Schneverdingen/Eimke. Zäune und Netze wurden erhöht, Kameras installiert und mehr Herdenschutzhunde eingesetzt. „Wir müssen immer mehr investieren“, sagt ein Schäfer.

700 Schafe hält die Glockenbergsschäferei in der Lüneburger Heide. Im jedem Januar kommen dort 100 bis 150 Lämmer zur Welt. Herdenschutzhunde bewachen die Tiere vor den Wölfen, trotzdem verlor Schäfer Jahnke im vergangenen Jahr 102 Schafe durch Risse. Die Angst um seine Tiere ist immer präsent.

Wenige Tage alte Lämmer stehen im Stroh. 1700 Schafe hält die Glockenbergsschäferei in der Lüneburger Heide. Im Januar kommen 100 bis 150 Lämmer zur Welt.
Wenige Tage alte Lämmer stehen im Stroh. 1700 Schafe hält die Glockenbergsschäferei in der Lüneburger Heide. Im Januar kommen 100 bis 150 Lämmer zur Welt. © dpa | Philipp Schulze

Dutzende neugeborene Lämmer blöken inzwischen wieder um die Wette, Zicklein springen vom strohbedeckten Boden über kleine Hindernisse und Hütehunde begrüßen jeden Besucher mit lautem Kläffen. In der 2400 Quadratmeter großen, ungeheizten Halle der Glockenbergsschäferei in Eimke in der Lüneburger Heide scheint die Welt total in Ordnung. Während es draußen ohne Ende regnet, die Erde aufweicht und der Wind über die Felder fegt, können die 100 Mutterschafe bei besten Bedingungen ganz in Ruhe lammen. Bis Ostern haben die kleinen Lämmer 45 bis 50 Kilo auf den Rippen – ideal für den Festtagsbraten.

Schäfer Gerd Jahnke, Tochter Verena und drei Angestellte zieht es stets früh raus, die Aufzucht erfordert viel Pflege, in der Lammzeit sind sie manchmal 19 Stunden gefordert. Seit Monaten kommt die Angst vor den Wölfen dazu, die die Familie schlecht schlafen lässt. Den letzten Angriff gab es am vergangenen Wochenende, als vier Lämmer in Kirchgellersen bei Lüneburg gerissen wurden. „Im letzten Jahr haben wir so 102 Schafe verloren“, erzählt Jahnke.

„Das ist ein Wettrüsten!“

Zäune und Netze wurden erhöht, Kameras installiert und immer mehr Herdenschutzhunde eingesetzt. „Wir müssen immer mehr investieren in Herdenschutzmaßnahmen, das ist ein Wettrüsten.“ Aber wenn sich ein Wolfsrudel auf eine Herde eingeschossen habe, sei es schwer, es davon abzuhalten.

„Ich habe großes Verständnis für Familien, deren Existenzen davon abhängen“, sagt Knut Sierk, Sprecher der Landesforsten. „Der Wolf erobert sich Lebensräume zurück und hilft unsere Wildbestände in vernünftigem Maß zu halten.“ In diesem Spannungsfeld müsse man den Wolf sehen.

Die Ausgleichszahlungen des Landes pro gerissenem Tier machen zwar den aktuellen Schaden wett, bei Muttertieren falle aber auch der Nachwuchs für die nächsten Jahre aus, führt der Schäfer an. Es müsse erst nachgezüchtet werden. In der Angst vor immer neuen Angriffen schläft Jahnke manchmal sogar im Wohnwagen bei einer Herde. „So ein Wolfsunglück macht einiges mit einem, es ist nicht auszuhalten“, erzählt der 58-Jährige: „Ich wache jeden Morgen mit Angst auf, ob wieder etwas passiert ist.“ Nach den Vorfällen habe sich ihr Auszubildender nach der Lehre für einen anderes Berufsfeld entschieden - zu geschockt sei er gewesen.

Zuchterfolge geben Jahnke recht

Bevor die Angriffe losgingen, hat die Schäferei kräftig in die große Halle investiert und sich verschuldet. Mit Zuschüssen von 300 000 Euro des Landes Niedersachsen ließ sich das Vorhaben über 800 000 Euro (inklusive Grundstück) vor fünf Jahren realisieren. Die Zuchterfolge geben Jahnke recht: Ein Neugeborenes im Unterstand mit Muttermilch plus Kraftfutter erreicht einige Monate schneller das Verkaufsgewicht als Freiland-Tiere, die wegen äußerlicher Einflüsse lange nicht so schnell wachsen. Der Großteil wächst allerdings draußen auf, im April und Oktober rechnet man noch einmal mit je 400 Neugeborenen. „Ohne Wölfe kommt man ganz gut zurecht.“

Zwei zehn Wochen alte Pyrenäenberghunde wachsen zusammen mit Schafen auf, um später als Herdenschutzhunde eingesetzt werden zu können.
Zwei zehn Wochen alte Pyrenäenberghunde wachsen zusammen mit Schafen auf, um später als Herdenschutzhunde eingesetzt werden zu können. © dpa | Philipp Schulze

Zu Beginn der Corona-Pandemie habe die Nachfrage nach den Lämmern zugenommen, es wurde gehamstert. „Lammfleisch ist auch teurer geworden, weil die Engländer nach dem Brexit nicht mehr viel liefern“, berichtet Jahnke. Seine Tiere gehen zum großen Teil nach Flensburg in eine Land- und nach Norderstedt bei Hamburg in eine türkische Familien-Schlachterei. „Muslime wollen halal (dem Koran entsprechend zulässig) kaufen und deshalb kein abgepacktes Fleisch“, weiß er. Gegen den Prozess mit der Elektrozange und dem anschließenden Ausbluten hat der Schäfer nichts einzuwenden. „Wenn es richtig gemacht wird, ist es nicht verwerflich.“

Zum Eigenbedarf wird in Walsrode geschlachtet, den eigenen kleinen Betrieb machte Jahnke 2010 dicht. „Es waren zu viele Hygiene-Auflagen“, sagt er. Mit Blick auf seine Nachfolge - Tochter Verena steht in den Startlöchern - könnte er sich die Schlachterei wieder vorstellen. „Normalerweise gehört sie zu einem Betrieb wie unserem dazu, dann fällt der ganze Transport weg“, sagt der Landwirt, der auch im Vorstand des Landesschafzuchtverbandes sitzt.

250 Heidschnucken hüten und lenken

Für seine 30 Jahre alte Tochter war immer klar, dass sie das Erbe antreten wird - eine Lehre als Rechtsanwaltsgehilfin brach sie ab: „Das war nichts für mich.“ Sie würde gern in die Direktvermarktung einsteigen, weil es „gut für die Zukunft wäre“.

Beim Bundeshütewettbewerb Anfang September auf dem eigenen Hof will sie dabei sein. Vorher muss sich Verena Jahnke qualifizieren, um in die Endauswahl der zehn bis zwölf Schäfer zu kommen. „Das ist wie ein Familientreffen“, erzählt sie.

Dort muss sie zeigen, wie gut sie mit ihren Hunden rund 250 Heidschnucken hüten und lenken kann. Da hofft sie auf den Heimvorteil – seit Kindesbeinen kennt sie ihre Herden.