Der Eisbrecher startet für ein Jahr in Richtung Nordpol. Die Mission: Die Erforschung des Klimawandels auf ein neues Niveau heben.

Fridtjof Nansen, ein Mann mit entschlossenem Blick und blondem Schnauzbart, hatte sich bis dahin nie Dagewesenes vorgenommen: Im Jahr 1893 brach der norwegische Polarforscher mit dem Segelschiff „Fram“ zur ersten Eisdrift-Expedition durch die Arktis auf. Unter größten Entbehrungen ließ er sich zusammen mit zwölf Männern in dem hölzernen Dreimastschoner im Packeis festfrieren. Auch wenn die knapp 40 Meter lange „Fram“ langsamer vorankam als erwartet und Nansen mit einem Begleiter ausstieg und zu Fuß weiterwanderte, hatte der Pionier der Polarforschung doch gezeigt, dass die umstrittene These von der Eisdrift stimmte.

Auf Nansens Spuren startet 126 Jahre später die bisher größte Arktisexpedition – das aufwendigste Forschungsabenteuer unserer Zeit. Von September an schickt das Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven erstmals einen modernen Forschungseisbrecher während des arktischen Winters in die Nähe des Nordpols. Ein Jahr lang will sich die „Polarstern“, festgefroren in einer Eisscholle, durch die Arktis treiben lassen — in Regionen, die nicht nur fern der Zivilisation sind, sondern in der Polarnacht nahezu unerreichbar. Im Verlauf Mission mit dem Namen MOSAiC sind Forscher von mehr als 60 Institutionen aus 17 Ländern an Bord. Auf der Eisscholle wollen sie Forschungscamps aufschlagen und mit einem kilometerweiten Netz von Messstationen verbinden. Die 120 Millionen Euro teure Expedition soll zum Meilenstein für die internationale Klimaforschung werden.

Kaum eine Region hat sich so stark erwärmt wie die Arktis

Prof. Markus Rex koordiniert die MOSAiC-Expedition, an der 300 Wissenschaftler aus 17 Nationen teilnehmen.
Prof. Markus Rex koordiniert die MOSAiC-Expedition, an der 300 Wissenschaftler aus 17 Nationen teilnehmen. © AWI | Unbekannt

Die Wissenschaftler erhoffen sich, den Einfluss der Arktis auf das globale Klima besser zu verstehen — und den Klimawandel sehr viel genauer als bisher vorhersagen zu können. Kaum eine Region der Erde hat sich in den vergangenen Jahrzehnten so stark erwärmt wie die Arktis. Bisher ist nur bekannt, dass die Auswirkungen dieser Veränderungen auf das weltweite Klima enorm sind. „Hier befindet sich quasi das Epizentrum der globalen Erwärmung“, sagt Expeditionsleiter Markus Rex, Chef der Atmosphärenphysik am Alfred-Wegener-Institut. „Gleichzeitig verstehen wir diese Region bisher kaum. Vor allem im Winter ist uns die zentrale Arktis nahezu unbekannt.“

Während eines Großteils der Expedition befindet sich das Schiff im direkten Polbereich nördlich des 87. Breitengrads. Die Daten, die auf der Mission gewonnen werden, könnten wertvoll für Generationen werden, so hofft auch die Bundesregierung. „MOSAiC ist ein wesentlicher Beitrag Deutschlands und unserer Partnerländer zum Erreichen der Nachhaltigkeits- und Klimaziele“, sagt Antje Boetius, Direktorin des AWI.

Ein Viertel der Wissenschaftler an Bord sind Frauen

Klar ist schon jetzt, dass die Arktis sehr viel wärmer, das Eis dünner und die Bedeckung geringer sein wird als zu Nansen Tagen. Während er für Messungen lediglich ein paar Thermometer und einfache Wasserschöpfer an Bord der „Fram“ hatte, ist die „Polarstern“ voll beladen mit modernsten wissenschaftlichen Messinstrumenten. Und statt des damals 13-köpfigen Teams sind im Verlauf der MOSAiC-Expedition 300 Wissenschaftler für jeweils einige Monate an Bord des Forschungsschiffes; ein Viertel von ihnen sind Frauen. Ein Vielfaches an Wissenschaftlern wird mit Daten arbeiten, um die Klima- und Ökosystemforschung auf ein neues Niveau zu heben.

