Amrum. Vierte Station des Strandreporters: Die ausgebuchte Insel Amrum, die herrlich leer aussieht – ein Paradies für Unaufgeregte.
Für einen Moment liegt großes Abenteuer in der Luft: Ein Strand leuchtet hinter den Fenstern der Fähre auf, feines Hellbeige, übersät mit Vögeln, das flache Wasser kräuselt sich im Sonnenlicht. Scheinbar unberührtes Land. „Für Amrum bitte vorn aussteigen“, knarzt mich die Lautsprecherstimme in die Realität zurück. Aber die Neugier klettert mit von Bord der Fähre. Nach den Sagen von Freunden und Kollegen wartet ein fast karibisches Paradies („Sowieso der beste Strand“; „Du warst noch nicht da? Du Armer“) auf mich. Wir werden sehen, ob das stimmt. Und wenn ja, wo der Haken ist.
Der Erstkontakt ergibt: Da ist menschliches Leben auf Amrum, aber viel leiseres als auf Sylt. Rechts wackeln einige Stand-up-Paddler vor einem dünnen sichelförmigen Sandstreifen. Statt Gosch und Leysieffer wollen mich kleine Hütten kulinarisch im Ort Wittdün willkommen heißen, dahinter ragen ziemlich normale friesische Wohnhäuser auf.
Freche Art von Selbstbewusstsein
Amrum zeigt gleich eine freche Art von Selbstbewusstsein, wie sie kleine Brüder oft haben. „Das wahrscheinlich leckerste Fischbrötchen der Welt“, steht an einer der Buden. Im Infobüro sagt mir Touristenchef Frank Timpe in breitem Schnack, so ein „urbanes Dauntaun“ habe man eigentlich nicht. Aber er lehnt sich über den Tisch und fügt hinzu: „Wir leben zwar ein paar Kilometer hinter dem Festland, aber nicht hinter dem Berg.“ Amrumer seien selbst viel unterwegs, sagt mir eine Bewohnerin später. „Früher war das ja eine Insel der Walfänger, und dieser Geist steckt noch drin.“
Auch bei den Gästezahlen liegt die kleine Insel nicht weit hinter dem schillernderen „Timmendorf“ an der Ostsee. Nur sieht man größere Menschengruppen höchstens am Fähranleger. „Gucken Sie sich gleich die Weite an, das schätzen die Menschen auch“, sagt Timpe. Noch weiter wachsen will man nicht unbedingt. Amrum macht das Wettrüsten aller meiner bisherigen Stationen mit Aquaparks und Scooter-Konzerten nicht mit. Man pflegt das Bodenständige mit kleineren Auftritten. Solange ausreichend Gäste kommen, lässt man Sylt gern im Rampenlicht schwitzen.
60 Prozent der Touristen sind Stammgäste
Ich leihe mir ein Fahrrad, es wird mein Helfer beim Test der „Südseeinsel der Nordsee“ sein. Zuerst ist das Fischbrötchen dran (wirklich traumhaft, aber das beste der Welt? Ich gluckse ein mildes Kampener Lachen), dann die etwa 15 Kilometer nach Norden. Ich treffe ein schwäbisches Pärchen, das erst noch erzählt, wie es Jahr für Jahr andere Inseln ausprobierte, bevor es hier sein Glück fand: „Vergesch mal Sylt, ehrlich!“
60 Prozent der Touristen auf Amrum sind Stammgäste. Dann geben sie mir Tipps, die Vogelreservate im Norden, die aus Schrott gebaute „Hippie-Burg“, na klar, die 170 Stufen hinauf zum noch frisch gestrichenen Leuchtturm, und, und, und … Beide gestikulieren und reden durcheinander auf mich ein. Ich verabschiede mich lieber und trete dabei schon in die Pedalen.
Kein WLAN und niemand beschwert sich
Und es ist, als hätte jemand „Action“ gerufen und mich in einen Heimatfilm katapultiert. Auf dem Weg durch das Dorf Wittdün höre ich das brummende „Mooooin“ eines Postboten, passiere den Buchladen, in dem ein Mädchen mit zwölfjähriger Freundlichkeit unter den Augen seiner Mutter kassiert (17,95 Euro, bitte schön!). Der Duft zieht mich ins „Kaffeeflut“, wo man bei friesischen Waffeln und feinstem Gebrühtem sitzt. Die Kellnerinnen säuseln auf Nachfrage, dass es kein WLAN gibt, und niemand beschwert sich. Das gemütliche Leben der Friesen ist ein Klischee, das hier noch wahr ist.
