Rosengarten. Mittlerweile verstorbener Pastor der Nenndorfer Kirchengemeinde hatte in den 80er- und 90er-Jahren Jugendliche sexuell missbraucht.

Es war als Konfirmanden-Stapeln bekannt, ein in der Gruppenarbeit übliches Spiel, bei dem die jungen Teilnehmer eine Karte ziehen und sich auf den Schoß eines anderen Jugendlichen setzen mussten. Dass diese körperliche Nähe einigen Mitspielern unangenehm sein könnte, wurde lange nicht thematisiert. Erst in den vergangenen Jahren änderte sich das.

Das Bewusstsein für die individuellen Grenzen sei stärker geworden, sagt Cornelia Rubach, Diakonin und Sozialpädagogin bei der Offenen Jugendarbeit Rosengarten. „Das Spiel haben wir aus unserer Arbeit gestrichen.“ Dies geschah nicht in Zusammenhang mit dem vor einigen Monaten bekannt gewordenen Missbrauchsfall in der Kirchengemeinde, ist aber ein Beispiel für die Veränderungen seit damals. Ein mittlerweile verstorbener Pastor in der Nenndorfer Kirchengemeinde hatte in den 1980er- und 1990er-Jahren mehrere Jugendliche sexuell missbraucht (das Abendblatt berichtete).

„Damals wurde gar nicht darauf geachtet, dass der Pastor Grenzen überschritten hat“, sagt Cornelia Rubach. Das sei mittlerweile anders. „Auch die Jugendlichen sind viel sensibilisierter dafür.“ Heute wird in der Jugendarbeit in Rosengarten sehr viel genauer hingesehen, um mögliche Übergriffe zu verhindern. Was das bedeutet, erklären Cornelia Rubach und Reinhard Schünemann, Jugendpfleger der Gemeinde, bei einem Gespräch im Nenndorfer Jugendzentrum youZ.

Hand auf der Schulter in Ordnung?

Sie leiten gemeinsam das kommunale Angebot in kirchlicher Trägerschaft. Die Prävention beginnt damit, dass jede Art von Grenzüberschreitung als solche erkannt werden soll. Ist eine Hand auf der Schulter in Ordnung? Eine Umarmung? Oder enges Zusammenrücken bei einem Spiel? „Wie viele Nähe jemand zulassen will, darf jeder und jede Jugendliche ganz allein selbst entscheiden“, sagt Cornelia Rubach und Reinhard Schünemann betont: „Wir fassen niemanden an, der das nicht will.“

Das ist oberstes Gebot in der Einrichtung und die Leiter legen viel Wert darauf, dass alle Mitarbeiter, Teamer, Kinder und Jugendlichen diesen Grundsatz respektieren. Denn welche Berührung ein Mensch als unangenehm empfindet, sei ganz unterschiedlich. In einem Leitfaden zur Vorbeugung von sexuellem Missbrauch wurden Regeln für die Arbeit der Offenen und der Evangelischen Jugend Rosengarten festgelegt. Er wurde nach Bekanntwerden des Missbrauchsfalls im Frühjahr dieses Jahres noch einmal überarbeitet.

Alle hauptamtlichen Mitarbeiter und ehrenamtlichen Teamer ab 18 Jahren müssen alle zwei Jahre ein erweitertes behördliches Führungszeugnis vorlegen. Jüngere Teamer unterschreiben eine Selbsterklärung, dass sie keine entsprechenden Straftaten begangen haben. Alle Teamer, die eigenverantwortlich Angebote durchführen, müssen das JuLeiCa-Schulungsprogramm durchlaufen.

Nie jemanden anfassen, ohne vorher zu fragen

Die Teilnehmer befassen sich intensiv mit den Themen Kindeswohl, sexueller Missbrauch sowie Nähe und Distanz. Sie lernen, nie jemanden anzufassen, ohne vorher zu fragen und auch eigene Grenzen zu ziehen. Um zu merken, dass andere Menschen bestimmte Situationen anders empfinden, sei ein „unglaubliches Gespür“ notwendig, sagt Cornelia Rubach. Das könne in Übungen trainiert werden.

Möglicher sexueller Missbrauch sei seit rund zehn Jahren ein massives Thema in der Jugendarbeit, sagt Cornelia Rubach. Dabei gehe es um zwei Fragen. „Was beobachten wir? Da geht es darum, ob sich ein Kind zum Beispiel auffällig verhält oder Verletzungen hat. Und wie verhalten wir uns den Kindern gegenüber? Da ist die Balance zwischen Nähe und Distanz ganz wichtig.“ Als Konsequenz wurden zum Beispiel bestimmte Spiele gestrichen und auf Jugendfreizeiten gilt eine strenge Trennung der Geschlechter.

Was das bedeutet, erklärt Reinhard Schünemann: Bei Übernachtungen gehen die Mitarbeiter nicht allein in die Zimmer. Jungszimmer werden nur von Männern betreten, Mädchenzimmer nur von Frauen. Ist kein zweiter Kollege gleichen Geschlechts dabei, bleibt der Kollege oder die Kollegin vor der spaltbreit geöffneten Tür stehen. „Wir sind schon sehr vorsichtig geworden“, sagt Cornelia Rubach.

Situationen ist vielschichtiger

Dass die strikte Geschlechtertrennung andere mögliche Schwierigkeiten ausblendet, ist den beiden bewusst. Wie kann auch der Umgang mit homosexuellen Jugendlichen oder Transgenderpersonen geregelt werden? „Das ist eine Sache, bei der wir uns noch überlegen müssen, wie wir künftig damit umgehen“, sagt die Diakonin. „Auf jeden Fall werden die Situationen vielschichtiger und es wird komplizierter, allen gerecht zu werden.“ Jetzt wird erst einmal ein Schutzkonzept für den gesamten Kirchenkreis entwickelt, dies ist eine Vorgabe, die bis 2024 erfüllt sein muss.

Es soll über die Prävention hinaus regeln, wie mit Opfern und Tätern umgegangen wird. Auch Jugendliche beteiligen sich an der Entwicklung des Konzepts. Es soll greifen, wenn individuelle Grenzen verletzt werden. Das kann ein sexueller Übergriff sein, die Missachtung des Distanzbedürfnisses eines anderen oder der Missbrauch der eigenen Position zur Machtausübung. Schon jetzt gilt eine Null-Toleranz-Regel: Ein einmaliger Übergriff führt zum Ausschluss, betont Reinhard Schünemann. „Denn es geht um den Schutz der uns anvertrauten jungen Menschen.“

Auf die Akzeptanz ihre Arbeit habe sich das Bekanntwerden des Missbrauchsfalls nicht ausgewirkt, sagen die Leiter des Jugendzentrums. Niemand habe sich vom Ferienprogramm oder dem Konfirmandenunterricht abgemeldet. Mit den Jugendlichen hätten sie über die Vorfälle gesprochen, Eltern erhalten auf Nachfrage alle Informationen zum bestehenden Leitfaden, der auch auf der Internetseite der Offenen Jugendarbeit nachzulesen ist, und dem geplanten Schutzkonzept.