Im September, wenn das arktische Eis am dünnsten ist und die „Polarstern“ am weitesten vordringen kann, startet das Schiff von Tromsö in Nordnorwegen aus mit Kapitän Stefan Schwarze entlang der sibirischen Küste und dann nordwärts ins Eis hinein Richtung Pol. Zur entscheidenden Herausforderung wird es dann, die passende, massive ältere Scholle zu finden, an der das Schiff im offenen Wasser oder dünnen neuen Meereis festmachen und in das – während des Winters immer dicker werdende – Eis durch die zentrale Arktis driften kann. „Wir suchen nach etwas Großem und Stabilem“, sagt Expeditionsleiter Rex. Mindestens eineinhalb Meter dick muss sie sein und mehrere Kilometer breit, um Platz für die Forschungscamps auf dem Eis zu bieten. Dann beginnt der Wettlauf gegen die arktische Nacht: Zwei bis drei Wochen Zeit haben die Forscher, um ihre Camps auf dem Eis zu errichten — so lange gibt es tagsüber zumindest noch vier Stunden Dämmerlicht. Ab 20. Oktober ist es dann stockdunkel.

Mit dabei ist der Norddeutsche Lars Kaleschke

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. © Frank Hasse | Unbekannt

Mit dabei ist der Norddeutsche Lars Kaleschke. Der Meereis-Physiker war bis 2018 mehr als zwölf Jahre lang Professor am Institut für Meereskunde der Universität Hamburg und wirkte auch im Klima-Exzellenzcluster CliSAP der Universität mit. Anfang des Jahres wechselte Kaleschke zum AWI in Bremerhaven, auch um MOSAiC mit vorzubereiten. Er ist selbst auf dem dritten Fahrtabschnitt dabei. Der russische Eisbrecher Makarov startet mit den Wissenschaftlern an Bord in Tromsö und versucht, so nah wie möglich an das Forschungsschiff heranzukommen, das dann bereits in der Drift ist. Draußen werden Temperaturen von bis zu minus 45 Grad herrschen.

„Das wird schon ein Abenteuer“, sagt Kaleschke. Er hat bereits Trainingskurse in Finnland absolviert, wird wie die anderen Wissenschaftler an einem Sicherheitstraining in Elsfleth teilnehmen und auch das Schießen üben. Denn auf dem Eis müssen sich die Forscher gegen Eisbären wehren können. Stolperdrähte mit Sensoren sichern das weitläufige Camp auf der Eisscholle; kommen Eisbären dagegen, geht in der arktischen Nacht eine Leuchtrakete in den Himmel. Auch Eisbärenwachen sind obligatorisch.

Denn auf dem Eis entsteht eine kleine Stadt: Ein ganzes Netzwerk aus Stationen ist geplant. Die Camps driften mit der „Polarstern“ mit, die den Wissenschaftlern mitten im Eis als Plattform und sichere Unterkunft dient. Einige der Messcamps – bis zu 50 Kilometer vom Schiff entfernt – werden mit dem Helikopter versorgt. Die Polarflugzeuge „Polar 5“ und „Polar 6“ unternehmen zum ersten Mal umfangreiche Messflüge in der zentralen Arktis. Vier Eisbrecher versorgen die „Polarstern“ und helfen beim Austausch der Wissenschaftlerteams – so lange dies möglich ist.

