Harburg. Hotels vermieten Zimmer, Co-Working-Spaces bieten Schreibtische an: Warum es sich auf dem Land auch gut arbeiten lässt.

Die Kinder sind hungrig und wollen bekocht werden. Das Arbeiten am Küchentisch wird auf Dauer ziemlich unbequem. Und die Abgrenzung zwischen dem eigenen Zuhause und dem Job fällt immer schwerer. Wegen der Pandemie mussten viele Menschen ihren Arbeitsplatz in die eigenen vier Wände verlagern. Die einen haben das Homeoffice lieben gelernt – den anderen fällt die Decke auf den Kopf.

Um für einen Tapetenwechsel im Arbeitsalltag zu sorgen, gibt es Ausweichmöglichkeiten: Einige Hotels stellen ihre Zimmer tagsüber zur Verfügung, Coworking-Spaces vermieten Schreib­tische als Alternative zum Homeoffice an Beschäftigte. Das Abendblatt stellt einige Modelle aus der Region vor.

Homeoffice im Hotel mitten in der Natur

Ein Homeoffice im Grünen bietet Christine Hamester-Koch auf dem Ellernhof östlich von Lüneburg an. Das Tagungshotel besteht aus mehreren Häusern, umgeben ist es von einem zehn Hektar großen Waldgebiet. Wer sein Büro zeitweise in eines der Hotelzimmer verlagert, guckt durchs Fenster auf Wiesen, einen von Eichen umgebenen Teich oder eine Weide, auf der Esel grasen.

Christine Hamester-Koch, Inhaberin des Ellernhofs, bringt ihre Homeoffice-Gäste in verschiedenen Häusern auf dem weitläufigen Gelände unter.
Christine Hamester-Koch, Inhaberin des Ellernhofs, bringt ihre Homeoffice-Gäste in verschiedenen Häusern auf dem weitläufigen Gelände unter. © Unbekannt | Lena Thiele

Diese Umgebung – und die Sicherheit einer schnellen Internetverbindung – hat auch Gisa Schuh aus Köln hierher gelockt. Als Firmen- und Gedächtnistrainerin gibt sie aus ihrem Zimmer, dem im Preis inbegriffenen Konferenzraum oder dem Garten ganztägige Webinare.

„In der Stadt habe ich diese Natur um mich herum nicht, das tut in diesen Zeiten einfach gut“, sagt die 53-Jährige. „Außerdem ist ein Standortwechsel auch immer ein Perspektivenwechsel.“ In ihren Pausen holt sie sich einen Kaffee, Mittagessen kann sie sich in einer Küche in einem separaten Haus zubereiten – der Abstand zu anderen Gästen muss immer gewahrt werden. Zwischendurch geht sie die Esel putzen oder besucht die Ponys, Kaninchen oder Seidenhühner auf dem Hof.

Anders als zu Hause kann Gisa Schuh hier auch abends noch konzentriert arbeiten. Und es fällt ihr auch nicht schwer, morgens um 5.30 Uhr aufzustehen. Das liege an der Luft, die deutlich besser sei als in der Stadt, sagt sie. „Ich habe eine arbeitsintensive Woche hinter mir. Trotzdem bin ich zwar müde, aber nicht erschöpft.“

Erlaubt sind nur rein dienstlich begründete Aufenthalte

Zehn Tage will die Trainerin vom Ellernhof aus arbeiten, ihr Programm ist dicht gestrickt. Freie Tage zwischendurch wären auch nicht erlaubt, wegen des derzeitig gültigen Beherbergungsverbots für Touristen muss der Besuch rein geschäftlich begründet sein. Die Gäste müssen mit ihrer Tätigkeit Geld verdienen, zumindest im Nebenverdienst.

Deshalb prüfe sie jede Anfrage gründlich, betont Christine Hamester-Koch, Inhaberin des Hotels mit 38 Zimmern. Normalerweise beherbergt sie die Teilnehmer von Tagungen, Arbeitsmeetings, Firmenveranstaltungen oder Seminaren. Seit April vergangenen Jahres vermietet sie die Zimmer als Alternative zum Heimbüro. Ein Tag im „Grünen Büro“ kostet 33 Euro, eine Woche 133 Euro, jeweils zuzüglich der Übernachtung.

