Kiel. Eine Affäre, die mit Ermittlungen gegen Rocker begann, sorgt in Schleswig-Holstein für Aufruhr

Im Affärenland Schleswig-Holstein zeichnen sich die Umrisse einer neuen Affäre ab. Noch basiert vieles auf Gerüchten, noch stehen Vorwürfe gegen Gegen-Vorwürfe. Immerhin ist jetzt klar: Die SPD-Fraktion im Kieler Landtag wird spätestens im Oktober einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) beantragen und auch bekommen, denn sie verfügt über die notwendige Zahl der Sitze.

Bei den schleswig-holsteinischen Landespolizisten wird die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses mit einer gewissen Sorge verfolgt. Denn in der Affäre geht es um die Polizei – und um den Verdacht, ausgerechnet die Polizei sei kriminell geworden. „Grundsätzlich ist Aufklärung ja gut“, sagt Torsten Jäger, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, „aber wir befürchten, dass die Landespolizei jetzt über einen langen Zeitraum hinweg immer wieder in den Schlagzeilen stehen wird.“ Kai Dolgner, der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, geht davon aus, dass der PUA ein bis zwei Jahre brauchen wird.

Die Affäre hatte im Mai begonnen. Anfänglich ging es nur um zwei Kripo-Beamte, die sich den „Kieler Nachrichten“ offenbarten und behaupteten, sie seien von ihren Chefs gemobbt worden. Die Ereignisse, von denen sie – immer im Schutz der Anonymität – berichteten, lagen schon ziemlich lange zurück. Im Jahr 2010 gehörten sie zu einer Sonderkommission, die unter anderem gegen Mitglieder einer Rockergang namens „Bandidos Neumünster“ ermittelten, die an einer Messerstecherei in einem Neumünsteraner Schnellrestaurant beteiligt gewesen seien sollen. Später kam der Vorwurf hinzu, die Polizei habe entlastende Aussagen zugunsten von zwei Beschuldigten teilweise unterdrückt. Die beiden Beamten hatten diese Aussagen zu den Akten nehmen wollen.

Eine Mobbingkommission beugte sich über den Fall

Ein Teil dieser Vorwürfe wurde bereits damals geprüft. Das Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern wurde hinzugezogen, eine Mobbingkommission beugte sich über den Fall, doch alles verlief im Sande.

In den „Kieler Nachrichten“ (KN) nahm die Geschichte dann schnell Fahrt auf. Verschiedene Informanten erzählten dem Chefredakteur Christian Longardt und seinem Polizeireporter Bastian Modrow, dass die beiden Journalisten möglicherweise abgehört werden. Denkbares Motiv: Die Polizei mit dem Landespolizeidirektor Ralf Höhs an der Spitze könnte so versuchen, die Informanten zu enttarnen. Die Zeitung engagierte daraufhin eine Spezialfirma, die am 17. Juni Büroräume und Fahrzeuge des Verlags unter die Lupe nahm. Ergebnis: An Longardts Auto wurden, so schreibt es die Zeitung im Juli, „bei mehreren Messungen am vorderen linken Radkasten Signale einer Funkquelle festgestellt“. Außerdem sei das private Mailkonto von Modrow „von Unbekannten geknackt“ worden. Die Frequenzbereich des Signals entspreche dem Bereich, auf dem Behörden mit Peilsendern arbeiteten. Die Schlagzeile lautete: „KN-Journalisten abgehört und überwacht?“

Damit war das größtmögliche Erregungslevel erreicht. Journalisten abgehört? Etwa von der Polizei? Polizei und Innenministerium dementierten umgehend. Der Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) sagte: „Nach den mir vorliegenden Erkenntnissen hat es die in Rede stehenden Maßnahmen gegen Journalisten in Schleswig-Holstein nicht gegeben.“ Und Thorsten Kramer, der Chef des Landeskriminalamtes, legte dar, dass es sich bei dem Funksignal nicht um Polizeitechnik handeln könne.

Das Problem der KN: Die Experten hatten zwar Strahlung gemessen, aber keinen Sender gefunden. Und als sie das Fahrzeug ein paar Tage später zwecks einer genaueren Untersuchung in eine Werkstatt brachten, war auch das Funksignal verschwunden.

Bei der Polizei kam das nicht gut an. Die Gewerkschaft der Polizei und der Bund deutscher Kriminalbeamter in Schleswig-Holstein stellten einen öffentlichen Brief von Kollegen auf ihre Internetseiten. „Die Berichterstattung der Kieler Nachrichten hat mittlerweile ein schier unerträgliches Maß erreicht“, heißt es in dem Schreiben.

Die undurchsichtige Affäre tritt nun in die Phase der Aufklärung. Doch auch sie wirkt irgendwie undurchsichtig. Die Staatsanwaltschaft Lübeck ermittelt bereits, zudem kümmert sich die Polizeibeauftragte des Landes um den Fall. Außerdem hat der Innenminister einen Sonderbeauftragten eingesetzt. Wenn im Herbst der PUA dazustößt, sind insgesamt also vier Organisationen dabei, die Details dieser Affäre zu durchleuchten.

Klar ist: Das Peilsignal im vorderen linken Radkasten des Chefredakteurs-Dienstwagens wird im PUA nur eine untergeordnete Rolle spielen. „Im Mittelpunkt wird die Frage stehen, ob den Polizeibeamten damals Unrecht geschehen ist“, sagt Kai Dolgner.