Rügen/Hamburg. Die 20-Jährige verlor im Nationalpark Jasmund die Balance und fiel 60 Meter in die Tiefe. Warum der Wanderweg so gefährlich ist.
Warum die junge Frau im Beisein ihres Ehemannes den Wanderweg verließ, gefährlich nah an die Abbruchkante der Steilküste ging und wenig später die Kontrolle verlor, kann die Polizei in Neubrandenburg auch einen Tag nach dem Unglück nicht sagen. Es gebe nur einen ersten Verdacht: „Wir haben Fotoausrüstung in der Nähe der Toten gefunden“, sagt Polizeisprecher Alexander Ahrens. „Deshalb gehen wir zum jetzigen Zeitpunkt davon aus, dass die Frau für ein Fotomotiv zu viel riskiert hat.“
Die 20 Jahre alte Hamburgerin ist am Sonnabend von einem Kreidefelsen der Ostseeinsel Rügen rund 60 Meter tief in den Tod gestürzt ist. Nach ersten Erkenntnissen sei die Frau beim Wandern auf dem Hochuferweg im Nationalpark Jasmund zu nah an die Felskante der Ernst-Moritz-Arndt-Sicht getreten, ins Straucheln geraten und in die Tiefe gestürzt. „Wir gehen von einem Unfall aus“, sagte der Polizeisprecher in Neubrandenburg. Was als erholsamer Urlaubsspaziergang eines jungen Hamburger Ehepaares begonnen hatte, mündete in ein Drama mit tödlichem Ende.
Passanten versuchten die Frau wiederzubeleben
Demnach habe der Notruf über den Absturz die Leitstelle der Polizei am Sonnabend gegen 15 Uhr erreicht. Kurze Zeit später waren Rettungsteams von Polizei, Feuerwehr und Wasserschutzpolizei vor Ort. Allerdings konnten die Hilfskräfte das unwegsame, etwa 60 Meter tiefer gelegene Ufer nur mit einem Polizeihubschrauber erreichen.
Nach Angaben der Feuerwehr hatten zunächst auch Passanten versucht, die Frau wiederzubeleben. Ohne Erfolg. Der Notarzt konnte nur noch den Tod der 20-Jährigen feststellen. Ihr Leichnam wurde von einem Schiff der Bundespolizei geborgen. Der 22 Jahre alte Ehemann erlitt einen Schock und musste vor Ort von einem Notfallseelsorger betreut werden.
Laut Nationalparkangaben war der Unglücksort, ein plateauartiger Kreidevorsprung zwischen Königsstuhl und Wissower Klinken, nicht durch Absperrvorrichtungen gesichert. Allerdings gibt es auf dem Hochwanderweg im Nationalpark zahlreiche Hinweisschilder. Darauf werden Besucher vor dem Verlassen der offiziellen Wanderwege und den teils überhängenden Abbruchkanten gewarnt.
Touristen ignorieren Warnungen oft
Laut Polizei werden diese Mahnungen aber immer wieder ignoriert. Unter den Besuchern des Nationalparks zwischen Sassnitz und Lohme gebe es viele leichtsinnige Touristen, die Warnschilder links liegen lassen, über vorhandene Absperrungen zur Kliffkante klettern oder unterhalb der instabilen Steilküste wandern. Dementsprechend regelmäßig ereigneten sich Unfälle im Jasmund (siehe nebenstehender Text).
Im aktuellen Fall lasse die gefundene Kamera neben der Leiche der 20-Jährigen darauf schließen, dass die junge Frau für vermeintlich spektakuläre Aufnahmen zu dicht an die Kante getreten war, so die Polizei. Die Ernst-Moritz-Arndt-Sicht, benannt nach einem auf Rügen geborenen Historiker, Schriftsteller und Publizisten, gehört dabei zu den höheren Klippen entlang des Wanderwegs. Erst im März des Vorjahres sei es fast an derselben Stelle zu einem tödlichen Unfall gekommen. Die Ermittlungen im aktuellen Fall habe die zuständige Staatsanwaltschaft in Stralsund übernommen.
Niederschläge begünstigen Küstenabbruch
Um tragische Unglücke zu verhindern, haben die Ranger des Nationalparks Jasmund in den vergangenen Jahren bereits zahlreiche Zäune gesetzt. Zudem werde der Hochuferweg in jedem Frühjahr auf seine Begehbarkeit überprüft. Nicht selten müssen dabei einzelne Abschnitte immer weiter ins Landesinnere verlegt werden, da Teile der Steilküste abzubrechen drohen oder Passagen wegen ständiger Erosion bereits verloren gegangen sind.
Der steil an Kreidefelsen ins Meer fallende Buchenwald der Halbinsel Jasmund ist der kleinste Nationalpark Deutschlands. Trotz seiner Gefahren zählt er zu den Besuchermagneten auf Rügen – jedes Jahr erkunden etwa zwei Millionen Touristen die fast zehn Kilometer lange Kreideküste. Das Nationalparkamt warnt deshalb außer mit Hinweisschildern auch mit Handzetteln vor den Risiken.
Gerade starke Niederschläge oder im Frühjahr einsetzendes Tauwetter begünstigen den Küstenabbruch und machen einen Aufenthalt im Bereich des Steilufers lebensgefährlich. Nicht grundlos rät das Nationalparkamt: „Seien Sie stets vorsichtig und begeben sich nicht unnötig in Gefahr.“