Stelle. Im Umfeld der Seeve nickten im 20. Jahrhundert Dutzende Pferdekopfpumpen, um Erdöl zu fördern. Eine Pumpe erinnert an diese Zeit.
Der Wind wiegt die Äste der alten Weiden am Seeve-Ufer. Vögel zwitschern im Gebüsch, über der Szenerie kreisen zwei Bussarde: Hier in der Seeveniederung, inmitten der Natur, wurden im vergangenen Jahrhundert Millionen Tonnen Öl gefördert. Auch im Friesenwerder Moor zwischen Meckelfeld und Over, vor allem aber im Marschland südlich von Fliegenberg nickten zahlreiche Pferdekopfpumpen und brachten mit jeder „Kopfbewegung“ das schwarze Gold an die Oberfläche.
Längst sind die Pumpen, Rohre und Bohrlöcher aus der Marschlandschaft verschwunden. Die letzte Förderpumpe steht als Industriedenkmal am Parkplatz der Straße Hinter der Bahn. Am beliebten Wanderweg, der von den Bahngleisen zur Seevengeti am Steller See und zum Junkernfeld führt.
Anno 1937 bekamen die Gas- und Ölunternehmen Wintershall und Gewerkschaft Elwerath die „Konzession Meckelfeld“ und damit das Recht, im Boden der Seevetaler und Steller Elbmarsch nach Öl zu bohren. Sie wurden fündig: In rund 1800 Meter Tiefe, in den Poren von zu Stein verhärteten Sandschichten, befand sich so viel Öl, dass sich eine Förderung lohnte. 1938 nahmen die ersten Pumpen ihre Arbeit auf und gewannen auch im Zweiten Weltkrieg Öl. Erst 1944 wurde der Betrieb eingestellt. Zusammen mit der jüngeren, 1957 entstandenen Betriebsstätte Meckelfeld-Süd/Stelle förderten Dutzende stählerne Pferdeköpfe bis 1993 rund drei Millionen Tonnen (3,5 Milliarden Liter) Erdöl zu Tage.
Zum Bau des Rangierbahnhofs Maschen mussten drei Bohrungen schließen
Einem der letzten Betriebsleiter, Helmut Cordes, ist es zu verdanken, dass die Öl-Ära in der Marsch nicht spurlos verschwand. Er hat die graugrüne Pferdekopfpumpe am Wegesrand zur Erinnerung an die erfolgreiche Ölförderung aufstellen lassen. „Unsere Arbeit im Team und unsere Verbundenheit mit den Menschen in Stelle sind mir noch in sehr guter Erinnerung“, sagt Cordes, der von 1985 bis 1987 den Wintershall-Betrieb in Stelle geleitet hat. „Im Zuge des Baus des Rangierbahnhofes mussten wir drei von unseren rund 30 Förderbohrungen schließen. Sie lagen von Hoopte an der Elbe bis hinter Stelle in Richtung Maschen.“
Er erinnere sich noch gut an den sehr kalten Winter 1986, bei dem sich auf der Elbe Eis und Wasser stauten, so dass die Deichkrone fast überspült wurde: „Da herrschte große Aufregung. Wir mussten die Bohrungen zeitweise schließen und die Elektromotoren aufbocken“, erzählt der Zeitzeuge. Mittlerweile seien bis auf einige Wege alle Flächen rekultiviert und an die Landwirte zurückgegeben worden.
Es wurde zu 80 Prozent Wasser gepumpt
Spaziergänger, die heute an der alten Pumpe vorbeigehen, vermuten in der Flussniederung sicherlich eher Wasser als Erdöl im Boden. Genauso ist es und war es bereits im 20. Jahrhundert. Der Förderbetrieb Stelle unter Regie eines Konsortiums aus Wintershall und BEB (Esso und Shell) produzierte von 1957 bis 1993 rund 10,7 Millionen Kubikmeter sogenanntes Nassöl – ein Wasser-Öl-Gemisch, das zu mehr als acht Millionen Kubikmetern aus Wasser bestand. Das wässrige Rohöl wurde durch Rohre zum Betriebsplatz nach Stelle geleitet. Dort setzte sich in großen Tanks das leichtere Öl oben ab, und das Wasser ließ sich unten abziehen.