Selbstständige und Büroangestellte nutzen das Homeoffice im Hotel

Eine Personal Trainerin war schon hier, Yogalehrer geben aus den Tagungsräumen Kurse, eine Uni-Dozentin hielt Vorlesungen, Start-up-Gründer schrieben ihren Businessplan. Auch Büroangestellte und Selbstständige, die im Familien-Homeoffice nicht mehr ruhig arbeiten können, nutzen das Angebot. „Hier können sie wieder konzentriert arbeiten und außerdem im Wald joggen, E-Bike fahren oder bei den Tieren Kraft tanken. Das setzt Kreativität frei und zentriert“, sagt Hamester-Koch. Sie sieht in der Krise auch eine Chance. „Durch Corona haben die Menschen wieder begonnen, die Natur zu schätzen. Im Geschäftsleben kommt das allerdings erst langsam auf.“

Die 57-Jährige hofft, dass künftig mehr Firmen diese Vorteile für ihre Mitarbeiter nutzen werden. Dann könnte auch ihre jüngste Idee ein Erfolg werden: Homeoffice plus Kinderbetreuung. „Vor allem Alleinerziehende kommen zurzeit an ihre Grenzen. Ich will eine Eins-zu-eins-Betreuung durch eine Umwelt- und Bauernhofpädagogin anbieten. Während die Eltern arbeiten, beschäftigen sich die Kinder so sinnvoll in der Natur“, sagt die Mutter von vier Kindern und gelernte Erzieherin, die selbst von einem Bauernhof kommt. Auch nach der Pandemie könnten Unternehmen Zimmer mieten und ihren Angestellten als Bonus anbieten. „Dann könnte zum Beispiel jeder Mitarbeiter einen Tag im Monat hier draußen verbringen.“

Das Achat Hotel Buchholz bietet
Das Achat Hotel Buchholz bietet "Hotel-Office" an, eine Alternative zum Homeoffice oder Großraumbüro in der Corona-Pandem. © Unbekannt | Achat Hotel Buchholz

Diese Möglichkeit gibt es auch im Achat Hotel Buchholz. Dies bietet ebenfalls seit dem ersten Lockdown das sogenannte Hotel-Office an. Hier gebe es zum einen einen Corona-sicheren Bereich, zum anderen würden Mitarbeiter im Hotel oft effektiver als zu Hause arbeiten, sagt Rolf Scheibe, Head of Sales der Achat-Gruppe, die 34 Häuser vor allem in Deutschland betreibt. Selbstständige hätten sich bisher ebenso eingemietet wie ganze Firmenteams, die mehrere Zimmer zeitgleich buchten.

Ein Tag im Hotelbüro kostet 39 Euro, wer von Montag bis Freitag bucht, zahlt 175 Euro. Tagsüber von 8 bis 18 Uhr können die Gäste hier arbeiten, es gibt Internet, Kaffee und Getränke. Das Restaurant ist zwar noch geschlossen. „Auf Wunsch bestellen wir per Lieferservice Mittagessen aufs Zimmer“, sagt Scheibe. Auch Frühstück werde im Hotel angeboten. Zwar sei die Nachfrage in Buchholz überschaubar, mit dem Angebot könne das Hotel jedoch auch neue Gäste für die Zukunft gewinnen. „Das ist eine Win-win-Situation für beide Seiten.“

Wenn Désirée Peikert aus dem Fenster blickt, schaut sie direkt in die Kalkberg-Arena von Bad Segeberg. Sie sitzt auf der Fensterbank, mit einem Kissen im Rücken und ihrem Laptop auf dem Schoß. Würden gerade die Karl-May-Spiele laufen, könnte sie beobachten, wie Winnetou auf Iltschi durch das Stadion reitet. Aber die Veranstaltung fällt in diesem Jahr erneut aus – und Desiree Peikert ist ohnehin zum Arbeiten gekommen. Die Foodbloggerin und -fotografin hat sich in das am Kalkberg liegende Wasserturm-Hotel eingemietet, um hier ihren Tag im Homeoffice zu verbringen.

Foodbloggerin und -fotografin Desiree Peikert hat sich ins Wasserturm-Hotel in Bad Segeberg eingemietet, um dort Homeoffice zu machen.
Foodbloggerin und -fotografin Desiree Peikert hat sich ins Wasserturm-Hotel in Bad Segeberg eingemietet, um dort Homeoffice zu machen. © Unbekannt | Annabell Behrmann

„Das gönne ich mir gern mal“, sagt die 39-Jährige. Bereits zum dritten Mal hat sie das oberste Turmzimmer in der sechsten Etage des historischen Denkmals gebucht. Von 8 bis 18 Uhr hat sie Zeit, um an Videokonferenzen teilzunehmen, Fotos zu bearbeiten, Inhalte zu kreieren. „Da ich kreativ arbeite, brauche ich einen freien Kopf. Hier bin ich sehr fokussiert, mache nicht zwischendurch die Waschmaschine an oder räume den Geschirrspüler aus.“ Die Bloggerin ist das Arbeiten im Homeoffice zwar gewöhnt. Seitdem aber ihre 17-jährige Tochter und ihr Mann coronabedingt ebenfalls von zu Hause aus lernen und arbeiten, fällt es ihr schwerer, sich in den eigenen vier Wänden zu konzentrieren. Hinzu kommt: „Wenn ich große Datenmengen von Fotos verschicke, stockt der digitale Unterricht meiner Tochter.“

49 Euro kostet der Homeoffice-Tag im Hotel

Bei Instagram hat Peikert das Angebot entdeckt, im zum Hotel umgebauten Wasserturm Homeoffice zu machen. Sie kommt aus der Nähe von Plön, 30 Minuten braucht sie mit dem Auto nach Bad Segeberg. Für 49 Euro am Tag kann sie in Ruhe arbeiten. In das Zimmer gelangt sie mithilfe eines QR-Codes auf dem Smartphone. Der Zugang ist nur für den gebuchten Zeitraum gültig.

