Lübeck. Alle Wachstumsziele wurden vorzeitig erreicht: Schleswig-Holstein will nun mehr Mitarbeiterzufriedenheit.
Als Schleswig-Holstein im Jahr 2014 seine Tourismusstrategie neu formulierte, schrieb der damalige Minister Reinhard Meyer (SPD) ein paar Mengenziele in das Papier, die man durchaus für tollkühn halten konnte. 30 Millionen Übernachtungen pro Jahr sollte es bis 2025 geben, der touristische Bruttoumsatz sollte bis dahin um 30 Prozent steigen. Dann ging alles viel schneller. Aus „tollkühn“ wurde „total normal“. Das Plus beim Umsatz war schon 2017 mehr als erreicht, und im Jahr darauf wurde die 30-Millionen-Grenze bei den Übernachtungen locker genommen. 34,5 Millionen waren es – rund zehn Millionen mehr als 2013. Für Schleswig-Holsteins Tourismusstrategie galt damit: Veraltet wegen Planübererfüllung.
Eine Modifizierung ist nun in Arbeit. Der Tourismusminister Bernd Buchholz (FDP) sprach am Montag beim Tourismustag in Lübeck von einer „Nachjustierung“ und sagte: „Ich bin gern Opfer unseres gemeinsamen großen Erfolgs.“ Im kommenden Jahr soll die an einigen Stellen überarbeitete Strategie vorliegen. Klar ist: Am Grundsatz der wachsenden Einnahmen soll festgehalten werden. „Wir brauchen Umsatzwachstum, alles andere wäre Rückschritt“, sagte Buchholz vor den rund 340 Besuchern der Veranstaltung, die die Industrie- und Handelskammer organisiert hatte. „Quantitative Ziele bleiben wichtig.“
Zahl der Übernachtungen gestiegen
In den Bereichen Nachhaltigkeit und Akzeptanz sowie bei den Arbeitskräften müsse aber noch viel getan werden. Buchholz ist klar, dass es schwierig werden wird, die Erfolge der Vorjahre zu wiederholen. Seit 2009 ist die Zahl der Übernachtungen Jahr für Jahr gestiegen – lediglich 2012 gab es ein kleines Minus. Dabei boomt die Ostsee stärker als die Nordsee. Auf dem ersten Platz liegt allerdings immer noch Sylt mit 2,9 Millionen Übernachtungen (2018), gefolgt von Lübeck (1,8 Mio.) und St. Peter-Ording (1,5 Mio.). In der Rangliste geht es dann mit den Ostsee-Destinationen Grömitz, Timmendorfer Strand und Fehmarn weiter.
Lauter schöne Zahlen, aber mittlerweile fragen sich an der Küste viele, ob das so weitergehen kann. In Travemünde haben die Bürger unlängst mit einer Menschenkette gegen weitere Baupläne demonstriert, in St. Peter-Ording ist gerade das Projekt eines in die Dünen hineingebauten Hotels am Widerstand der Gemeindevertreter gescheitert. Geht in Schleswig-Holstein etwa die Akzeptanz für neue touristische Projekte flöten?
Wenig los an der Küste
Buchholz findet, dass das ein Thema sei, an dem man arbeiten müsse. Es gebe da so ein „Kirchturm-Denken“, an dem manchmal etwas abpralle. St. Peter-Ording ist offenbar so ein Fall. „Ich werde auf jeden Fall den Versuch unternehmen, dort eine Lösung zu finden“, sagte er. Der Minister glaubt, dass neue Hotelprojekte ein Teil einer erfolgreichen Tourismusstrategie sein könnten. Laut Buchholz lässt sich der touristische Umsatz nur steigern, wenn auch im schleswig-holsteinischen Binnenland mehr Urlaub gemacht wird – und wenn er nicht nur auf den Sommer beschränkt ist.
„Eine Nebensaison darf es eigentlich nicht mehr geben“, sagte er. Noch gibt es sie allerdings in fast schmerzhaft klarer Form. Im Februar sinkt die Zahl der Übernachtungen auf etwa ein Fünftel der Augustzahlen ab. Wenig los an der Küste. Viele Hotels und Restaurants reduzieren bereits im Oktober ihr Personal. Buchholz formuliert das so: „Die Leute werden entlassen – in der Hoffnung, dass sie freundlicherweise im März wiederkommen.“
Dauerarbeitsplätze für die Saisonkräfte
Aber in Zeiten niedriger Arbeitslosigkeit und vieler Arbeitsmöglichkeiten tun sie es nicht immer. Folge: „Die größte touristische Wachstumsbremse ist der Facharbeitermangel“, konstatiert der Minister. Im Sommer habe er Urlaub an der Küste gemacht – und festgestellt, dass das Angebot an offenen Restaurants an manchen Tagen überschaubar sei. „Montag Ruhetag“ mitten in der Hochsaison – in „touristischen Topdestinationen“ gehe das nicht, findet der Minister.
Deshalb will er sich – auch das ein Bestandteil der überarbeiteten Strategie – um die Zufriedenheit der Mitarbeiter in der Branche kümmern. Eine Befragung sei denkbar, um überhaupt erst einmal einen Überblick zu bekommen, woran es bei den Servicekräften in Hotels und Restaurants mangelt. „Außerdem werde ich mich mit den Gewerkschaften und den Arbeitgebern darüber unterhalten, ob man nicht Arbeitszeitkonten einführen kann.“ Jobs also, bei der die sommerliche Mehrarbeit im Winter abgebummelt werden kann – so kämen Saisonkräfte zu Dauerarbeitsplätzen.
Schleswig-Holstein will ökologisch punkten
Schließlich will Schleswig-Holstein auch ökologisch punkten. „Urlaub ohne CO2-Belastung – das wäre ein Argument, mit dem man werben könnte“, sagte Buchholz. Auch da gibt es noch einiges zu tun. Bei einer aktuellen Umfrage haben die Gäste das Nahverkehrsangebot in Schleswig-Holstein bemängelt. Derzeit fehlt es also noch an Anreizen, den eigenen Pkw im Urlaub einfach mal stehenzulassen. Dem Tourismus hat das (noch) nicht geschadet. Im August gab es ein Übernachtungsplus von vier Prozent gegenüber dem Vorjahr. Buchholz sagte: „Das Jahr 2019 wird wohl ein weiteres Rekordjahr.“ Und das trotz veralteter Tourismusstrategie.