Hamburg. „Das Geld hängt an den Bäumen“ verkauft Säfte aus Streuobst – und beschäftigt Menschen, die sonst keinen Job gefunden hätten

Es fing an im Sommer 2008 mit einem Garten voller Obstbäume und einer Idee: Wenn es so viele Äpfel gibt und niemand Verwendung für sie hat, dachte sich der Hamburger Jan Schierhorn, warum können sie nicht von Menschen geerntet und zu Saft verarbeitet werden, die sonst auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben?

„Darum geht es bei uns: Die Grundidee ist so einfach, dass man sie ganz schnell erklären kann“, sagt Nancy Menk. Die 34-Jährige ist Geschäftsführerin des Unternehmens mit dem programmatischen Namen „Das Geld hängt an den Bäumen gGmbH“, das aus der Idee entstand: „Wir bieten ökologisch-nachhaltige Arbeitsplätze für 18 Menschen.“

Menk führt die gemeinnützige Firma, seit Gründer Schierhorn sich zurückgezogen hat. Was anfing mit ein paar Bäumen in der Nachbarschaft, umfasst heute Streuobstwiesen in Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Wer Äpfel hat, für die er keine Verwendung findet, kann das Team rufen. Das erntet die Früchte und lässt sie zu Obstsäften oder -schorlen verarbeiten.

Geschäftsführerin Menk: „Aus Hilfeempfängern werden Steuerzahler“

Beschäftigung finden Menschen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt kaum Chancen haben, sei es wegen einer Behinderung, wegen einer Erkrankung oder etwa Suchtproblemen. Ganz nebenbei werden durch diese Arbeit Streuobstwiesen in der Metropolregion Hamburg erhalten und gepflegt.

An einem Herbstvormittag hat das Team einen Ernteeinsatz auf einem Golfplatz im niedersächsischen Buxtehude – aber Menk kann nur die Obstbäume zeigen und Menschen, die Äpfel sammeln. Über seine Arbeit will keiner ihrer Angestellten reden. Und das sei auch richtig so, wie sie findet: „Bei vielen Menschen, die bei uns arbeiten, passiert ein totaler Mindset-Wechsel. Aus Hilfeempfängern werden Steuerzahler.“

Genau das sei es, was sie anstrebten: Jeder Mensch solle sich seiner Bestimmung bewusst werden und selbst entscheiden, was er von sich erzählt. Gerade dann, wenn jemand sein Denken von sich selbst sehr verändert habe, wolle er oft nicht gern von seiner Vergangenheit erzählen. „Ich kann und will da auch keinen Druck machen.“

Das Unternehmen begreift seinen Ansatz als ganzheitlich. Es gehe nicht nur um die Stärkung menschlichen Selbstbewusstseins, sondern auch um den Erhalt der Ökosysteme. Damit passt das Projekt in den bundesweit zunehmenden Trend zum Erhalt und Schutz von Streuobstwiesen.

Streuobst-Strategien wie im Süden gibt es in Norddeutschland bislang nicht

Streuobstwiesen sind eine Form des Obstbaus, bei dem mit umweltverträglichen Bewirtschaftungsmethoden gearbeitet wird – synthetische Behandlungsmittel wie Pestizide und Dünger dürfen hier nicht angewendet werden. Im Gegensatz zu vielen Obstplantagen, in denen die Bäume wie oft im Alten Land in Reih und Glied stehen, geht es auf einer Streuobstwiese eher unordentlich zu – hier sind die Bäume bunt über die Wiese verteilt. Für die mitteleuropäische Biodiversität spielen Streuobstbestände laut den Zahlen des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) mit über 5000 Tier-, Pflanzen- und Pilzarten sowie über 6000 Obstsorten eine herausragende Rolle.

Gerade erst hat das Land Hessen seine erste Streuobstwiesenstrategie vorgestellt, Baden-Württemberg hat für 2023 eine Überarbeitung seiner bereits geltenden Vorgaben angekündigt. Explizit festgehalten ist in den Strategien, dass es Menschen bedarf, die die Pflege der Bäume übernehmen, um etwa „zum Beispiel mit Obstwiesenbörsen oder Kelterangeboten neue Interessierte für die Streuobstnutzung gewinnen“, wie es im hessischen Konzept heißt.

„Ein landesweites Streuobstwiesenzentrum wird diese Maßnahmen zentral steuern“, sagte die hessische Landesumweltministerin Priska Hinz (Grüne) bei der Vorstellung im Sommer. Derartige Strategien gibt es bei den norddeutschen Bundesländern bislang noch nicht – vielleicht auch deswegen, weil Streuobstwiesen nicht in so starkem Maße Kulturgut sind wie im Süden des Landes.

Den Apfelsammlern von „Das Geld hängt an den Bäumen“ geht es darum, an diesem Denken etwas zu verändern. „Nachhaltigkeit hat mehrere Seiten. Es geht um einen anderen Umgang mit dem Menschen, aber auch mit der Natur“, sagt Geschäftsführerin Menk.