Hamburg. In dem Buch „Mayday“ erzählen Helfer über ihre Heldenfahrten. Nicht immer haben die Rettungen ein gutes Ende.

Der Wetterbericht für diesen Sommertag im August 1990 klingt nicht gut: Windstärke 10 aus Nordwest und zunehmend. Für Dieter Steffens aber keine Schreckensnachricht. Auf Fischkuttern hatte er schon manchen Sturm erlebt, später wurde der Ostfriese wie viele seiner Vorfahren Seenotretter, und Sturmfahrten sind für ihn Routine. Viel überlegt er deshalb nicht, als am Abend der Notruf einer Segelyacht auf seinem Wilhelmshavener Rettungskreuzer eingeht.

Eine Wand aus Wasser

Die Crew läuft aus und kann das kleine, etwa neun Meter lange Boot mit einem verzweifelten Ehepaar an Bord bald schon in der schäumenden Nordsee ausmachen, eine Leinenverbindung herstellen und wieder Kurs Richtung Jademündung nehmen. Steffens hat sich um die Navigation gekümmert und will jetzt an Deck wieder zum Fahrstand gehen, als er plötzlich eine gigantische Welle sieht. Eine Wand aus Wasser, die den Kreuzer auf die Seite drückt. Als das Schiff sich wieder aufrichtet, ist Steffens nicht mehr an Bord.

Dieter Steffens, ein Seenotretter, der selbst in Seenot geriet
Dieter Steffens, ein Seenotretter, der selbst in Seenot geriet © Enver Hirsch

Was der Seenotretter dann erlebt, durchleidet, fühlt und denkt, ist jetzt in einem neuen Buch des kleinen Hollenstedter Ankerherzverlags beschrieben: „Mayday“ heißt es. Untertitel: „Seenotretter über ihre dramatischsten Einsätze“. Autoren sind Verlagsgründer Stefan Krücken und der Reporter Jochen Pioch. Die zahlreichen Fotos stammen von den Fotografen Enver Hirsch und Thomas Steuer.

Geschichten von Seenotrettern

„Mit ‘Mayday‘ wollen wir den Seenotrettern ein Denkmal setzen“, schreiben Krücken und Pioch im Vorspann. Schon vor acht Jahren hatten die beiden begonnen, dafür Geschichten von Seenotrettern zu sammeln. „Ritter in roten Overalls“ nennt Krücken die Männer und Frauen der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS), die von ihren Mitgliedern selbst nur als „die Gesellschaft“ bezeichnet wird.

Das Buch ist dabei auch so etwas wie die große Klammer des Ankerherzverlags, den der frühere Magazin-Reporter Krücken in der Nordheide vor zehn Jahren gegründet hatte. Kernthemen sind maritime Themen und Biografien von „Helden des Alltags“, wie Krücken sagt. In „Mayday“ komme nun eben beides zusammen. Und das offensichtlich auch mit Erfolg: Das Buch ist bereits auf der Spiegel-Bestsellerliste gelistet.

Nicht immer geht es gut aus

Nicht immer gehen diese Heldenfahrten aber gut aus. Das Buch beschreibt beispielsweise auch die dramatischen Stunden, als der Seenotrettungskreuzer „Adolph Bermpohl“ in einem Orkan erst bei Helgoland drei holländische Fischer retten kann und dann selbst zum Schauplatz einer der schwersten Unglücke in der Geschichte der „Gesellschaft“ wird. Fischer und Crew werden über Bord gespült und ertrinken, nachdem ein Brecher das Schiff getroffen hat. Der Kreuzer selbst richtet sich wieder auf und treibt in der Nordsee.

Die Autoren lassen die Retter oft selbst erzählen

Wobei die beiden Autoren nicht nur die Einsätze beschreiben, sondern immer wieder die Seenotretter selbst zum Thema machen. Warum sie diesen gefährlichen Job aushalten, wie das Leben an Bord der Rettungskreuzer ist – all das wird dabei für den Leser so erlebbar, als würde er den Rettern selbst zuhören, wenn sie ihre Geschichten erzählen. Vor allem, wenn immer wieder in die Ich-Perspektive gewechselt wird: So auch bei dem Geschehen im August 1990, als Dieter Steffens selbst in Not gerät.

Etwa 14 Kilometer vom Festland entfernt. Er trägt den roten Rettungsoverall und eine Schwimmweste und begreift zuerst gar nicht, was passiert ist: „Mein Geist scheint vor Schreck in eine Art Notmodus geschaltet zu haben. Bis ich wirklich verstehe, in welcher Lage ich mich befinde, vergeht einige Zeit“. Ihm schießt durch den Kopf, was er einmal über solche Situationen gelesen hat: Schiffbrüchige ertrinken gar nicht, sie ersticken oft vorher schon, weil sie in der waschmaschinenartigen Gischt der Wellen keine Luft bekommen: „Ich habe Pro­bleme zu atmen. Ich strample um mein Leben. Ich spüre, wie die Temperatur meines Körpers sinkt“, so schildert er den Autoren das Erlebnis.

Schweres Trauma

Lichter eines Hubschrauber tauchen auf, verschwinden wieder. Steffens schreit, strampelt weiter. „Die Panik, die Furcht machen mich beinahe wahnsinnig, Ich schreie, ich weine, ich brülle in die Dunkelheit hinaus.“

Irgendwann aber wird er doch gesichtet, spürt eine Rettungsschlaufe und wird hochgezogen in den Hubschrauber. Wenige Minuten danach, sagen die Ärzte später, wäre er an Unterkühlung gestorben.

Das Buch „Mayday“ ist im Ankerherzverlag erschienen und kostet 29,90 Euro. Es ist auch als E-Book erhältlich.
Das Buch „Mayday“ ist im Ankerherzverlag erschienen und kostet 29,90 Euro. Es ist auch als E-Book erhältlich.

Monate später tritt Steffens seinen Dienst wieder an. Doch bei einem neuen Sturmeinsatz ist da keine Routine mehr, sein Magen verkrampft, ihm wird übel. Das Trauma sitzt zu tief. Er muss den Job wechseln und wird Steuermann auf einer Fähre. Erst Jahre später fängt er doch wieder bei der Gesellschaft an, als freiwilliger Seenotretter.