Während des Tages wechselt Peikert öfter ihren Arbeitsplatz im Raum, erzählt sie. Mal sitzt sie am Fenster, mal auf dem Bett, mal am Küchentisch. Wenn sie wollte, könnte sie sogar die frei stehende Badewanne in der oberen Etage nutzen. Das Zimmer erstreckt sich über zwei Ebenen, das Bad befindet sich direkt unter der Turmspitze. „Die Atmosphäre ist einfach etwas Besonderes.“

Das Apart Hotel Wasserturm, zu dem vier weitere Häuser mit Apartments gehören, wurde erst im vergangenen August eröffnet. „Wir hatten drei tolle Monate. Das Konzept ist super von den Gästen angenommen worden. Wir waren voller Euphorie – doch dann hat Corona uns einen Strich durch die Rechnung gemacht, und alles stand leer“, sagt Cornelia Möller, Geschäftsführerin von DS Immobilien. Die Mitarbeiter hätten „die Kissen von rechts nach links gerückt“, wussten nicht so recht, was sie noch tun sollten. Dann kam vor zwei Monaten die Idee, die sechs Turmzimmer an Beschäftigte im Homeoffice, die einen Tapetenwechsel brauchen, zu vergeben. In der Woche sind rund zehn Gäste zu Besuch. „Für uns ist das eine gute Werbemaßnahme“, sagt Möller. „Viele, die hier waren, meinten, sie würden für eine Übernachtung gern wiederkommen.“

Co-Working-Spaces: Abwechslung beim Arbeiten

Eine Alternative zum Homeoffice sind auch gemeinschaftliche Arbeitsräume wie der Freiraum Lüneburg, der im Spätsommer einen Standort in Winsen eröffnet. Als Co-Working-Space, Bürogemeinschaft, Seminarzentrum und Veranstaltungsraum bietet er feste und flexible Arbeitsplätze.

Der Freiraum Lüneburg bietet bald auch Coworking in Winsen an.
Der Freiraum Lüneburg bietet bald auch Coworking in Winsen an. © Unbekannt | Freiraum Lüneburg

Die tage- oder stundenweise Vermietung von Arbeitsplätzen sei zurzeit nur nach Terminabsprache möglich, sagt Charlotte Kohlschütter vom Freiraum. „Wir müssen unsere Kapazitäten im Blick haben und mögliche Infektionswege nachvollziehen.“ Wer einen festen Arbeitsplatz hat, kann diesen uneingeschränkt nutzen, solange die Hygiene-Richtlinien eingehalten werden. Die Vermietung von Seminar- und Veranstaltungsräumen ist in sehr kleinem Rahmen ebenfalls möglich.

Neue Mieterinnen seien grundsätzlich herzlich willkommen, sagt Kohlschütter. „Die Nachfrage nach festen Arbeitsplätzen, insbesondere eigenen Büroräumen, ist seit Beginn der Pandemie allerdings recht hoch.“ Deshalb plant das Team, parallel zu Expansion nach Winsen auch den Standort in Lüneburg zu erweitern.

Das Prinzip „Coworking“ („zusammenarbeiten“) sei nicht nur ein Geschäftsmodell, sondern eine Art zu leben, sagt Björn Budack, der Co-Working-Spaces nahe Norderstedt vermietet. In der Einkaufspassage am Schmuggelstieg hat er sein Kiez Büro eröffnet. „Jeder, der Bock hat, kann vorbeischauen.“ Fünf Schreibtische können hier gebucht werden. Die flexible Variante mit wechselnden Tischen kostet 119 Euro im Monat, einen festen Platz gibt es für 219 Euro. Zudem gibt es 10er-Tickets für 139 Euro zu kaufen.

Im Obergeschoss arbeitet Olaf Knauer. „Ich kann im Homeoffice nicht arbeiten“, sagt der Projekt- und Führungscoach aus Norderstedt. Fast täglich kommt er ins Kiez Büro, trägt Hemd und Jackett, manchmal eine Krawatte für wichtige Videokonferenzen. „Ich finde Coworking super. Man tauscht sich mit anderen aus, manchmal ergeben sich sogar Synergien. Das ist eine große Bereicherung.“