Kiel. Ministerpräsident Albig rechnet mit Bürgerprotesten, aber 98 Prozent des Landes bleiben frei von Anlagen.
Die Windenergie in Schleswig-Holsteinwird in Zukunft deutlich langsamer als bisher wachsen. Am Dienstag verabschiedete die Kieler Landesregierung die Entwürfe neuer Regionalpläne. Sie werden dazu führen, dass rund 1300 der derzeit insgesamt 3100 Anlagen abgebaut werden müssen, sobald sie das Ende ihrer Nutzungsdauer erreicht haben. Zugleich werden weitere Vorranggebiete für Windenergie ausgewiesen. Sie bieten Platz für 500 neue Anlagen. „Es wird natürlich Proteste geben“, sagte Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) bei der Vorstellung der Pläne.
Die Landesregierung ist bei der Windmühlenplanung in einer Zwickmühle. Einerseits hat der Bürgerprotest gegen die immer höheren Masten mit den immer größeren Rotoren zuletzt erheblich zugenommen. Auf der anderen Seite verfolgt Schleswig-Holstein ein energiepolitisches Ziel. Aus den bislang an Land produzierten sechs Gigawatt Windstrom sollen bis 2025 rund zehn Gigawatt werden. Hinzu kommt: Windenergie ist in Schleswig-Holstein zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor geworden. 16.000 Schleswig-Holsteiner arbeiten mittlerweile in dieser Branche. 2015 haben die Einnahmen aus der EEG-Umlage rund zwei Milliarden Euro ins Land gebracht. An der windreichen Nordseeküste sind viele Bürgerwindparks entstanden, die nicht nur die Portemonnaies der Teilhaber füllen, sondern den Gemeinden erfreulich hohe Gewerbesteuereinnahmen bescheren.
Abstand von 800 Metern zu Siedlungsgebieten
Albig ist nach wie vor überzeugt davon, dass die Windkraft trotz aller damit verbundenen Belastungen die bessere Energieform ist – weil sie weniger Schäden verursacht als Kohle oder Atomkraft: „Mit unserem neuen Regelwerk für Windanlagen kann ich sicher beschreiben, dass ich von der Gesellschaft nicht zu viel verlange.“
Der Entwurf sieht vor, dass 1,98 Prozent der Landesfläche für Vorrangflächen ausgewiesen werden. Das bedeutet: 98 Prozent des Landes bleiben frei von Windanlagen. Die Vorranggebiete wurden mithilfe von unterschiedlichen Kriterien ausgewählt. Eines dieser Kriterien, vielleicht das wichtigste: Die Anlagen müssen einen Abstand von 800 Metern zu Siedlungsgebieten und von 400 Metern zu Einzelhäusern im Außenbereich einhalten.
„Es wird ein Online-Beteiligungstool geben"
Der neue Zuschnitt der Flächen ist die Folge eines Urteils des Oberverwaltungsgerichts Schleswig vom Januar vergangenen Jahres. Neun Klagen gegen die bisherigen Regelungen waren damals erfolgreich. Geklagt hatten sowohl Gegner von geplanten Anlagen als auch Investoren, deren Bauvorhaben abgelehnt worden waren. Das Gericht hatte unter anderem bemängelt, dass die Kommunen selbst entscheiden konnten, ob sie Flächen für Windanlagen ausweisen wollten oder nicht.
Mit dieser Einbeziehung der örtlichen Volksvertretungen ist nun Schluss. „Fürs ganze Land gelten jetzt einheitliche Regelungen“, sagte der Ministerpräsident. Einflussmöglichkeiten gibt es dennoch. Noch im Dezember soll eine Anhörung starten, jeder Bürger kann dann seine Bedenken zu Protokoll bringen. „Es ist das intensivste Beteiligungsverfahren in der Geschichte Schleswig-Holsteins“, sagte Albig. Erstmals soll das auch via Internet funktionieren. „Es wird ein Online-Beteiligungstool geben, das flurstückscharf erklärt, warum dort Windanlagenbau möglich oder nicht möglich ist“, sagte Albig. „Wir wollen von den Bürgern wissen: ,Wo haben wir uns geirrt?‘“
Größere Änderungen an den Plänen
Albig rechnet damit, dass es nach dieser Anhörungsphase noch größere Änderungen an den Plänen geben könnte, die eventuell eine neue Auslegung erforderlich machen. Etwa im Juni kommenden Jahres dürften die Einwendungen der Bürger ausgewertet sein. Gut möglich, dass am Ende die Windflächen weiter schrumpfen. Dann dürfte auch das Ziel, bis 2025 zehn Gigawatt Windstrom zu erzeugen, ins Wanken geraten.
Der Gegenwind vonseiten der Windindustrie setzte am Dienstag jedenfalls prompt ein – und konzentrierte sich auf die 1300 Anlagen, die nach Ende der Nutzungsdauer abgebaut werden müssen. „Windanlagen müssen in der Regel nach 17 Nutzungsjahren erneuert werden“, sagte Marcus Hrach, Leiter der Landesgeschäftsstelle Schleswig-Holstein des Bundesverbands Windenergie (BWE). „Durch ein Verbot dieses Repowerings müssen die betroffenen Kommunen nun erhebliche Nachteile befürchten – bis hin zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage ihrer Bürger.“ Zudem könnten Infrastruktur wie Netze, Umspannwerke und oder Zufahrten nicht mehr genutzt werden und müssten an anderen Standorten neu gebaut werden.
Mindestziel deutlich erhöhen
Hrach fordert deshalb, das Mindestziel von 1,98 Prozent der Landesfläche deutlich zu erhöhen. Nur so könne das Land seinen Windenergie-Standortvorteil erhalten. „Wenn diese Sicherheit gewährleistet ist, ist die Windenergiebranche bereit, in Schleswig-Holstein jährlich mehr als eine Milliarde Euro zu investieren“, sagte Hrach.
Kritik kam auch von der CDU-Opposition. Die Landesregierung habe überhaupt nicht geprüft, welche Standorte wegen ihrer Windbedingungen geeignet seien, sagte der CDU-Fraktionsvorsitzende Daniel Günther. „Natürlich sind die Standorte in Küstennähe günstiger als in Talsenken.“ Dass Albig das nicht berücksichtige, sei möglicherweise rechtlich in Ordnung. „Verstehen tut es aber zu Recht niemand“, sagte er.