Es bleibt eine Rückschau aufs schiere Grauen. Welche Erinnerungen hat Högel an die Morde? Richter wiederholt eindringlichen Appell.
Die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Oldenburg hat den als Zeugen geladenen verurteilten Patientenmörder Niels Högel im Prozess gegen Ex-Klinikvorgesetzte eindringlich zur Wahrheit gemahnt. Richter Sebastian Bührmann erinnerte den 45-Jährigen am Donnerstag, dass es darum gehe, "bei all dem Schlechten etwas Gutes zu tun". Das habe er ihm schon bei einem vorherigen Prozess gesagt. Högel war zuletzt 2019 wegen 85-fachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
Am Donnerstag wurde Högel bereits zum fünften Mal in Folge stundenlang als Zeuge vernommen. "Im Mittelpunkt steht: Was können wir Ihnen glauben?", so Bührmann. Der Deutsche hatte in vorangegangenen Prozessen dezidiert die Unwahrheit gesagt und lange Zeit geleugnet, dass er am Klinikum Oldenburg ebenfalls mordete. "Ehrlicherweise war das eine Lüge", hatte er bereits am zurückliegenden Verhandlungstag eingeräumt.
Högel ermordete zwischen 2000 und 2005 wehrlose Patienten
Högel ermordete zwischen 2000 und 2005 wehrlose Patienten zunächst am Klinikum Oldenburg und dann in Delmenhorst, indem er sie mit Medikamenten zu Tode spritzte. Bei dem seit 17. Februar laufenden Prozess steht aber nicht Högel im Mittelpunkt, obwohl es um dessen Verbrechen geht.
Vielmehr geht es vor Gericht bis Ende November darum, ob sich dessen Vorgesetzte gegebenenfalls durch Unterlassen mitschuldig machten. Ihnen wird in unterschiedlichem Umfang Beihilfe zum Totschlag beziehungsweise versuchten Totschlag jeweils durch Unterlassen vorgeworfen.
Bei den Angeklagten handelt es sich um drei Ärzte, drei leitende Pflegerinnen und Pfleger und einen Ex-Klinik-Geschäftsführer der Kliniken Oldenburg und Delmenhorst. Aus Sicht der Anklage hätten sie Mordtaten Högels mit an "Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" verhindern können. Dem widersprechen die 18 Verteidiger der Angeklagten.
Eine der Verteidigerinnen befragte Högel am Donnerstag über 50 Minuten lang zum Thema Kalium und Kaliumchlorid. Dieses Mittel hatte Högel ebenfalls genutzt, um Patienten zu töten. Allerdings stritt er dies zeitweise auch kategorisch ab. Der Zeuge konnte sich an viele Einzelheiten der teils über 20 Jahre zurückliegenden Verbrechen und auch an vorherige Aussagen nicht mehr erinnern.
Prozess wird fortgesetzt
Der Verteidigung soll es auch darum gehen, die Glaubwürdigkeit Högels zu unterminieren - davon ist der Psychiater, emeritierte Professor und Buchautor Karl H. Beine überzeugt, der als Beobachter den Prozess in Oldenburg verfolgt. "Wo es keinen Mord gibt, gibt es auch keine Beihilfe", beschrieb Beine die aus seiner Sicht verfolgte Strategie der Verteidigung.
Högel teilte am Donnerstag auch mit, dass er zwar gegen das seit September 2020 rechtskräftige Urteil von 2019 Revision einlegte. "Aber das war nicht meine Idee. Ich wollte das nicht", so Högel, ohne allerdings konkret zu sagen, auf wessen Initiative der Revisionsantrag zurückging. Der Prozess, für den insgesamt 42 Verhandlungstage angesetzt sind, wird am Freitag mit der neuerlichen Vernehmung Högels fortgesetzt. Auch am übernächsten Prozesstag, dem 7. April, soll er noch einmal geladen werden. (AZ: 5 Ks 800 Js 69047/14 (20/16))