Groß Moor. Im Landkreis Harburg werden Weidegänse artgerecht groß. Wer beim Festessen darauf Wert legt, kann jetzt schon vorbestellen.
Wer auf dem Großmoordamm zwischen Harburg und Over, Hörsten oder Bullenhausen unterwegs ist, sieht auf Höhe der Hausnummer 351 eine muntere Gänseschar über eine der umliegenden Wiesen watscheln. Das Schicksal des Federviehs ist besiegelt, es wird zu Weihnachtsbraten werden. Andernorts im Landkreis Harburg kommen die ersten Gänse bereits jetzt, noch vor dem Martinstag (11. November) unters Messer, doch wirklich Hochsaison haben sie erst zu den Festtagen. Wer dann eine Freilandgans aus der Nachbarschaft in die Bratröhre schieben möchte, sollte sie allmählich bei den Höfen bestellen.
Celine und Sebastian Seckerdieck, halten auf ihrem Hof am Großmoordamm 200 Gänse. „Gut die Hälfte ist bereits vorbestellt, die ersten Anfragen hatten wir im August“, sagt Celine Seckerdieck. Es gebe eine große Stammkundschaft, ergänzt ihr Mann. Gemessen an der Nachfrage könnten die Seckerdiecks mehr Tiere halten, „aber wir beschränken uns, weil das Tierwohl an erster Stelle steht“, sagt Celine. „Eine verletzte oder kranke Gans nehmen wir sofort aus der Herde und päppeln sie auf. Bei sehr großen Beständen verliert man den Überblick.“
Das Tierwohl sei auch den Kunden immer wichtiger, sagt die Landwirtin – der Festtagsbraten soll zuvor schließlich anständig gelebt haben. Am 20. Dezember ist Schlachttag, dann kommen die Gänse nach Hemmoor (Landkreis Cuxhaven). Dort gehe alles sehr ruhig und stressfrei zu, so Celine Seckerdieck. Aber traurig sei der Abschied dennoch: „Wir ziehen die Tiere von klein auf groß. Da hängt viel Herzblut dran.“
Wenn Ende Mai die Gänseküken (Gössel) in Schachteln angeliefert werden, entscheidet sich, wer in dieser Saison Gänsemutter oder -vater wird: „Man begrüßt die Tiere, spricht mit ihnen“, sagt Seckerdieck. „Damit werden sie auf die Stimme geprägt. In den vergangenen beiden Jahren hat mein Mann die Küken ausgepackt. Wenn er zur Weide kommt und die Gänse ruft, kommt der Pulk anmarschiert. Ich kann rufen so viel ich will, da kommt niemand.“ Die Wasservögel folgen ihrem menschlichen Vater abends auch in den Stall. Dort übernachten sie kältegeschützt im Stroh und werden nicht vom Fuchs geholt.
Die Gänse futtern fast ausschließlich das saftige Gras der Marschwiesen. Insgesamt fünf Hektar sind für sie reserviert, das sind 250 Quadratmeter pro Gans. Allerdings stehen diese nach und nach zur Verfügung, denn das Federvieh wird immer wieder umgesetzt, damit es die Weide nicht ruiniert. Jetzt, da das Gras kaum noch wächst, gibt es etwas Zubrot: zugekauftes Getreide und geschredderte Brotreste vom Bäcker. Die Witterung während der Aufzucht entscheide darüber, ob der Gänse-Jahrgang eher fette Tiere oder magere Tiere hervorbringt, sagt Sebastian Seckerdieck: „Sind Sommer und Herbst eher kühl und nass, dann setzen die Gänse mehr Fett an.“ Im vergangenen heißen Sommer seien sie recht mager gewesen, was nicht gut für den Geschmack sei, ergänzt seine Frau.
Auf dem Cassenshof wuchsen 1300 Gänse heran
Der Schlachthof in Hemmoor ist auch die Endstation für die Gänse vom Cassenshof. Dort halten Teresa-Marie Pelka und ihr Bruder Friedrich Voß 1300 Freilandgänse. Früher wuchsen auf dem Hof in Inzmühlen auch Enten auf, doch Pelka und Voß haben sich inzwischen beim Wassergeflügel auf die Gänse spezialisiert. „Die Enten kaufen wir mittlerweile von einem befreundeten Hof zu, für deren Qualität und Tierwohl wir zu 100 Prozent garantieren können“, sagt Teresa-Marie Pelka.