Auf dem Eis wird eine Landebahn errichtet

60 bis 90 Tage lang wird die „Polarstern“ weniger als 200 Kilometer vom geografischen Nordpol entfernt sein. Von Februar bis Juni ist die zentrale Arktis unzugänglich, dann ist das Eis selbst für Eisbrecher zu dick. Dann muss eine eine Landebahn auf dem Eis errichtet werden. Im April soll das erste Versorgungsflugzeug landen. Logistische Operationen, die es in diesem Teil der Erde noch nie gegeben hat. 2006 bis 2008 hatte sich das französische Segelschiff Tara einer privaten Organisation für eine ähnliche Drift mit acht Mann Besatzung im Eis einfrieren lassen. Doch MOSAiC bringt erstmals einen modernen Forschungseisbrecher mit seinen unvergleichlichen Möglichkeiten im Winter in die zentrale Arktis.

In den Forschungscamps richten die verschiedenen Teams Messstellen ein, um Ozean, Eis und Atmosphäre sowie das arktische Leben im Winter zu erforschen. Denn: „Was in der Arktis passiert, bleibt nicht in der Arktis“, sagt Rex. Die Klimaentwicklung in unseren Breiten hänge entscheidend vom Geschehen in der Wetterküche der Arktis ab. Was in der Polarregion passiert, wirkt sich bereits heute in Europa, Asien und Nordamerika aus: Geringere Temperaturunterschiede zwischen Arktis und Tropen destabilisieren die typischen Luftdruckmuster, so dass polare Kaltluft in die gemäßigten Breiten gelangt und Vorstöße von warmer, feuchter Luft in die zentrale Arktis hinein verstärkt zur Beschleunigung der Erwärmung beitragen, so Rex.

Die Arktis gilt als Frühwarnsystem für den Klimawandel

So gilt die Arktis zwar als Frühwarnsystem für den Klimawandel. Doch die Forschung ist sich einig: Die Dramatik der Erwärmung in der Arktis wird in den heutigen Klimamodellen nicht in vollem Umfang wiedergegeben, die Unsicherheiten der Klimaprognosen für die Arktis sind enorm. Die nördlichste Region der Welt erwärmt sich schneller als jede andere Region der Erde. Auf der AWI-Forschungsstation in Spitzbergen wurde allein in den vergangenen 20 Jahren im Winter eine Erwärmung von sechs Grad gemessen. „Unsere bisherigen Vorhersagen zum Rückgang des Meereises in der Arktis haben sich als viel zu konservativ erwiesen“, sagt AWI-Direktorin Antje Boetius. „Die Mission soll also dazu beitragen, noch genauer zu verstehen, warum der Rückgang so schnell ist.“

Der Kreislauf beschleunigt sich selbst, die Wissenschaftler sprechen von Rückkopplungseffekten: Das Eis reflektiert die Sonnenstrahlung, während das dunkle Wasser mehr Energie aufnimmt. Jedes Jahr schrumpft die Eisdecke Messungen zufolge um 2,8 Prozent. Lässt die Erwärmung das Eis schmelzen, gelangt durch das dünnere Eis mehr Wärme aus dem relativ warmen Ozean an die Oberfläche und in die Atmosphäre. Die Wärme lässt die Eisbedeckung schrumpfen, durch die geringere und dünnere Eisbedeckung wiederum wird es noch wärmer. Entscheidend ist das Geschehen im Winter.

Die einzelnen Vorgänge im Ozean, im Meereis und in der Atmosphäre sowie deren Wechselwirkungen zu verstehen und in Klimamodellen quantitativ zu beschreiben, ist eine der Missionen von MOSAiC, kurz für Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate. Die Daten sollen der Menschheit neue Einblicke in die Austauschprozesse zwischen Ozean, Eis und Atmosphäre erlauben. Nur so lässt sich vorhersagen, wie sich das Klima in der Arktis in den kommenden Jahrzehnten entwickeln wird. Es sollen die ersten umfassenden Messungen seit Nansens Pionier-Leistung vor 126 Jahren werden.

