Hannover/ Hamburg. Studie macht Flüchtlinge für Kriminalitätsanstieg verantwortlich. Was Niedersachsens Ministerpräsident Weil und Experten fordern.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) fordert Konsequenzen aus der jüngsten Studie des Bundesfamilienministeriums zur Flüchtlingskriminalität. Sowohl die Bemühungen um eine Rückführung nordafrikanischer Flüchtlinge als auch die Anstrengungen zur Integration müssten verstärkt werden, sagte Weil am Mittwoch in Hannover. In der Studie analysierten der Kriminologe Christian Pfeiffer gemeinsam mit seinen Kollegen Dirk Bayer und Sören Kliem im Auftrag des Ministeriums exemplarisch die Flüchtlingskriminalität in Niedersachsen. Sie bestätigt einen Anstieg der Flüchtlingskriminalität zwischen 2014 und 2016.

Den Ergebnissen zufolge stieg die Zahl der Gewalttaten in Niedersachsen in dem Zeitraum um gut zehn Prozent, nachdem sie zuvor jahrelang zurückgegangen war. Verantwortlich sind vor allem von Flüchtlingen begangene Delikte, wie die Autoren ausführen. Gut 13 Prozent der aufgeklärten Gewalttaten sind ihnen zuzurechnen. Der Anstieg der Kriminalität ist damit zu 92 Prozent auf Asylbewerber zurückzuführen.

Merkel soll Gespräche mit Nordafrika aufnehmen

Fast zwei Drittel der aufgeklärten Gewalttaten von Flüchtlingen wurden der Studie zufolge von Männern zwischen 14 und 30 Jahren begangen. Besonders häufig werden Flüchtlinge aus Algerien, Tunesien und Marokko straffällig, weil sie kaum Chance auf einen Aufenthalt in Deutschland haben. Allerdings weigern sich die nordafrikanischen Länder, abgelehnte Asylbewerber zurückzunehmen.

Ministerpräsident Weil appellierte an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), in Gesprächen mit den nordafrikanischen Regierungschefs daraufhinzuwirken, dass diese Länder ihre Blockadepolitik beenden. Er forderte zudem geförderte Sprachkurse und Hilfen bei der Arbeitssuche, um vor allen den Afghanen die Integration zu erleichtern. Diese bilden nach den Syrern und den Irakern die drittgrößte Flüchtlingsgruppe.

Der Bund verwehre ihnen diese Unterstützung derzeit, weil sie rein rechtlich keine gute Bleibeperspektive hätten, kritisierte Weil. Tatsächlich aber sei davon auszugehen, dass sie mehrheitlich für etliche Jahre in Deutschland bleiben würden. «Diesen Menschen Integrationshilfen zu verwehren, ist falsch.»

Mitautor Pfeiffer forderte als Konsequenz der Studie neue Ansätze in der Flüchtlingspolitik. Damit Herkunftsländer abgewiesene Asylbewerber wieder aufnehmen, müsse in den anstehenden Koalitionsverhandlungen über große finanzielle Anstrengungen beraten werden, sagte der ehemalige niedersächsische Justizminister und frühere Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen am Dienstagabend im ZDF-«heute journal». Es müsse «riesig viel Geld» für ein Rückkehrprogramm investiert werden.

Püschel und Montgomery unterschiedlicher Meinung

Entscheidend für die Rückführung junger Flüchtlinge ist ihr Alter. Um ihre Voll-, beziehungsweise Minderjährigkeit feststellen zu können, werden sie in Hamburg und Berlin routinemäßig von Rechtsmedizinern überprüft. Geht es nach Klaus Püschel, dem Direktor des Rechtsmedizinischen Instituts am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf, sollte dies künftig bundesweit geschehen. Das hatte er in einem Interview mit der ZEIT gefordert. Die notwendigen Eingriffe wären nicht schwerwiegend, zudem würden alle Rechtsvorschriften eingehalten. Zudem könne er „unzählige Beispiele“ nennen, in denen Flüchtlinge der Lüge überführt wurden. In der Vergangenheit seien ungefähr drei Viertel der Untersuchten viel älter gewesen, als sie behaupteten. In den letzten zwölf Monaten sei es noch ungefähr die Hälfte gewesen.

Innerhalb der deutschen Ärzteschaft vertritt Püschel in Bezug auf die Altersfestlegung seit Jahren eine Minderheitenposition. Ärztekammer-Präsident Frank Ulrich Montgomery hat die Untersuchungen von Anfang an kategorisch abgelehnt. Zwar unterliegen beide Untersuchungen der Freiwilligkeit. Doch wenn ein Betroffener im Zweifel nicht zustimmt, wird er automatisch wie ein Erwachsener behandelt. „Das konterkariert die vorgebliche Freiwilligkeit und ist weder menschlich noch medizinisch gerechtfertigt“, hatte Montgomery einmal im Hamburger Abendblatt gesagt.