Handeloh. Bei der Abfahrt vom Pferdekopf störte die Barriere offensichtlich im Auslauf der Piste. Naturschützer ärgert das Verhalten von Touristen.
„Nochmal!“, ruft der Junge, als er unten ankommt. Die Wangen rot, die Augen strahlend: Das Kind rennt gleich wieder hoch auf den Berg, vorbei an Wacholder und aus dem Schnee ragenden Heidesträuchern. Wo ansonsten der Heidschnucken-Wanderweg entlangführt, ist in diesem Winter eine Rodelbahn entstanden. Hunderte spielen hier Winterurlaub, mit Schlitten und Ski. Vorläufiger Höhepunkt: Besucher sägten Holzpfähle ab, um besser den Berg runterzukommen. Mitten in der Lüneburger Heide.
Der Parkplatz am Büsenbachtal bei Handeloh ist voll, das Dorf genauso. Das Wochenende ist noch frisch, doch Zeugen gibt es trotzdem schon: Hier steckt eine Bierflasche im Schnee, da steht eine Packung Orangensaft. Männer, Frauen und Kinder machen sich von hier aus auf zum Pferdekopf – im Sommer knapp 80 Meter hoher Aussichtspunkt über das romantische Heideidyll mit Schnucken und Schäfer, in diesem Winter Rodelbahn und Skipiste.
Doch eines hat die Schlittenfahrer offensichtlich gestört: die Holzpfähle und Pfosten, die als Begrenzung der Wege dienen sollen. Kurzerhand packten Unbekannte am ersten Februar-Wochenende die Säge ein und sorgten selbst für freie Fahrt. Wo vorher zwei etwa drei Meter lange Holzpfosten als Handläufe eine Art natürliche Barriere bildeten, klafft jetzt eine Lücke. Und wo eigentlich nicht einmal Schuhe laufen sollten, donnern jetzt Kufen im Sekundentakt entlang.
„Das treibt erheblich Auswüchse“, kommentiert Detlef Gumz, was gerade im Landschaftsschutzgebiet Büsenbachtal passiert. Gumz leitet die Untere Naturschutzbehörde im Landkreis Harburg, zu dem das Tal gehört. „Wir freuen uns ja, dass die Menschen die heimische Natur entdecken. Aber viele nehmen sich Dinge heraus, die einfach respektlos sind.“
Schon im Sommer war der romantische Fleck zum Hotspot geworden. Denn hier stimmt alles: Der Parkplatz ist direkt am Tal, es gibt sogar einen Regionalbahnhof, und dann ist da noch der Schafstall mit Café und außer-Haus-Ausschank. „Durch die Erfahrungen im Sommer haben wir einiges für die Besucherlenkung getan“, sagt Gumz. An feuchten Stellen wurden sogar Bohlen ausgelegt, damit es sich besser gehen lässt. An anderen Orten wurde begrenzt: durch jene Holzpfähle zum Beispiel, die jetzt abgesägt wurden. Am Bach selbst legten Behördenmitarbeiter Findlinge und andere Steine aus, damit die Menschen das Ufer in Ruhe lassen. „Trotzdem kamen Väter mit Klappspaten.“
Auch Findlinge wurden kurzerhand verlegt
Das hat auch Hilke Feddersen beobachtet. „Manche haben die Findlinge kurzerhand verlegt, damit ihre Kinder besser baden konnten.“ Von den Hinterlassenschaften der Picknicks und Grillrunden noch gar nichts gesagt. Und jetzt, im Winter, seien die Wege noch nicht einmal gut zu sehen. „Die Situation ist komplex“, sagt die Geschäftsführerin des Naturparks Lüneburger Heide. „Es liegt Schnee, alle möchten raus und sich bewegen, Spaß haben. Völlig verständlich! Da ist es sehr herausfordernd, den Naturschutz zu kommunizieren.“ So viele Besucher wie seit der Corona-Pandemie habe die Heide noch nie gesehen. „Darüber freuen wir uns natürlich. Aber der Druck ist wahnsinnig gewachsen. Es gibt das Betretungsrecht der freien Landschaft. Aber die Lüneburger Heide ist nun einmal keine Spielscheune.“
Was es zur Folge haben kann, wenn die Menschen dort herumlaufen, mountainbiken, rodeln, Ski fahren oder ihre Hunde frei laufen lassen, wo sie es eigentlich nicht tun sollen, erklärt Marc Sander. „Birkhühner, Hasen, Rebhühner: Alle haben Stress. Und besonders jetzt zur Lammzeit bedeuten Hunde eine große Gefahr für unsere Schnucken, wenn sie in die Herden laufen. Wenn die tragenden Tiere Stress bekommen, steigt die Anzahl der Totgeburten.“
Lüneburger Heide: Viele kennen die Regeln nicht
Weil seit vorigem Jahr viele Menschen zum ersten Mal die Lüneburger Heide besuchen, wissen sie eben über die Regeln dort nicht Bescheid, sagt der kaufmännische Leiter des Vereins Naturschutzpark Lüneburger Heide. „Eigentlich hatten wir in den vergangenen Jahren versucht, Schranken und Schilder zurückzubauen. Wir wollten weniger Wege mit Pfählen und Stangen einfrieden.“ Nun scheine eher das Gegenteil wieder nötig zu werden.
Im Büsenbachtal will der Landkreis die abgesägten Holzpfähle erst dann ersetzen, wenn der Schnee weg ist. Vorher würden sie „sicher wieder zerstört“, schätzt Detlef Gumz. Und für den Sommer werde man wohl ähnlich wie anderswo in der Lüneburger Heide um ein Ranger-Konzept nicht herumkommen, schätzt der Behördenleiter. Einfach umzusetzen sein werde das allerdings nicht. „Die Ranger müssen psychologisch geschult sein, sehr viel Fingerspitzengefühl besitzen und auch vieles ertragen können. Solche Menschen wachsen nicht auf den Bäumen.“