„Wahrscheinlich wirkt der Meereisrückgang auch auf unser Wetter“, sagt AWI-Direktorin Antje Boetius. „Die Starkwindbänder wie der Jetstream verändern sich – die Folge können Dürrewellen sein wie im vergangenen Sommer, aber auch massive Regenfälle und Stürme im Frühjahr und Herbst. Diese extremen Wetterphänomene werden wahrscheinlich verstärkt durch den Rückgang des Meereises.“ Während die Wissenschaftler noch unterwegs sind, bekommt ein Netzwerk von Klima- und Erdsystemmodellierern weltweit schon Daten und arbeiten an der Verbesserung der Modelle.

Modelle geben Erwärmung in der Arktis nicht richtig wieder

Auch Kaleschke interessiert sich für diese Fragen. Ziel seiner Forschung ist es, die Satelliten-Fernerkundung des Meereises zu verbessern. Da es in der Arktis keine Wetterstationen gibt, sind es Satellitenbilder, die bisher die wichtigsten Hinweise auf Veränderungen in der Arktis liefern. Doch wenn das Eis schon im Winter aufreißt, sieht der Satellit das nicht. Die Risse verändern aber das Schmelzverhalten. Nun bietet sich Kaleschke und seinem Team die Möglichkeit zu überprüfen, ob die Satellitenbilder mit dem übereinstimmen, was die Wissenschaftler vor Ort vorfinden – und wie das Eis im Einzelnen beschaffen ist.

Wenn das Meereis in der Arktis schmilzt und sich Tümpel bilden, sind auch die Eisbären bedroht.
Wenn das Meereis in der Arktis schmilzt und sich Tümpel bilden, sind auch die Eisbären bedroht. © Unbekannt | Mario Hoppmann

Dafür werden Sensoren wie Mikrowellenradiometer eingesetzt. Den Meereis-Physiker interessiert nicht nur die Eisdicke, sondern auch das vertikale Profil von Temperatur und Salz im Eis und wie sich diese Eigenschaften im Jahreslauf verändern. Dafür werden regelmäßig Bohrkerne im Eis gezogen. „Das Besondere ist, dass wir Langzeitdatensätze gewinnen, wenn wir eine Eisscholle verfolgen und den Austausch von Energie und Feuchte über einen Zeitraum beobachten können“, so Kaleschke.

AWI-Chefin Antje Boetius als Meeresbiologin berührt besonders das Meereis als Lebensraum von einzigartigen Arten. „Schwindet das Eis“, sagt sie, „droht ein Verlust einzigartiger arktischer Arten wie das Walross.“

Für die 350 Tage währende Mission der „Polarstern“ ist eine gewaltige Logistik erforderlich. Sie wird von Bjela König (35) und Verena Mohaupt (36) vom AWI koordiniert, die das Forschungsabendteuer seit vielen Monaten vorbereiten. Die beiden Frauen planen, welche Wissenschaftler auf welchen Fahrtabschnitt dabei sein müssen, wie sie an Bord der „Polarstern“ kommen und wieder herunter, welche Fracht für den letzten Teil der Reise schon am Anfang auf dem Schiff sein muss, wie ein Stromnetzwerk auf der Eisscholle errichtet werden kann, wie viel Sprit für die Pistenraupenfahrzeuge und das Schiff benötigt wird und vieles mehr. Sie müssen dafür sorgen, dass Drohnen, Container mit Messinstrumenten, Schneemobile, Pistenbullys und Eisfräsen, Fesselballone und Unterwasserroboter bereit sind, wenn sie benötigt werden. Und erst einmal den Platz für all die Instrumente und Ausrüstung an Bord des 118 Meter langen Schiffes finden – das ist ein bisschen wie Tetris spielen.

