New York/Hamburg. Die „Peking“ soll heute an Bord eines Dockschiffs New York verlassen und als Museumsschiff restauriert werden

Viel Historie scheint auf den ersten Blick nicht mehr erhalten zu sein. Alexandre Poirier steht im Blaumann an Bord der „Peking“ – jener historischen Viermastbark, die 1911 bei der Hamburger Werft Blohm+Voss vom Stapel lief.

Doch hier, an einem Pier im New Yorker Stadtteil Staten Island, sieht der Schiffbauingenieur vor allem: Rost, Schrott, alte Heizungsanlagen, überflüssigen Ballast. Wenn die „Peking“ als Museumsschiff restauriert werden soll, ist hier noch einiges zu tun.

„Alles, was nicht original ist, was Müll ist und was unnötiger Ballast ist, fliegt raus“, sagt Poirier. Mit einer Taschenlampe und Bauhelm auf dem Kopf führt er durch den dunklen Laderaum, über Haupt- und Zwischendeck und stellt nüchtern fest, in welch desolatem Zustand das bedeutende Schiff der Reederei F. Laeisz heute ist. „Gerade im Bereich der Wasserlinie ist es extrem durchgerostet. Seitdem es hier in New York ist, haben die da nicht mehr viel dran gemacht.“

Mehr als 40 Jahre lag die „Peking“ an Pier 16 am South Street Seaport Museum in Manhattan nahe der Brooklyn Bridge. Nun soll sie nach langen Diskussionen um die Finanzierung endlich ihre vermutlich letzte Reise antreten. Mit der für den heutigen Montag geplanten Abfahrt macht sich eine „Hamburgensie“ und „ein Stück deutsches Kulturgut“ auf den Weg über den Atlantik in die Hansestadt, sagt Joachim Kaiser. Er ist Sachverständiger für historische Schiffe und Vorstandsmitglied der Stiftung Hamburg Maritim, die für Überfahrt und Restaurierung die Federführung übernommen hat.

Nicht nur die Entrümpelung mit Schwimmkränen und Schweißbrennern bedeutete schwere Arbeit. Vor der Überfahrt tauchte das rund 170 Meter lange Dockschiff „Combi Dock“ ab und umgriff die „Peking“ beim Auftauchen an deren tragenden Strukturen. „Der erste Kontakt ist am wichtigsten“, sagt Poirier. Vorbereitete Stützen helfen, die Seiten der „Peking“ zu stabilisieren, und wenn dann alles festgebunden und vertäut ist, heißt es: Abfahrt!

Elf Tage wird die mehr als 100 Jahre alte Bark dann über den Atlantik getragen. Nach einem Stopp in Brunsbüttel ziehen zwei Schlepper sie weiter zur Werft in Wewelsfleth (Kreis Steinburg), das eine Autostunde nordwestlich von Hamburg an der Elbe liegt.

Sorgen, dass dem Segelfrachter auf hoher See etwas zustoßen könnte, hat Kaiser nicht. „Das sind ausgebuffte Profis, die das ganze Jahr Schwergut­ladungen aller Art transportieren“, sagt er über die Bremer Reederei Combi Lift, die die Ausschreibung mit ihrem Dockschiff für die Überfahrt gewann. „Die wissen, was sie tun.“ Um nicht in die Hurrikan-Saison im Oktober zu geraten und auch die Winterstürme auf dem Nordatlantik zu umgehen, überwinterte die „Peking“ in New York. „Wir wollten einfach kein Risiko eingehen“, sagte Poirier, als er im vergangenen Herbst bei der Entrümpelung durch das Schiff führte.

Die wirkliche Arbeit fängt nach der Ankunft in Wewelsfleth erst an. Experten sollen die „Peking“ im Trockendock in den Zustand von 1927 versetzen, samt Holzdeck und der ursprünglichen Laderäume, in denen Salpeter und Schüttgut etwa zwischen Hamburg und Chile gesegelt wurde. Auch das Unterwasserschiff muss nachgebaut werden, wenn die „Peking“ wie erhofft zum Wahrzeichen des Deutschen Hafenmuseums in Hamburg werden soll. „Es gibt genug Schiffsliebhaber, denen fällt so etwas auf“, sagt Poirier.

26 Millionen Euro sind von den insgesamt 120 Millionen Euro aus Bundesmitteln für die Rückholung und Restaurierung eingeplant. „Das wird nicht leicht“, sagt Kaiser, „das Schiff ist groß, und die Schäden sind groß.“ Der Peters-Werft in Wewelsfleth liegt als To-do-Liste schon jetzt ein 300 Seiten langes Leistungsverzeichnis vor. Wenn alles klappt, soll die „Peking“ drei Jahre nach ihrer Ankunft als Museum begehbar sein – voraussichtlich an den 50er Schuppen am Hansahafen gegenüber der Elbphilharmonie.

Beim Blick auf die haushohen Containerschiffe von heute ist kaum vorstellbar, dass eine Besatzung von 30 Mann mit der „Peking“ einst Ladegut quer durch die Weltmeere segelte. Dampf- und Motorschiffe machten ihr schon Konkurrenz, als sie 1911 zur Jungfernfahrt aufbrach. Kaiser beschreibt die „Peking“ als „Höhepunkt und Endpunkt in der kommerziellen Segelschifffahrt“. Mit minimalen Betriebskosten und ohne Zwang, zum Nachladen von Kohle anzudocken, waren die Crews mit Proviant und Wasser zum Teil ein Vierteljahr unterwegs.

Ist sie von 2020 an wieder begehbar, scheint auch ein Kapitel deutscher Schifffahrtsgeschichte abgeschlossen. „In der Szene der kleinen historischen Schiffe gibt es eigentlich keine Entdeckungen mehr“, sagt Kaiser. Als Matrose entdeckte er im Nord-Ostsee-Kanal früher oft alte Ewer, Tjalks oder Schoner. Für den 69-Jährigen ist es das wohl letzte Projekt. „Ich wollte mich nicht auf irgendwelchen dreckigen Werften quälen“, sagt er. „Ich wollte segeln.“