Helgoland. Deutschlands größtes Raubtier hat in dieser Saison schon 394 Junge auf Helgoland zur Welt gebracht. Was Touristen beachten müssen.

Seehundjäger Rolf Blädel kommt mit dem Zählen gar nicht mehr nach. Immer mehr Kegelrobbenerblicken in diesen Tagen auf Helgolands Düne das Licht der Welt. Am Dienstagmittag fuhr er mit dem Boot von der Düne wieder auf die Felseninsel zurück und sagte dem Abendblatt: „Bis jetzt sind in dieser Saison 394 Robbenbabys geboren worden.“ Auf die Frage, warum es zu diesem Boom gekommen ist, antwortet Helgolands Herr der Robben schmunzelnd: „Weil unsere Bullen die besten sind.“

Die Familie der Kegelrobben (Halichoerus grypus), der größten Raubtiere Deutschlands, ist auf Helgoland im Babyglück. Seit einigen Wochen kommen immer mehr Jungtiere zur Welt. Bis zum Ende der Saison im Januar dürften mehr als 400 Robbenbabys geboren werden. In den vergangenen Jahren habe es Zuwächse um jeweils 30 Prozent gegeben, sagt Blädel und fügt hinzu: „Lange werden die Jungtiere aber nicht auf der Düne bleiben.“ Denn nach der gut dreiwöchigen Stillzeit gehen sie in der Nordsee selbstständig auf Nahrungssuche.

Bestand hat sich erholt

Dass es der Helgoländer Robbenpopulation gut geht, war nicht immer so. Vor 100 Jahren war die Tierart im gesamten Wattenmeer nach der intensiven Bejagung als Konkurrent der Fischer ausgerottet.

„Erst nach dem Jagdverbot in den 1970er-Jahren eroberten aus England eingewanderte Kegelrobben das Wattenmeer zurück“, sagt Britta Hennigs vom Naturschutzbund (Nabu). Zum Jahreswechsel 1996/97 wurde nachweislich das erste Kegelrobbenbaby auf Helgolands Düne geboren. Seitdem hat sich der Bestand im schleswig-holsteinischen Wattenmeer deutlich erholt. 2016 wurden fast 800 erwachsene und junge Tiere gezählt, davon 744 rund um Helgoland. Im gesamten Wattenmeer wurden rund 5000 Kegelrobben per Flugzählung entdeckt.

Blädel schätzt, dass durch den neuen Babyboom derzeit ungefähr 800 Tiere auf Helgoland leben. Während Seehunde, die im Vergleich zu den Robben einen rundlichen Kopf mit ausgeprägter Stirn haben, ihre Jungen im Sommer zur Welt bringen, liegen die Geburtstermine der Kegelrobben im Winter. Außerhalb der Fortpflanzungszeit leben die bis zu 300 Kilo schweren Tiere an unterschiedlichen Plätzen der Nordsee. Sie können mehr als 100 Meter tief tauchen und 20 Minuten lang unter Wasser bleiben. Auf ihrem Speiseplan stehen neben Lachs, Dorsch und Hering auch Makrele und Scholle.

Die Jungen haben in den ersten drei Lebenswochen ein flauschiges, weißes Fell. Damit können sie aber nur für kurze Zeit ins Wasser. Deshalb sind sie auf Liegeplätze angewiesen, die auch bei Flut trocken bleiben. „Wir haben auf Helgoland solche Plätze geschaffen“, sagt Robbenschützer Rolf Blädel und sieht darin einen wesentlichen Grund für den Babyboom bei den Robbenweibchen.

Auf einen weiteren Grund verweist neben dem Jagdverbot der Verein Jordsand, der mit einem Büro auf Helgoland vertreten ist. Die neuen Offshore-Anlagen in der Nordsee hätten dazu beigetragen, dass reichlich Nahrung vorhanden sei. Denn im unmittelbaren Umfeld der Windkraftanlagen darf nicht gefischt ­werden. Schleppnetzfischer mit Baumkurre und Scherbrettnetz sind verboten. In einer Studie der Bundesforschungsanstalt für Fischerei in Hamburg ist deshalb von einer Zunahme von Fischen und Fischarten die Rede. Auch großwüchsige Exem­plare wie Kabeljau würden ein solches Gebiet bevorzugt aufsuchen, heißt es – genug Futter also für die Robbenkinder bei ihren ersten Beutezügen im Meer.

Kegelrobben kehren auch an die Ostseeküste zurück

Längst hat der Helgoländer Tourismus die niedlichen Meeresbewohner für das Marketing entdeckt. „So nah wie auf Helgolands Düne kann man wild lebenden Robben wohl nirgends in Deutschland begegnen“, sagt ein Sprecher der Kurverwaltung. Mittlerweile seien Generationen herangewachsen, die den Menschen nicht mehr als Bedrohung wahrnehmen würden. Doch Vorsicht und Rücksicht sei geboten, warnt der Verein Jordsand: Um Störungen zu vermeiden, sollte ein Mindestabstand zu den Tieren von 30 Metern eingehalten werden.

Wichtig sei es auch, sich niemals zwischen Mutter und Jungtier zu stellen. Robbenschützer Blädel rät dringend: „Treten Sie niemals an ein stillendes Weibchen heran!“ Die ­Tiere können mit ihren kegelförmigen Zähnen beißen und außerdem kratzen.

Kegelrobben sind übrigens nicht nur in der Nord-, sondern auch in der Ostsee wieder stärker vertreten. Nach mehr als 80 Jahren kehren sie an die Ostseeküste zurück, heißt es im Stralsunder Meeresmuseum. Gründe für ihr Verschwinden waren Jagd, Lebensraumverlust und die Verschmutzung des Meeres mit Umweltgiften. Die Zahlen steigen jetzt auch hier von Jahr zu Jahr. Heute leben rund 200 Kegelrobben an den deutschen Ostseeküsten, wobei die Bestände saisonal schwanken.