Kreis Harburg/Hittfeld. Kassen verzögern, schlagen alternative Versorgungsmodelle vor oder lassen Fragen offen, sagt der Chef der Rettungsdienstgesellschaft
Die Diskussion über einen zweiten Standort für einen Notarzt im Landkreis Harburg erhält neuen Schwung. Mit einem einstimmigen Votum setzte sich der Kreis-Ordnungsausschuss am Dienstagabend für die Installation einer weiteren über 24 Stunden besetzten Station ein. Die Verwaltung soll jetzt ein Konzept entwickeln. Als Standorte sind statt des jetzigen in Lindhorst/Seevetal die beiden Krankenhäuser in Winsen und Buchholz vorgesehen. Der Kreistag muss die Entscheidung in der Sitzung am 30. September noch bestätigen.
„Wir brauchen den politischen Beschluss, damit wir die Krankenkassen überzeugen können, die Kosten zu übernehmen“, sagt Klaus-Jörg Bossow, der Geschäftsführer der kreiseigenen Rettungsdienstgesellschaft, der das Projekt seit knapp zwei Jahren vorantreibt. „Die Kassen verzögern, schlagen alternative Versorgungsmodelle vor oder lassen Fragen offen“, erklärte Bossow, der auch Prokurist bei der Krankenhausgesellschaft des Landkreises ist. Er rechnet vor einer Entscheidung mit einem Treffen vor einer Schiedsstelle. Die Kosten für einen Notarzt-Standort taxieren Experten auf rund eine Million Euro.
Kreisgebiet innerhalb von 15 Minuten erreichbar
Von den beiden neuen Standorten aus wäre künftig fast das gesamte Kreisgebiet innerhalb von 15 Minuten von einem Notarzt erreichbar. Diese Frist gilt zwar gesetzlich nur für Rettungswagen, lässt aber auch den Einsatz der Ärzte effektiver werden. Im Zentrum des Kreises überschneiden sich die von den Krankenhäusern aus zu erreichenden Einsatzräume sogar, wenn Fahrzeiten von 15 Minuten vorgegeben werden.
Bossow legte die Schwächen des derzeitigen Konzepts mit nur einem Standort in Lindhorst mit Kennzahlen dar. Danach wird bezogen auf 1000 Einwohner nur eine Kapazität von gut 32 Prozent des Durchschnitts der anderen Kreise in der Region Lüneburg vorgehalten. Die Notärzte fahren fast 53 Prozent mehr Einsätze als die Wagen anderer Kreise in der Region. „Der Mangel zeigt sich in einer überdurchschnittlichen Auslastung.“
Dazu kommt: Mehr als 40 Prozent der 5236 Einsätze im Jahr 2019 mussten Rettungshubschrauber oder Einsatzkräfte aus Hamburg oder Nachbarlandkreisen übernehmen. „Das ist wohl die höchste Anzahl von Fremdeinsätzen in der Region überhaupt“, kritisiert der Gesundheitsexperte.
Versorgung nicht auf dem Stand vergleichbarer Rettungsdienste
Fazit: Die Versorgung kann nicht auf dem Stand vergleichbarer Rettungsdienste in Niedersachsen sichergestellt werden. Auch rechtliche Konsequenzen seien bei einem Schadensfall in Bezug auf ein Organisationsverschulden nicht auszuschließen. Daher empfiehlt die Verwaltung den Ausbau der Versorgung und bis dahin eine Rufbereitschaft, für die mit den Krankenhäusern zusammengearbeitet werden soll.
Die Politiker im Ausschuss schlossen sich der Argumentation des Chef des Rettungsdienstgesellschaft an. „Der Vorschlag der Verwaltung geht in die richtige Richtung“, sagte Claus Eckermann (SPD). Zwar konnten sich Ulf Riek (Freie Wähler) und Wolfgang Mader (AfD) auch andere Lösungen vorstellen. Sie stimmten aber schließlich ebenfalls für das Konzept, das Bossow vorgelegt hatte.
Bereits in der zweiten Hälfte 2019 hatte der Landkreis das System „Mobile Retter“ eingeführt, das bei lebensbedrohlichen Notfällen mit Herz-Kreislauf-Stillstand greifen soll. Dabei geht es darum, über Smartphones Ersthelfer zu benachrichtigen, die vor Ort rasch Menschen versorgen können. „Wir setzen bei den Teilnehmern vor allem auf Feuerwehrleute, Mitglieder von Hilfsorganisationen und Rettungsdiensten sowie auf Personal aus Kliniken“, sagt Konstantin Keuneke, Abteilungsleiter Rettungsdienst Brand-&Katastrophenschutz des Landkreises. Er erläuterte im Ausschuss den Fortschritt des Projekts und die nächsten Schritte.
So will die Landkreis-Verwaltung die Vorbereitungen im ersten Quartal möglichst abschließen, um dann mit den Schulungen starten zu können. Auch die ausgebildeten Retter sollen noch ein Training durchlaufen und über die rechtlichen Fragen aufgeklärt werden, wenn sie Menschen wiederbeleben. Keuneke hofft, dass sich zum Start 150 bis 200 Helfer zusammenfinden. Sein Ziel: Künftig sollen rund 300 mobile Retter für alle Fälle im Landkreis unterwegs sein.