Auch im Inzmühlener Seevegrund finden die Gänse auf den Weiden reichlich Nahrung. Doch im Spätherbst, wenn Weihnachten näher rückt, wird immer mehr Hafer und Getreide aus eigenem Bio-Anbau zugefüttert. Am Cassenshof hat der Abschied von den (lebenden) Gänsen bereits begonnen, die ersten Tiere seien bereits geschlachtet, so Pelka: „Wir lassen nur auf Bestellung schlachten. Pro Woche fahren wir um die 100 Gänse zum Schlachthof nach Hemmoor.“
Daniel Backeberg vom Geflügelhof Backeberg schlachtet dagegen selbst. „Wir haben rund 900 Gänse und schlachten ab Martinstag bis Weihnachten“, sagt der gelernte Fleischermeister. Sein Vater Dirk Backeberg ist Landwirt und für die Aufzucht der Gänse (sowie Enten und Perlhühner) auf dem Hof in Wittorf bei Bardowick zuständig. Den Rest erledigt der Sohn. Natürlich kommen auch die Backebergschen Gänse ins Freie. Die Küken leben zunächst in einem Gehege, bevor es auf die Weide geht. Auch hier wird nicht nur Gras gefressen: „Wir füttern die Tiere ausschließlich mit eigenem Getreide, mit Weizen, Gerste und auch Mais“, sagt Daniel Backeberg.
Geflügelhof Schönecke arbeitet mit kleinen Höfen zusammen
Die Backebergs vertreiben ihr Geflügel über ihren Hofladen sowie auf Wochenmärkten. Andere Landwirte, die Gänse neben anderen Tieren halten, liefern an den Geflügelhof Schönecke. Er vermarktet in der Vorweihnachtszeit Tausende Weihnachtsgänse auf zehn Wochenmärkten (darunter Harburg, Buchholz, Buxtehude) sowie ab Hof in Neu Wulmstorf/Elstorf. „Wir halten Legehennen. Und überlassen die Aufzucht von anderem Geflügel denen, die das besser können“, sagt Ruth Staudenmayer aus der Geschäftsführung des Geflügelhofs. „Die Gänse stammen alle von kleineren Erzeugern mit Freilandhaltung und viel Auslauf aus der Region“, sagt sie. „Wir kaufen die Gänse schon nach dem Schlupf ein. Die meisten Höfe befinden sich im Landkreis Rotenburg, ein kleinerer Teil im Landkreis Harburg.“
Vom Martinstag an bis Weihnachten sind Gänse über Schönecke erhältlich. Bestellungen für Weihnachten nimmt das Geflügelhof-Team jedoch erst ab dem 30. November entgegen. „Vorher macht das keinen Sinn“, meint Staudenmayer, „erst um diese Zeit haben die Leute das fest durchgeplant“. Die Nachfrage nach Weihnachtsgänsen sei in etwa konstant, allerdings werden zunehmend keine ganzen Vögel, sondern nur Teile nachgefragt. Staudenmayer: „Wenn jemand nur Schenkel möchte, ist das für uns schwierig. Denn wir müssen bei den Höfen komplette Gänse kaufen und hätten dann die Brust übrig. Deshalb bieten wir statt dessen ,Gans im Paket’ an. Das Paket enthält zwei Schenkel und die Brust.“
Osteuropäische Gänse leben meist nur zehn Wochen
Die Harburger Freilandgänse, wie auch die meisten anderen in Deutschland aufgezogenen Gänse, dürfen sieben bis acht Monate leben, bevor sie unters Messer kommen. Dagegen leben Gänse aus polnischer oder ungarischer Intensivmast meist nur zehn Wochen und werden mit Gewichten um drei Kilo geschlachtet. Zum Teil werden sie zwangsernährt (gestopft). Sie sind tiefgefroren und zu einem deutlich niedrigeren Kilopreis erhältlich. Etwa 85 bis 90 Prozent des deutschen Gänsefleischmarktes besteht aus osteuropäischen Importen.