Pinneberg. Krankenhäuser wie jetzt in Pinneberg immer wieder Ziel professioneller Diebesbanden. Sie haben es auf Spezialgeräte abgesehen.
Die Täter spazierten am helllichten Tag in die Regio Klinik in Pinneberg und steuerten gezielt das zweite Stockwerk an. Dort entwendeten sie am Sonnabend mehrere hochwertige Endoskope samt Zubehör aus einem verschlossenen Raum. Entdeckt wurde der Einbruch und Diebstahl von einem Klinikmitarbeiter am Sonnabendnachmittag. Der Schaden soll sich nach Abendblatt-Informationen auf rund 1,5 Millionen Euro belaufen.
Die Summe wollte Kliniksprecher Sebastian Kimstädt am Montag auf Nachfrage allerdings nicht bestätigen. Auch über die Anzahl der Geräte will die Klinik keine Angaben machen, aus Angst vor Nachahmern. „Die Täter sind zielgerichtet und professionell vorgegangen“, sagt Kimstädt. „Sie müssen den entsprechenden Bereich vorher ausgekundschaftet haben.“ Die Diebe hätten es gezielt auf Endoskopiegeräte abgesehen, andere medizinische Geräte seien nicht entwendet worden.
Notversorgung war immer sichergestellt
Die Notfallversorgung sei zu jedem Zeitpunkt sichergestellt gewesen, so Kimstädt. Es konnte kurzfristig Ersatz aus den anderen Regio Kliniken beschafft werden. „Im Laufe dieser Woche werden wir neue Geräte besorgen, sodass der normale Betrieb wie geplant weitergehen kann. Allerdings mussten wir den Patienten, die am Montag einen Termin hatten, absagen“, sagt er. Die endoskopischen Geräte würden für Spiegelungen von Darm, Speiseröhre oder Magen eingesetzt. Auch kleinere Tumore könnten damit entfernt werden, so der Kliniksprecher. Für die Regio Kliniken sei es der erste Diebstahl dieser Art.
Er ist allerdings alles andere als ein Einzelfall. So werden deutschlandweit seit etwa zwei Jahren gehäuft Endoskope aus Krankenhäusern, aber auch spezialisierten Arztpraxen gestohlen. Die Polizei geht davon aus, dass die Täter auf Bestellung aus Osteuropa handeln. Zahlen konnte das Landeskriminalamt Schleswig-Holstein auf Abendblatt-Anfrage am Montag aber zunächst nicht nennen.
Wer nicht zum Kundenkreis gehört, fällt auf
Jürgen Ohle, Geschäftsführer von ESO Endoskopietechnik in Wedel, beobachtet den Negativtrend in seiner Branche schon länger. Neben Wartung und Reparaturen bietet er auch einen An- und Verkauf von gebrauchten Endoskopen an. Seine Kunden sind hauptsächlich Ärzte und Kliniken.
Wer nicht zu diesem Kundenkreis gehört, fällt auf. So wurden Ohle in einem Fall Endoskope im Wert von 200.000 Euro zum Kauf angeboten. „Ein Mann hatte uns Untersuchungsgeräte zum Kauf angeboten, die er aus dem Klinikum Leverkusen gestohlen hatte“, sagt Ohle. Er schöpfte schnell Verdacht, überprüfte die Seriennummer und schaltete die Polizei ein. Das war 2014 und damals noch ein Einzelfall.
Olympus-Endoskope kosten neu etwa 30.000 Euro
Im vergangenen Jahr sei er dann als Zeuge vor dem Schöffengericht in Leverkusen aufgetreten. Der Dieb, vermutlich ein Einzeltäter, sei überführt und verurteilt worden. „Mittlerweile werden die Diebstähle von Endoskopen aus deutschen Kliniken bandenmäßig organisiert“, sagt Ohle. In 90 Prozent der Fälle hätten die Diebe es auf die Marke Olympus abgesehen. Deren Endoskope kosten neu zwischen 25.000 und 30.000 Euro. Ein lukratives Geschäft. „Die Diebe müssen über Insiderwissen verfügen“, sagt er.
Wohin die Geräte gehen, kann Ohle nur vermuten. „Ich gehe davon aus, dass sie über die Landesgrenze geschafft werden“, sagt der Experte für die medizinischen Geräte. Denn aufgrund der Seriennummern könne die Herkunft schnell festgestellt werden. Ihm seien nach dem Fall 2014 keine gestohlenen Geräte mehr angeboten worden und auch keinem seiner befreundeten Kollegen, mit denen er sich regelmäßig austausche.
In Nordrhein-Westfalen sind viele Kliniken betroffen
Ohle sind Fälle aus Kliniken in Bremen und Hamburg bekannt. So soll die Asklepios Klinik Barmbek gleich zweimal in anderthalb Jahren geplündert worden sein. Besonders gebeutelt seien auch Krankenhäuser und Arztpraxen in Nordrhein-Westfalen. Aber auch Kliniken in Polen sind nicht sicher. So wisse er von einem Fall, wo nach dem ersten Diebstahl neue Endoskope angeschafft wurden, die gleich darauf wieder entwendet wurden.
Mehr als eine Kamera: Endoskopie bedeutet „in das Innere sehen“. In der Medizin versteht man darunter die Betrachtung von Körperhöhlen und Hohlorganen mithilfe eines schlauchähnlichen, flexiblen Gerätes, dem Endoskop. Am Ende des Endoskops befindet sich eine hochauflösende Videokamera, mit der bewegte Bilder aus dem Inneren des Patienten „live“ auf einen Monitor übertragen werden. Auf diese Weise können auch Gewebeproben entnommen und krankhaft verändertes Gewebe schonend entfernt werden. Die sogenannte „interventionelle Endoskopie“ ermöglicht kleine operative Eingriffe im Bereich des Magen-Darm-Traktes sowie der Gallenwege.