Wesenberg. Explosionen, Passagiere mit Verbrennungen laufen umher, schreien. Unter diesen realen Bedingungen übte der Katastrophenschutz.
Viele Tote, dutzende Verletzte und ein brennendes Flugzeugwrack auf einer Wiese im Gewerbegebiet in Wesenberg. Es ist ein Horrorszenario, das sich der Kreis Stormarn für eine der wohl größten Übungen in der Geschichte des Katastrophenschutz überlegt hat. Doch so ein Unfall kann jederzeit passieren und dann muss bei den Rettern jeder Handgriff sitzen.
Seit einem Jahr hat Andreas Rehberg, Fachbereichsleiter Sicherheit und Gefahrenabwehr des Kreises Stormarn, mit seinen Mitarbeitern die Übung vorbereitet: „Wir haben hier weder Hochwassergefahr noch dürfte es zu ausgedehnten Waldbränden kommen. Deswegen haben wir uns für das Szenario eines Flugzeugabsturzes entschieden.“
Das Training im öffentlichen Raum stelle dabei die anspruchsvollste und effektivste Form der Vorbereitung auf den Ernstfall dar, wie Rehberg sagt: "Ziel der Übung ist es, auf ein Großschadensereignis überlegt, zweckmäßig und in angemessener Zeit zu reagieren und die erforderlichen Maßnahmen im Zusammenwirken mit dem Katastrophenabwehrstab des Kreises Stormarn umzusetzen.“
Passagierflugzeug stößt mit Frachtmaschine zusammen
Das Szenario: Es ist der 21. September, kurz vor 10 Uhr. Ein Passagierflugzeug kollidiert über Reinfeld mit einer Frachtmaschine. Beide stürzen ab, der Linienflieger mit 70 Insassen ins Wesenberger Gewerbegebiet. Bei der Integrierten Regionalleitstelle Süd (IRLS) gehen sofort die ersten Notrufe ein. Die örtlichen Feuerwehren, der Rettungsdienst, Brandschutzbereitschaften und Schnelleinsatzgruppen (SEG) werden alarmiert. Nach ein paar Minuten sind die ersten Trupps vor Ort. Das Flugzeug brennt. Schon da ist absehbar, dass es bei dem Absturz viele Verletzte und Tote gegeben haben dürfte. Der Landrat ruft den Katastrophenfall aus, der Katastrophenabwehrstab kommt zusammen.
Aufgrund der Rückmeldung der ersten Rettungskräfte über auslaufende Gefahrstoffe werden weitere Kräfte zum Einsatzort beordert. Im Wesenberger und dem benachbarten Reinfelder Gewerbegebiet direkt an der Autobahn 1 heulen die Sirenen der Einsatzfahrzeuge. Immer wieder erschüttern Explosionen den Unfallort. Diesmal kommen sie von einer Firma, die sich auf Spezialeffekte für Polizei-, Militär- und Katastrophenschutzübungen spezialisiert hat. Das Flugzeugwrack ist eigentlich ein mit Holzflügeln versehener, ausgemusterter Bus. Die Verletzten; nur Schauspieler.
Schauspieler arbeiten mit viel Make-up und Kunstblut
Doch die Übung wirkt so echt, dass alle Rettungskräfte während der vierstündigen Übung durchgehend ganz bei der Sache sind. Für ein möglichst authentisches Erlebnis sorgte Bjoern Otto von der DLRG. Vor vier Jahren rief er die Realistische Unfall- und Notfalldarstellungs-Gruppe – kurz RUND – ins Leben. „Wir sorgen für realistische Bedingungen, denn erst mit 'echten' Verletzten kommen die Einsatzkräfte so richtig in Stress.“ Und das, obwohl natürlich jeder der Retter weiß, dass es nur eine Übung ist.
Gegen 6 Uhr morgens reiste Bjoern Otto mit seinem Team an, das auch vom Jugendrotkreuz und Unfalldarstellergruppe aus Berlin unterstützt wurde: „Wir haben dann die Darsteller in drei Gruppen eingeteilt, von leicht – bis schwerverletzt.“ Drei Stunden und viel Make-up später waren alle Verletzten fertig für den Absturz und die folgende Rettung. Dabei gab es nicht nur reichlich Kunstblut, sondern auch Schauspiel, traumatisierte, umherirrende und schreiende Passagiere. Eine der Verletzten ist Daria Hassel vom DRK Güstrow aus Rostock. „Ich habe schwere Verbrennungen am Hals und an meinem Arm“, klagt die ausgebildete Schauspielerin, nachdem sie aus dem Flugzeug gerettet und anschließend einige hundert Meter weiter von den Rettungssanitätern Robert Karwarth und Vivienne Birzer (beide ASB) versorgt wurde. Zwei der rund 500 Einsatzkräfte, die an dem Sonnabendvormittag in 100 Fahrzeugen nach Wesenberg ausrückten.
Kommunikation unter den Rettern spielt eine große Rolle
Damit alle Teile des Stormarner Katastrophenschutzes zum Zuge kamen, gab es ein klares Einsatzdrehbuch. Geübt wurden neben der Menschenrettung und Erstversorgung auch die Brandbekämpfung und Wasserförderung über längere Wegstrecken, die technische Hilfeleistung und die Sicherung von austretenden Gefahrenstoffen. Neben der praktischen Rettung ging es bei der Übung auch um die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Rettungsdiensten.
Landrat Henning Görtz zeigte sich nach der Übung zufrieden über den Ablauf: „Bei einer Lagebesprechung habe ich mir ein Bild machen können. Alles funktionierte wirklich gut und alle wussten, was zu tun ist.“ Die letzte Übung von vergleichbarer Größe sei schon neun Jahre her. Görtz: „Es ist natürlich ein fiktives Szenario, das vielleicht niemals eintritt, aber trotzdem ist es wichtig, dass unser Katastrophenschutz auf so eine Lage vorbereitet ist.“