Mölln. Den Norden neu ent­de­cken, Teil 4: In der waldigen Gegend westlich des Biosphärenreservats Schaalsee wird auf die sanfte Tour um Touristen geworben

Torten-Tapas! Kleine, cremige Häppchen. Sie sind die Lösung eines alten Menschheitsproblems. Denn bisher war es ja so, dass man sich an Kuchentheken schweren Herzens für nur ein Tortenstück entscheiden musste, obwohl man mindestens drei weitere in der engeren Wahl hatte. Torten-Tapas, Minitörtchen, sind die einzig logische Antwort. Und wer hat’s erfunden? Hofcafés im Herzogtum Lauenburg.

Der Kreis zwischen Elbe und Lübeck ist jene Region, die mit ihrer waldigen Seenlandschaft vielleicht am weitesten entfernt ist vom gängigen Schleswig-Holstein-Klischee „Land zwischen den Meeren“. Die hügelige Gegend westlich des Biosphärenreservats Schaalsee hat es deshalb wohl etwas schwerer, überhaupt auf dem Radar von Erholungssuchenden zu erscheinen. Man muss sich immer wieder Neues für Touristen einfallen lassen. Allerdings auf die sanfte Tour, Bettenburgen sollen die anderen bauen.

Im Herzogtum erfindet sich die Tourismusbranche anders neu, ist Gästewerbung eher die Summe einzelner Teile. „40 Seen vor den Toren Hamburgs“ war mal ein Slogan. Das Bestehende wird hier neu interpretiert. Das Ländliche etwa mit Torten-Tapas, das Historische mit Instagram-Foto-Rundgängen durch Mölln und Ratzeburg oder das Wassernahe mit Führungen durch den Naturpark Lauenburgische Seen. „Funkelstunde“ heißt die neueste Kampagne, mit 17 Orten für die schönsten Sonnuntergänge am See. Sanfter Tourismus? Sanfter geht’s nicht.

Günter Schmidt ist der Mann, der das Potenzial der Region touristisch zur Geltung bringen soll. Ein Hesse in Schleswig-Holstein, Chef der örtlichen Marketing GmbH und routinierter Runterbeter der regionalen Schätze. Er steht am Ratzeburger Küchensee und schwärmt. Von mehr als 40 Seen, etlichen Hügeln und nicht enden wollenden Waldgebieten. Vom reichen Kulturangebot, regionalen Köstlichkeiten und idealen Bedingungen für Aktivurlauber, ob auf Rad- oder Wasserwegen.

„Hier finden Großstädter das, was sie suchen“, sagt er, „Entschleunigung.“ Golf, Rudern, Paddeln, Radwandern, Tieregucken, Baden. Alles geht. Deshalb werde die Infrastruktur behutsam ausgebaut. Man wolle weiterhin Neugierige und Entdecker ansprechen, aber eben nicht alle auf einmal. Jugendgruppen oder aktive Senioren kommen bereits. Etwas mehr Dänen könnten es werden, vor allem im Frühjahr und Herbst. In seinem Bemühen, aus dem Windschatten der Küstenorte zu treten, geht das Herzogtum deswegen naturverträgliche Wege ohne Massentourismus. Mit vernetzten Hofcafés, einem speziellen Kultursommer oder dem Ausbau der Dinnerplätze direkt am Wasser. Das Herzogtum biete alles, was das Touristenherz, insbesondere das gestresste, urbane Touristenherz, begehrt: Orte zum Runterkommen.

Dafür gibt es inzwischen 2500 Betten in weit mehr als 400 Herbergen für kleine, mittlere und große Geldbeutel. Von der Planwagenübernachtung auf einem miefbefreiten Campingplatz (Schaalseecamp) über die rustikale Heuherberge (Schaalseehof) bis zum Erste-Sahne-Zimmer mit Seeblick (Der Seehof). Die Übernachtungszahlen konnten in den vergangenen 15 Jahren um 25 Prozent gesteigert werden. 8,5 Millionen Tagesgäste kamen zuletzt, 645.000 blieben über Nacht. „Im Sommer fehlen uns in der Spitze etwa 1000 Betten“, sagt Schmidt. Neue Unterkünfte entstehen deshalb im Schlosspark Lauenburg oder sind auf dem Ratzeburger Marktplatz geplant. Die moderne Ratzeburger Jugendherberge am See werde bereits gut gebucht. Genau wie der modernisierte Seehof in Ratzeburg, „das Hotel am Platz“, wie Schmidt sagt. Es firmiert inzwischen als Vier-Sterne-Superior-Haus.

Größtes Spargelanbaugebiet Schleswig-Holsteins

Mehr als drei Millionen Euro hat die Hamburger Familie Schlichting in den Seehof gesteckt, Zimmer, Restaurant und Wellnessbereich runderneuert und Philip Grasekamp zum Hoteldirektor gemacht. „An den Wochenenden kommen junge Familien und Best Ager, in der Woche Geschäftsleute und Tagungsgesellschaften, die den Erholungswert zu schätzen wissen“, sagt der Hamburger. Von der Hotelterrasse schauen Gäste auf den Steg, die Ruderstrecke und grüne Hügel. Ein Panorama, das bei „Steak & Soul“ um eine kulinarische ­Facette ergänzt wird und das auch Gra­sekamp lieben gelernt hat. Bald zieht er mit Familie nach Ratzeburg.

Überhaupt das Essen: Die Region ist nicht nur das älteste und größte Spargelanbaugebiet Schleswig-Holsteins, seit 23 Jahren wird der „Lauenburg’sche Teller“ neu sortiert. Auch eine Art des steten Wandels. So sind in diesem Jahr 16 regionale Teller entstanden, die bis Oktober in 15 Restaurants probiert werden können.

Die Lage im Viereck zwischen Hamburg, Lüneburg, Schwerin und Lübeck stimmt seit Jahren. Jetzt darf sich nicht nur der Seeadler, das Aushängeschild der naturbelassenen Region, ins Herzogtum verirren. Auch Gäste, die neben Natur das Wasser, den Ideenreichtum oder die Tiefenentspannung mögen, sind eingeladen. Feinschmecker und Torten-Tapas-Liebhaber sowieso.