Dieses Lagerstättenwasser wurde unter hohem Druck wieder zurück in den Boden gepumpt. Das ist nicht zu vergleichen mit dem umstrittenen Fracking. Denn dort werden Chemikalien eingesetzt, um Öl zugänglich zu machen, das in Gesteinsschichten eingeschlossen ist. Doch auch die Wasserinjektionen hatten negative Folgen. Sie führten dazu, dass das Verhältnis von Öl zu Wasser immer ungünstiger wurde. Wenn fast nur noch Wasser gefördert wird, lohnt sich der Aufwand nicht mehr. Auch deshalb wurde 1993 der Förderbetrieb eingestellt.
Zuvor musste er zweimal ruhen: Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lag der Betrieb Meckelfeld bis Juli 1945 still, weil das geförderte Öl nicht abtransportiert werden konnte und die Stromversorgung nicht funktionierte. Der Förderbetrieb Stelle wurde im Februar 1962 unterbrochen, als die Sturmflut Pumpen und Sammelstellen unter Wasser setzte. Doch insgesamt hat der Steller Betrieb mit 41 Bohrungen und gut zwei Millionen Tonnen gefördertem Rohöl immerhin rund 60 Prozent des ursprünglich ermittelten Ölvorkommens der Lagerstätte gewonnen.
Als letztes wurde 2018 das Betriebsgebäude in Stelle abgerissen
Bis Mitte der 1990er-Jahre wurden die Bohrplätze sowie der Aufbereitungs- und Lagerbetrieb in Stelle stillgelegt und alle technischen Anlagen demontiert. Über die Förderbrunnen wuchs Gras, auf dem Grundstück des Betriebsplatzes in Stelle am Höpmannsweg stehen heute Einfamilienhäuser. Das an die Gemeinde verkaufte Gelände war zu Bauland geworden, wobei das Betriebsgebäude erst Ende 2018 abgerissen wurde.
Weiter westlich, im Harburger Stadtteil Sinstorf, wurde ebenfalls Öl gefördert. Dort laufen gerade erste Untersuchungen, ob sich aus den aufgegebenen Bohrlöchern Erdwärme fördern ließe. „Nördlich der Autobahn A7 befinden sich befahrbare Bohrungen der Firma Neptune Energy, die zur Erdölgewinnung genutzt werden oder wurden. Diese könnten in Form einer tiefengeothermischen Nachnutzung zur Bereitstellung erneuerbarer Wärme genutzt werden“, ist im Harburger Klimaschutzkonzept zu lesen. „Von Seiten des Eigentümers besteht Interesse an einer energetischen Nachnutzung.“ Demnach erscheine es realistisch, bei einer 3000 bis 4000 Meter tiefen Bohrung täglich bis zu 4000 Kubikmeter 90 Grad heißes Wasser an die Oberfläche zu bringen.
Neuer Bewilligungsbescheid blieb ungenutzt
Jenseits der Elbe, in Reitbrook (Vier- und Marschlande), nicken heute noch Pferdekopfpumpen. Und 2012 sah es so aus, als ob auch südlich der Elbe der Förderbetrieb wiederbelebt werden könnte: Damals hatte das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie in Clausthal-Zellerfeld der BEB das Recht verliehen, in einem neuen „Bewilligungsfeld Meckelfeld“ zu untersuchen, ob sich hier noch einmal wirtschaftlich Öl fördern lässt. Das 37 Quadratkilometer große Terrain reicht von Fliegenberg bis Bullenhausen und von Meckelfeld bis Maschen/Stelle. Doch die Bewilligung ist am 15. August 2015 ausgelaufen, ohne dass es in den Natur-, Landschafts- und Wasserschutzgebieten sichtbare Aktivitäten gegeben hat. So wird die letzte Pferdekopfpumpe der Seeveniederung wohl allein bleiben und höchstens den Bussarden gelegentlich als Ansitz dienen.