Bremen. Der Stadtstaat impft bundesweit am schnellsten. Seit Kurzem setzt der Senat auch auf mobile Angebote – und die werden gut angenommen.
Spritze um Spritze stapeln sich in der roten Abfallbox auf dem Tisch. Sie liegen kreuz und quer aufeinander, sind bis zum letzten Tropfen ausgedrückt. Karin Wehrenberg wirft eine weitere hinein. Die 66 Jahre alte Krankenpflegerin hat alle an diesem Morgen verimpft. Das ist Routine für sie, außergewöhnlich ist der Ort: Sie setzt die Spritzen auf einer Einkaufsstraße im Stadtteil Bremen-Vegesack. Dort parkt das Impfmobil des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), das fast täglich seinen Standort wechselt.
Die Krankenpflegerin impft jeden, der möchte und volljährig ist. Ein Termin ist nicht nötig. Das Angebot richtet sich an alle Bewohnerinnen und Bewohner des Stadtstaats. Doch niemand wird ausgeschlossen. Auch wer nur zu Besuch ist und sich impfen lassen möchte, ist willkommen. So machen es an diesem Tag auch die Schwestern Jasmin (22) und Emely Bormann (19). Sie kommen aus Recklinghausen, wollen in Bremen den Freund der älteren Schwester besuchen. Als sie erfuhren, dass der Truck wenige Fußminuten entfernt sein wird, entschieden sie sich vorbeizuschauen.
Ein Bus dient den Corona-Geimpften als Ruheraum
12.15 Uhr. Die Schwestern laufen durch die Fußgängerzone, steuern auf das Impfmobil zu. Dort stehen ein Dutzend Menschen, auf einem Platz dahinter sitzen 20 weitere. Sie warten, dass ihre Nummer aufgerufen wird. Alle wollen sich eine Impfdosis des Vakzins „Johnson & Johnson“ abholen. Dieser wird ein einziges Mal verimpft, das reicht, um die volle Wirkung zu entfalten. Die Impf-Lotsin Yüsra Özer (22) empfängt die Schwestern. „Sie wollen einchecken?“ Die beiden nicken. „Dann kommen Sie gerne durch.“ Sie zeigt zum Pavillon, der neben dem Impfmobil steht. Dort sitzen Verwaltungskräfte, die Impfausweise, Krankenkassenkarten und Personalausweise entgegennehmen.
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Wenig später rattert der Drucker, spuckt Anamnesebögen und Einwilligungserklärungen aus. Die Schwestern nehmen ihre Zettel in die eine, einen Kugelschreiber in die andere Hand und blättern. „Bitte dort warten“, sagt ein anderer Lotse. Er zeigt auf dem Platz hinter Pavillon und Impfmobil. Dort steht auch ein Bus, der den Geimpften als Ruheraum dient. Die Schwestern stellen sich davor. Ihnen gegenüber quäkt ein Baby im Kinderwagen, die Mutter schaut auf ihr Handy. Zwei Senioren diskutieren über mögliche Impfreaktionen.
Keine Lust mehr auf Corona-Schnelltests
„Ich hoffe, ich kann meinen Arm heute noch bewegen“, sagt Jasmin Bormann. Ihre Stirn liegt in Falten. Lange habe sie Bedenken gehabt, ob die Corona-Vakzine gut erforscht seien. Doch auf Schnelltests habe sie keine Lust mehr. Sie möchte spontan in ein Restaurant oder einen Freizeitpark gehen. Den Ausschlag zum Impfen machte schließlich die Mutter ihres Freundes: Sie ließ sich mit „Johnson & Johnson“ impfen und zeigte keine Impfreaktion. Das Impfmobil möchte bei dieser Zielgruppe punkten: bei leichten Skeptikern, die keinen Termin im Impfzentrum vereinbaren wollen, denen aber der Aufwand eines Schnelltests zu groß ist.
Das Impfmobil fährt in verschiedene Stadtteile und kehrt nach ein paar Tagen an denselben Standort zurück. In der Zwischenzeit sollen sich die Erfahrungen mit dem Impfmobil in der Nachbarschaft rumsprechen, Menschen anlocken. Das Konzept zieht: Am ersten Einsatztag im Juni kamen nur 45 Menschen zum Impfmobil, am Dienstag dieser Woche sind es etwa 250. Nach Angaben der Gesundheitsbehörde spielt der Standort eine wichtige Rolle.
