Hannover. Nach der unrechtmäßigen Abschiebung des Islamisten Sami A. kritisiert Niedersachsens Innenminister seinen NRW-Kollegen.
In der Affäre um den zu Unrecht nach Tunesien abgeschobenen Islamisten Sami A. hat Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) Nordrhein-Westfalens Landregierung kritisiert. Es sei bedenklich, wenn sein NRW-Innenministerkollege Herbert Reul (CDU) sage, Entscheidungen von Richtern sollten immer auch „dem Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen“, sagte Pistorius.
„Wir können uns alle ungefähr vorstellen, was dieses angebliche Rechtsempfinden mancher kleiner Teile der Bevölkerung in bestimmten anderen Fragen fordern würde“, sagte der Minister. „Im Grundgesetz steht nicht umsonst, dass die Richter nur dem Gesetz unterworfen sind.“
Unabhängigkeit der Justiz ist kein "nice to have"
Niemand habe einen Zweifel daran, dass Sami A. abgeschoben gehöre, betonte Pistorius. „Aber wenn ein deutsches Gericht entscheidet, dann entscheidet ein deutsches Gericht“, sagte er. „Und die Unabhängigkeit der Justiz ist nicht irgendwie ein „nice to have“ unserer Rechtsordnung, sondern ein substanzielles Element unserer demokratischen Ordnung und eine Konsequenz aus den Erfahrungen vergangener Zeiten.“
Pistorius kritisierte auch eine mögliche Täuschung der Justiz durch das NRW-Ministerium. „Wenn es tatsächlich stimmt, dass das Integrationsministerium in Düsseldorf die Ausländerbehörde Bochum angewiesen hat, den Abflugtermin nicht nur Sami A., sondern auch dem Gericht nicht mitzuteilen, dann könnte man das schon als Versuch interpretieren, zu verhindern, dass die richterliche Entscheidung noch eine Wirkung hat.“ Ein solches Verhalten würde die Rechtsweggarantie des Grundgesetzes ad absurdum führen.
Gewaltenteilung beachten
„Unsere Demokratie funktioniert nur, wenn die Staatsgewalten angemessen und respektvoll miteinander umgehen“, sagte Pistorius. „Es ist ein bedenklicher Vorgang, wenn Gerichte, die eigentlich nur durch ihre Entscheidungen sprechen, sich dazu gedrängt fühlen müssen, ihre Entscheidungen anschließend noch einmal öffentlich zu verteidigen, weil sie unangemessen kritisiert werden.“
Er habe auch Sympathie dafür, dass Sami A. da bleibe, wo er ist, sagte Pistorius. „Aber wenn das Gericht eben anders entscheidet und wir das dann anschließend infrage stellen, dann öffnen wir Tür und Tor dafür, dass alle Gerichtsentscheidungen jenseits eines Rechtsweges in ihrer Wirkungskraft bezweifelt und womöglich diskreditiert werden.“
Der Islamist war von Nordrhein-Westfalen aus nach Tunesien abgeschoben worden, obwohl das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen dies für unrechtmäßig erklärt hatte. Letztinstanzlich hatte das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster am Mittwoch entschieden, dass der 42-Jährige nun auf Staatskosten nach Deutschland zurückgeholt werden muss.