Wenig später biege ich auf den Deich, der Radweg fließt elegant parallel zum Wasser, ein Schwarm Silbermöwen tanzt direkt um mich und andere Radfahrer herum, die allesamt schon ein entrücktes Grinsen tragen. Eine Bucht weiter blickt ein Pärchen auf einer Bank verliebt über das Areal, das es für sich hat; noch zwei Abschnitte und einen Feldweg dahinter liegt Nebel, ein von Bäumen geziertes Schmuckstück eines Dorfes.
Erste kleine Mankos
Schließlich erreiche ich Norddorf, wo mein Nachtquartier liegt. Auf einer adretten Wiese zwischen den hügelig gelegenen Wohnhäusern sitzt eine Familie, drei Generationen inklusive Kleinkind – sie sehen aus, als hätte ein Modelagent sie gecastet und mit Superfood noch glücklicher gefüttert. Kellner servieren fröhlich in den Cafés drum herum. Meine journalistisch-kritische Distanz wackelt stark. Amrum wirkt so idyllisch, dass ich kaum überrascht wäre, wenn plötzlich alle zu tanzen und swingen anfingen wie in einem Musical.
Bevor ich in der Redaktion anrufe, um meinen Job zu kündigen, nähert sich zum Glück ein Regentief. Und erste kleine Mankos fallen mir auf der Suche nach einem Abendessen auf. Es gibt zwar zahlreiche Restaurants und besonders viele Kaffeehäuser – es fehlt aber etwas an kulinarischer Bandbreite abseits von deftiger Küche und Pizza sowie an Angeboten für den mittelgroßen Geldbeutel. Die immer freundlichen Betreiber der Geschäfte rufen Inselpreise nahe dem Sylt-Niveau auf. Auch Amrum muss man sich leisten können.
Wanderung über die Dünen ist ein Erlebnis
Für eine Empfehlung muss Amrum natürlich den Strandtest bestehen. Wie ein großer Panzer umgibt der Kniepsand die Westseite Amrums, er wird in den nächsten Jahrzehnten wohl um die Insel herumwandern, heißt es. Schon die Wanderung über die Dünen in der Mitte der Insel ist ein Erlebnis – und wieder lässt sich nicht einmal erahnen, dass derzeit alle Betten auf der Insel belegt sind. Nur ab und zu begegnet man Familien, bei denen bitter aussehende Kinder vor kindlich beseelten Eltern wandern.
Hinter der letzten Erhebung wartet die Weite, wieder wunderschöne Wildvögel, eine Szenerie der großen Freiheit. Beinahe quietscht der Sand unter den Füßen, so fein ist er an manchen Stellen. Die Schwimmbedingungen sind ähnlich fantastisch wie auf Sylt. Mit einem weiteren Pluspunkt: Über 40, manchmal 60 Meter bleibt es hinter der Wasserlinie flach, Eltern können ihre Kinder ohne Sorge laufen lassen. An den wenigen überhaupt touristisch aussehenden Abschnitten liegen die Strandkörbe immer noch ein Dutzend Fuß auseinander – ganz im Süden ist da nur weiter Sand auf bis zu 2,2 Kilometer (!) Breite.
Anfangseuphorie ist Entspannung gewichen
Es sind 18 Stunden vergangen auf Amrum, die Anfangseuphorie ist der Entspannung gewichen, als ob Friesischsein ansteckend wäre. Trotzdem ist keine zu große Traurigkeit darüber, dass es weitergehen muss zur nächsten Station. Wer längere Zeit auf Amrum verbringen möchte, sollte sich ganz in der Natur fallen lassen wollen oder sich sehr für Tiere und Arten interessieren – und in jedem Fall die Ruhe aushalten können.
Für mich endet der Besuch mit einer Fahrradpanne. Natürlich nimmt der erste Autofahrer, den ich frage, mich mit („Man hilft sich, das ist hier einfach so“). Ich lerne noch mehr über die Unterschiede zwischen den Einwohnern der drei großen Orte (Norddorfer sind angeblich offener als Nebeler) und die Konkurrenz zu Föhr („Hier hat man überall Inselflair. Dort sieht es hinter dem Strand doch aus wie Dithmarschen“). Der Mann drückt mir die Hand und sagt: „Bis zum nächsten Mal, mein Lieber.“ Er sieht sehr gewiss dabei aus.
Mein Fazit: Amrum ist ein fast perfektes Urlaubsziel für alle, die Weite, Natur und Ruhe suchen – mit sehr familienfreundlichen Stränden. Wer auch einmal etwas Trubel braucht, findet ihn hier jedoch eher nicht.