Konzepte für alle denkbaren Gefahrenszenarien

Zu klären ist, welche Bereiche auf dem Eis vom Schiff ausgeleuchtet werden müssen und welche nicht. „Es gibt Bereiche, die wir bewusst im Dunkeln lassen, weil das für die Wissenschaftler wichtig ist, etwa wenn Biologen Kleinstlebewesen im Eis beobachten“, erzählt König. Auch Sicherheit ist ein Riesenthema. Mohaupt und König haben die Spezialanzüge für die Arbeit auf dem Eis auf Spitzbergen getestet. „Unsere Scholle wird nicht perfekt sein“, sagt König. „Es können sich Risse und Schmelzwassertümpel bilden, die sich je nach Jahreszeit flach sein oder sich auch durch die ganze Scholle hindurch reichen können.“ Die Anzüge müssen die Wissenschaftler auch dann noch wärmen, wenn sie dort hineinfallen. Es werden Konzepte für alle denkbaren Szenarien entwickelt, die als potenzielle Gefahrenquellen verstanden werden.

Auch wenn das Alfred-Wegner-Institut viel Erfahrung mit Expeditionen hat: Vieles wird zum ersten Mal geplant. Was, wenn Starkwind das Arbeiten auf dem Eis für längere Zeit unmöglich macht? Wenn das Schiff von seiner Scholle losbricht und die Kabel abreißen, die das Messnetzwerk auf dem Eis versorgen? Wie beleuchtet man eine Landebahn auf dem Eis? Wie baut man so etwas überhaupt? Vorgesehen ist, die Presseisrücken mit Raupenfahrzeugen, Pistenbullys und speziell entwickelten Fräsen so zu planieren, dass dort Flugzeuge vom Typ Antonov landen können.

Flugzeuge sollen auf der Eisscholle landen

Die Versorgung der „Polarstern“ und der Austausch der Wissenschaftler (fünf bis sechsmal während der Reise) gehört zu den größten Herausforderungen, denn irgendwann werden auch Eisbrecher nicht mehr in die Region vorbringen können, durch die das Forschungsschiff in seiner Scholle driftet. „Zwischen dem dritten und vierten Fahrtabschnitt muss die Landebahn fertig sein“, sagt Verena Mohaupt. Der Austausch der Wissenschaftler zwischen dem zweiten und dritten Fahrtabschnitt mit einem Versorgungseisbrecher im Februar ist der kniffeligste. „Das ist die kritische Zeit, wo es schwierig werden könnte, aber wir gehen davon aus, dass es klappt.“

Auch Lars Kaleschke hofft, im April mit einer Antonov nahe der „Polarstern“ nach Hause starten zu können. Zur Sicherheit werden Treibstoffdepots auf den Inseln vor der sibirischen Küste eingerichtet, um von dort aus die „Polarstern“ mit Helikoptern erreichen zu können. Die „Polarstern“ könnte durch den Eisdruck angehoben werden, was aber nicht problematisch ist. Die Eisbrechtechnik des 1981 gebauten Schiffes wurde von der Hamburgischen Schiffbau-Versuchsanstalt (HSVA) entwickelt.

An Bord gibt es Yoga-Kurse und Tischtennis-Turniere

König und Mohaupt sind gleich zu Beginn der Reise mit dabei, um die Infrastruktur an Bord und auf dem Eis mit aufzubauen — und zu schauen, ob sich ihre Planung bewährt oder nachgesteuert werden muss. Angst vor der monatelangen Finsternis oder einem Lagerkoller an Bord haben sie nicht. Zum einen gibt es auf der „Polarstern“ ein Schwimmbad, einen Fitnessraum und eine Sauna. Die Forscher wohnen in Doppelkabinen. Es werden Tischtennis- und Schachturniere, Kino-Abende und Yoga-Kurse organisiert.

