Hamburg. Sommerserie über die Inseln der Region, Teil 8: Neuwerk. Auf der Insel mitten im Nationalpark ist das Leben nicht immer leicht.

Nur schemenhaft ist die Insel da draußen im Wattenmeer zu erkennen. Etwa zehn Kilometer sind es zwar nur vom Strand in Cuxhaven-Sahlenburg dorthin. Doch der grüne Strich mit dem markanten Turm in der Mitte erscheint im Dunstschleier viel weiter weg zu sein. Ein gutes Zeichen, das weiß man hier an der Küste: Neuwerk im Dunst – das bedeutet meist gutes Wetter.

Klare Sicht auf die zu Hamburg gehörende Insel ist indes oft Vorbote von Regenwetter und viel Wind, die den Staub aus der Luft waschen. Und das war in dieser Saison schon oft so. „Doch richtig klagen können wir eigentlich nicht“, sagt Inselwart Volker Griebel. Die fünf Hotels mit ihren etwa 150 Betten seien mit ihrer Auslastung dennoch zufrieden gewesen.

Was nicht so verwunderlich ist: Wer ein paar Tage auf dem nur 3,3 Quadratkilometer großen Neuwerk verbringt, den stören Wind und gelegentlicher Regen nicht so richtig. Klare Luft und klare Sicht – das sucht und findet man hier. Stickoxide, Lärmgrenzwerte – solche Hamburger Diskussionen sind auf der autofreien Insel weit weg. „Nur bei den Tagesgästen merkte man das Wetter, da kamen etwas weniger“, sagt der 63-jährige Griebel, der selbst mit seiner Familie ein Hotel auf Neuwerk betreibt und Besucher von Sahlenburg aus mit dem Wattwagen auf die Insel bringt.

Eine Stunde und zehn Minuten dauert die Fahrt über das Wattenmeer, das sich bei Niedrigwasser für kurze Zeit in eine schwarzgraue und schier endlose Weite verwandelt. Gelegentlich glitzert es, wo sich noch Reste des Wassers gesammelt haben. Manchmal wird das Wasser auch tiefer und man weiß nun, warum das gelbe Pferdefuhrwerk von Griebel im Vergleich so extrem hochbordig gebaut ist. Stoisch ziehen aber seine Pferde den gelben Wagen durch diesen Priel, der wie ein Fluss zu strömen scheint.

Wanderer verschätzen sich immer wieder

Wer sich auf die gut dreistündige Wanderung übers Watt nach Neuwerk aufmacht, sollte daher aufpassen. Schnell kommt das Meer über diese Priele auch wieder zurück und steht dann schließlich etwa zwei Meter hoch. Rettungsbaken, die wie kleine Hochsitze entlang der mit Pricken gekennzeichneten Wege aufgestellt sind, zeigen, dass offensichtlich immer wieder Wanderer sich mit dem Wechselspiel von Ebbe und Flut verschätzen. Aber es ist eben ein faszinierendes Erlebnis, auf dem Meeresboden diese Insel zu erreichen.

Bald schon gibt sich dann der grüne Strich im Dunst des Horizonts als Deich Neuwerks zu erkennen. Sieben Meter ist er hoch und damit gleichzeitig die höchste Erhebung dort. Er grenzt den Inselkern, den sogenannten Innengroden, gegen das weite grüne Vorland ab. Innerhalb dieses grünen Ringes leben die rund 40 Bewohner der Insel, die verwaltungstechnisch zum gut 120 Kilometer entfernten Bezirk Mitte gehört. Auch die beiden unbewohnten und vorgelagerten Inseln Nigehörn und Schaarhörn zählen zu dem „Stadtteil“.

 Sogar eine Mini-Grundschule gibt es auf Neuwerk, die nach kurzfristiger Schließung jetzt wieder besucht wird: von einem Kind. Für die Neuwerker ist das aber ein wichtiges, ein symbolisches Zeichen. „Das bedeutet für uns Zukunft“, sagt Inselwart Griebel, dessen Familie schon seit 150 Jahren dort lebt. Denn ganz einfach haben es die Neuwerker mit ihrer Zugehörigkeit zu Hamburg nicht immer. Die komplette Insel unterliegt seit 1990 den strengen Auflagen der Nationalpark-Verwaltung.

Und gerade in der dichten Stadt zeigt sich die Umweltbehörde in Naturschutzdingen offensichtlich reichlich engagiert. Neubauten im Nationalpark – das ist beispielsweise kaum möglich für die Insulaner. Aber man brauche Entwicklungsmöglichkeiten, um auf der Insel nicht nur für Wildgänse gute Lebensbedingungen zu haben, argumentieren die Neuwerker, die deshalb auch schon mal zu Ausschusssitzungen der Bürgerschaft anreisen, um auf ihre Bedürfnisse aufmerksam zu machen. Man sei aber in den Gesprächen auf gutem Weg, sagt Inselwart Griebel.

Verbindung ist Jahrhunderte alt

 Muss auch so sein, denn die Verbindung Hamburg–Neuwerk ist schon viele Jahrhunderte alt. Bereits Ende des 13. Jahrhunderts erhielt Hamburg einen Teil der Insel und baute später den 35 Meter hohen Turm als Seezeichen und Vorposten gegen Seeräuber. Neuwerk wurde zu einem strategisch wichtigen Punkt in der Elbmündung – der Lebensader der Stadt. Der Turm gilt heute als ältestes Bauwerk Hamburgs.

Um 1900 entwickelte sich Neuwerk zu dem Seebad von heute, schon früh in den 1920er-Jahren wurde dort auch ein Hamburger Schullandheim in Turmnähe eingerichtet. 1937 aber tauschte Hamburg Neuwerk quasi wieder ein. Mit dem Groß-Hamburg-Gesetz bekam die Stadt unter anderem Wilhelmsburg und Altona dazu, während hamburgische Gebiete in Cuxhaven und eben Neuwerk an Preußen fielen.

 Kehrtwende kam 1969

Die Kehrtwende kam 1969, als Hamburg auch Rechte an Hafenanlagen in Cuxhaven aufgegeben hatte, da wurde Neuwerk wieder hamburgisch. Um ein Haar hätte es die Neuwerker damals weit härter getroffen, als später die Sache mit den Naturschutzauflagen: Denn 1970 präsentierte der Senat ein Konzept für einen gigantischen Tiefwasserhafen in Neuwerk. Wo heute Watt ist, sollten Industrieanlagen entstehen. Das hätte zwar die späteren Elbvertiefungen überflüssig gemacht. Neuwerk, das kleine Eiland im Wattenmeer, hätte es dann aber nicht mehr gegeben. Es kam anders, die Pläne wurden verworfen – und so kann man immer noch gemütlich mit dem Wattwagen über den Meeresboden nach Neuwerk rumpeln.

Watt für ein Glück!

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