere Jobs oder studieren. Im Avenir sollen sich alle nach ihren jeweiligen Stärken einbringen und verschiedene Aufgaben übernehmen. Zwar hätten viele von ihnen Schwerpunkte, wie Service, Barista oder Buchhaltung, sagt Ruth Jeckel. „Aber alle Aufgaben, egal ob höherwertig oder einfach, werden gleich wertgeschätzt. Und alle, die hier arbeiten, kennen sich mit Kaffee aus.“

Den Initiatoren geht es um neue Wege in der Gastronomie

Mit dem Kollektiv wollen sie auch einen Weg ausprobieren, wie die Gastronomie für die dort Tätigen besser gestaltet werden kann. „Es ist uns wichtig, dass wir uns Löhne und Gehälter zahlen können, von denen ein gutes Leben möglich ist“, sagt Kristin Jordan. Wie genau die Arbeit im Kollektiv funktioniert, wird laufend ausgehandelt. Alle zwei Wochen trifft sich die Gruppe im Plenum, um neue Ideen zu diskutieren, Aufgaben an Untergruppen zu übergeben oder gemeinsam Entscheidungen zu fällen. „Die Struktur ist nicht starr, sondern entwickelt sich immer weiter“, beschreibt Kristin Jordan den Prozess, der für die Beteiligten auch ein Experiment ist. „Wir setzen nicht alle Ideen gleich um, sondern tasten uns langsam ran.“

Pläne haben sie genug für die Zukunft. Die Kontakte zu den Bauern sollen ausgeweitet werden, ihre Produkte noch stärker im Einzelhandel vertreten sein, die Belieferung von Büros ausgebaut werden. Vor allem aber wollen die Macher vom Avenir ihre eigenen Röstungen vorantreiben. Die sind nach Instrumenten benannt – Bass, Klavier, Gitarre, Trommel – und stehen im Mittelpunkt der neuen Ausrichtung. Das bisher Erreichte wird nicht aussortiert, sondern weiter mitgedacht. Und auch die Lünebohne ist noch immer im Sortiment.