Quartiersmanager informieren über das Coronavirus
Die Stadt und das DRK wählen ihn gemeinsam mit Quartiersmanagern aus. Die arbeiteten schon vor Ausbruch der Pandemie in den strukturell benachteiligten Stadtteilen. Ihre Aufgabe: das Wohnen dort angenehmer zu gestalten. Seit der Pandemie informieren die Quartiersmanager mit Sportverbänden, Wohnungsgesellschaften und Kirchengemeinden über das Coronavirus. Sie wissen, wo das Impfmobil auf positive Resonanz stoßen könnte, etwa in der Einkaufsstraße im Stadtteil Vegesack.
12.50 Uhr. „Nummer 109, bitte“, ruft die Impf-Lotsin über den Platz. „Das sind wir“, sagt Jasmin. Die Schwestern gehen die Stufen zum Truck hoch. Krankenpflegerin Wehrenberg empfängt die Frauen. „Kommen Sie mal rein“, sagt sie und zeigt auf die beiden Stühle am Tisch. Auch ein Arzt ist vor Ort. Er klärt über das Vakzin auf. „Machen Sie mal den linken Arm frei“, sagt die Krankenpflegerin zu Emely. „Schön locker lassen!“ Sie desinfiziert, spritzt, klebt ein Pflaster auf. Dann ist Jasmin dran. Der Arzt händigt die Impfausweise aus. Währenddessen zieht eine zweite Krankenschwester aus Ampullen die nächsten Spritzen auf.
Personal im Impfbus kennt sich aus dem Impfzentrum
Das Personal im Impfbus kennt sich aus dem Impfzentrum, führt nun die gleichen Abläufe weiter aus, nur eben mobil und auf kleiner Fläche. Denn das Impfzentrum ist laut Gesundheitsbehörde nicht mehr voll ausgelastet, kommende Woche werden drei von vier Hallen geschlossen. Die Leute kommen nicht mehr. Das Angebot, die Terminvergabe, vielleicht auch die Standorte scheinen zu hochschwellig zu sein. Deshalb werde auch das zweite Impfmobil verstärkt zum Einsatz kommen, nicht nur in Einkaufsstraßen, auch vor Veranstaltungen.
„Wir denken in Richtung niedrigschwelliger Impfangebote mit Event-Charakter, zum Beispiel vor Fußballspielen“, sagt Lukas Fuhrmann, Sprecher der Gesundheitsbehörde. Zum Heimspiel von Werder Bremen gegen Hannover 96 Ende Juli kam das Impfmobil bereits zum Einsatz. „Wir wollen aber abwarten, wie gut unsere neue Impfstraße im Impfzentrum angenommen wird. Sie öffnet am Freitag und richtet sich explizit an Jugendliche ab zwölf Jahren, die in Begleitung eines Vormunds von Kinderärzten geimpft werden.“ Würde sich das Event-Impfen durchsetzen, sagt Fuhrmann, müsse man beachten, dass Geimpfte anschließend auf Alkohol und Sport verzichten sollten.
Im Impfmobil haben sich bereits rund 4400 Menschen impfen lassen
13.10 Uhr. Die beiden Schwestern sitzen im Ruhebus. „Mein Arm tut ein bisschen weh“, sagt Jasmin. Nach 15 Minuten dürfen sie auschecken. Ein Mitarbeiter des Impfmobils druckt ihnen einen QR-Code aus. Die beiden werden ihn später mit ihren Handykameras einscannen. Erst wollen sie zurück zu ihrem Freund. Auf dem Weg dorthin hören sie noch, wie die Spritzenaufzieherin das Personal beim Check-in fragt: „Wie viele sind es noch?“ Sie will nicht zu viele Spritzen aufziehen, um das Vakzin nicht zu verschwenden. Währenddessen impft ihre Kollegin weiter.
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Im Impfmobil haben sich bereits rund 4400 Menschen impfen lassen. Auch dadurch ist die Impfquote in Bremen auf mehr als 70 Prozent gestiegen. Der Stadtstaat ist der bundesweite Spitzenreiter. Hamburg liegt mit rund 64 Prozent auf Platz sechs. Wie kann die „große Schwester“ aufholen? „Ich glaube, für die Grundlage ist es inzwischen zu spät“, sagt Fuhrmann. Das Gros hätte direkt am Anfang durch das Impfzentrum abgedeckt werden müssen.
In Bremen habe man jede Bürgerin und jeden Bürger gemäß Prio-Gruppe zu seiner Zeit angeschrieben und einen Code zugeschickt, um online einen Termin zu vereinbaren – ohne Telefonwarteschleifen. Dabei scheint Hamburg zurückgefallen zu sein. Wie kann die Hansestadt dennoch Prozentpunkte gutmachen? „Niedrigschwelligkeit und Informationen sind der Knackpunkt. Die Stadt muss die Leute dort abholen, wo sie leben, vorher am besten noch mehrsprachig informieren“, sagt Fuhrmann. „Das ist mein Tipp für Hamburg.“