Stade/Handeloh. Psychotherapeut gibt Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz zu und entschuldigt sich bei den Betroffenen.
Es sollte ein Seminar zur Bewusstseinserweiterung werden. Doch für die 27 Teilnehmer endete die Reise zur Selbstfindung am 4. September 2015 im Seminarhaus „Tanzheimat“ in Handeloh in einem lebensgefährlichen Psycho-Trip: Mit Wahnvorstellungen, Herzrasen und Krämpfen landeten sie auf der Intensivstation – verteilt auf sechs Kliniken in Hamburg und in Niedersachsen.
Seit Donnerstag muss sich der Psychotherapeut Stefan S. (52) vor dem Landgericht Stade für den beispiellosen Massenrausch verantworten. Der Psychologe, der als Anhänger des umstrittenen Schweizer Psychiaters Samuel Widmer gilt (siehe Kasten), hatte das Psycho-Seminar mit seiner Frau organisiert. S. habe illegale Drogen besessen und „in erheblichen Mengen“ den Teilnehmern zur Verfügung gestellt, so der Staatsanwalt in der Anklageschrift. Im Falle einer Verurteilung drohen dem nicht vorbestraften Therapeuten Berufsverbot und Haftstrafe.
Angeblich war es ein „Unfall"
Der Angeklagte erschien in Leinenhemd und Leinenhose vor Gericht. Er gab den Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz zu. Gleichwohl beteuerte er, es habe sich um einen „Unfall“ gehandelt. Mit unabsehbaren Folgen. „Es war mein Fehler. Ich möchte meine aufrichtige Entschuldigung gegenüber den Betroffenen zum Ausdruck bringen“, sagte S. im komplett besetzten Schwurgerichtssaal.
Dann verlas der Angeklagte, der zwei Kinder aus erster Ehe hat und heute in zweiter Ehe verheiratet ist, eine Erklärung über sein Elternhaus, seine Familie und seinen Antrieb, Psychologe zu werden. Dabei rang er um Fassung. „Warum lebe ich? Was ist Leben? Warum bin ich, wie ich bin?“, fragte der Angeklagte, der die „hohe Bedeutung von Selbsterfahrung in der Psychotherapie“ hervorhob. Im Jahr 2013 sei er mit Gleichgesinnten in die „Einsiedelei“ gezogen, wo er heute ein Stück Land bewirtschafte. Beruflich ist er als Therapeut heute kaum noch tätig.
„Die Anklage gegen mich wurde zu Recht erhoben“, gab S. zu. Er habe nicht gewusst, dass die Kapseln – mit je zehn Milligramm des seit 2014 in Deutschland verbotenen Halluzinogens 2C-E –, die er seinen Klienten zur „Bewusstseinserweiterung“ angeboten habe, mit der hochwirksamen Psychodroge Dragon Fly verunreinigt waren. Handhabung und Wirkung der Kapseln habe er zuvor erklärt. Vor drei Jahren habe er sie „legal von einem vertrauenswürdigen Bekannten“ erworben.
Den Namen des Mannes wollte S. nicht verraten. Er räumte ein, dass es „sein schwerwiegendster Fehler“ gewesen sei, die Substanz nicht zu überprüfen. Er hätte „wissen müssen, dass 2C-E inzwischen verboten“ ist. Er selbst habe ein Fläschchen LSD dabeigehabt – für den Fall, „dass jemand 2C-E nicht vertrage“, so der Angeklagte.
Menschen hätten „nackt übereinandergelegen“
Als die Seminarteilnehmer die Kapseln vormittags einnahmen, sei er mit seiner Frau im Wald „spazieren“ gewesen. Wie das sein könne?, fragte der Richter irritiert. „Ich hatte Vertrauen. Ich kannte die meisten. Es waren nicht nur Heilpraktiker, auch Unternehmer, Erzieher, Psychologen, Informatiker.“ Als sie zurückkamen, hätten einige „psychotische Reaktionen“ gezeigt. Er und seine Frau hätten Wasser aus Karaffen getrunken, die „überall“ herumstanden. Dabei hätten sie vermutlich selbst die Substanz zu sich genommen.
Als sich die Beschwerden der Teilnehmer steigerten, habe er den Notarzt gerufen. Auf die Frage des Staatsanwalts, ob er jemals wieder ein Seminar mit verbotenen Drogen abhalten würde, sagte der Angeklagte: „Nein.“ Die Leiterin des Seminarhauses sagte als Zeugin aus. Sie betonte, sie sei vom Drogenmissbrauch in ihrem Hause völlig überrascht worden. „Ich hörte Schreie, war fassungslos, was ich sah. Menschen lagen winselnd und weinend herum. Sie waren nicht ansprechbar.“ Bis heute habe sich der Seminarleiter nicht bei ihr entschuldigt.
Dramatische Szenen
Polizisten schilderten dramatische Szenen. Ein Notarzt sagte aus, Menschen hätten „nackt übereinandergelegen“. Es habe sexuelle Handlungen gegeben. Andere hätten mit dem Gesicht auf dem Rasen gelegen und seien fast erstickt. Es habe „akute Lebensgefahr bestanden“. Das Verfahren wird am 22. November fortgesetzt.