AWI-Direktorin Prof. Antje Boetius hat schon viele internationale Expeditionen geleitet.
AWI-Direktorin Prof. Antje Boetius hat schon viele internationale Expeditionen geleitet. © Unbekannt | AWI/M. Schiller

Zum anderen haben die beiden jungen Frauen selbst einige arktische Winter hinter sich. Mohaupt, ursprünglich Physikerin, hat vier Jahre lang für das AWI die deutsch-französische Station auf Spitzbergen geleitet. „Ich kenne den arktischen Winter und habe Erfahrung damit, in einer abgeschlossenen Gesellschaft zu leben.“ Bjela König sagt von sich: „Ich bin Seemann.“ Sie ist als Nautikerin auf Expeditionskreuzfahrten gefahren, in erster Linie in der Arktis und Antarktis, auch durch die Polarnacht. Sie wurde mit ihrer Erfahrung eigens für MOSAiC eingekauft, wie sie sagt. „Es ist cool, Teil dieses Projekts zu sein.“

Das Alfred-Wegener-Institut hat Erfahrung mit der psychischen Belastung von Wissenschaftlern und Mannschaft, schließlich stellt das Bremerhavener Institut die arktischen Überwinterungsstationen. „Das Wichtigste ist: Man muss ordentlich Arbeit haben an Bord, aber auch Erholung“, sagt AWI-Chefin Boetius. Daneben brauche es soziale Aktivitäten und den Kontakt nach Hause per Mail. „Man arbeitet an Bord mit ganz unterschiedlichen Menschen gut zusammen und denkt, dass so eigentlich die ganze Welt funktionieren könnte. Bei den Forschern herrscht dazu das Gefühl vor: Wir füllen gigantische Lücken im Wissen um das Klima; es ist etwas Einzigartiges, dabei zu sein.“ Das begleite einen danach für Jahrzehnte, weil die Daten lange Zeit ausgewertet werden.

Die Zeit an Bord, fernab der Zivilisation, eingeschlossen von den Naturgewalten, am Rande der Welt – das schweißt Forscher und Mannschaft zusammen. Hier muss man sich aufeinander verlassen können, Streit in geordneten Bahnen austragen. Ein Gefühl, als sei man auf einer Arche Noah. Auch Lars Kaleschke freut sich auf das Leben an Bord, selbst wenn es angesichts der eingeschränkten Internetverbindung schwer wird, Kontakt zu haben zu seiner Lebensgefährtin zu Hause. „Auf der ,Polarstern´ entwickelt sich immer ein ganz besonderer Teamgeist“, sagt er. Kaleschke war schon 1995 zum ersten Mal mit dem Schiff auf Expedition.

Aber auch für die erfahrenen Wissenschaftler wird die 2500 Kilometer lange Reise die Expedition ihres Lebens. Für die meisten Forscher sei es „einfach wundervoll, in die Situation zu kommen, eine solche Mission mitzumachen auf der die ganze Welt auf einen guckt, und man ganz neue Dinge ausprobiert und erforscht“, sagt Antje Boetius.

Führt Drift in Beaufortwirbel, käme Schiff lange nicht heraus

Das AWI ist weltweit eines der wenigen Institute, das eine Expedition dieser Größenordnung koordinieren kann. Für die meisten Szenarien gibt es nicht nur einen Plan A, sondern auch B und C. Doch Restrisiken bleiben. Für jeden Punkt auf der Expedition haben die Logistiker mögliche Evakuierungswege erarbeitet, etwa für medizinische Notfälle, die auf der an sich gut ausgestatteten Krankenstation der „Polarstern“ nicht zu behandeln sind. Doch dafür muss das Wetter mitspielen. Und die Drift-Route der „Polarstern“ lässt sich nur ungefähr planen. Ein stückweit ist man dort oben im hohen Norden auf sich selbst gestellt.

Geht alles gut, kommt das Schiff 2020 nach rund 2500 Kilometern Reise an der Framstraße zwischen Spitzbergen und Grönland wieder aus dem Eis heraus. Zuvor allerdings teilt sich die Eisdrift nördlich von Grönland. In die eine Richtung geht es zum Ziel zwischen Spitzbergen und Grönland. Die andere Abzweigung führt jedoch nach Worten von Expeditionsleiter Rex weiter nördlich in den Beaufortwirbel, wo sich die Drift einige Jahre lang im Kreis dreht. Gerät die „Polarstern“ dort hinein, käme sie aus eigener Kraft eine ganze Weile nicht mehr heraus.